Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Reisen in arme Länder: Wie verhält man sich richtig?

Tipps Sommer, Sonne – und soziales Elend. Manche Urlauber plagt das schlechte Gewissen angesichts der Lebensumst­ände der Menschen am Reiseziel. Das kann man tun

- VON CHRISTINA WEISE

Oft begegnen Reisende ihr schon auf dem Weg vom Flughafen zur Unterkunft: der Armut. Verbringen sie die Urlaubstag­e nicht nur im Hotel, sind die krassen Gegensätze zwischen Touristen und Einheimisc­hen in vielen Ländern ständige Begleiter. Einfach auszuhalte­n sind sie nicht. Aber wer gut informiert ist, kann sich auf die Situatione­n einstellen. Wie geht man am besten mit der Armut um?

Gute Vorbereitu­ng ist wichtig. Nicht alle Menschen, die für uns arm aussehen, sind es auch in ihrem Land. Das liegt an unterschie­dlichen Einkommen und Lebensstan­dards. Gleichzeit­ig werden sich die wenigsten Einheimisc­hen Urlaubsrei­sen leisten können. „Deswegen sollte ich als Reisender mit meinem Wohlstand verantwort­ungsbewuss­t umgehen, ihn nicht übermäßig zur Schau stellen und nicht um jeden Cent feilschen“, sagt Antje Monshausen, Leiterin von Tourism Watch bei Brot für die Welt, die sich für nachhaltig­en Tourismus einsetzt. Verantwort­ungsvolles Verhalten schließt für Nadine Schaal auch die Achtung der Menschenre­chte ein. Sie arbeitet bei der gemeinnütz­igen Organisati­on TourCert, die Reiseveran­stalter und Hotels mit Ökolabels auszeichne­t. „Reisende sollten bedenklich­e Beobachtun­gen wie Missbrauch von Kindern entspreche­nden Organisati­onen melden“, sagt sie. Das geht etwa auf der Webseite www.nicht-wegsehen.net.

Bei einem Ausflug in ein traditione­lles Dorf bitten Einheimisc­he um Geld. Wie soll man reagieren? Der Reiseleite­r ist hier ein guter Ansprechpa­rtner – vor allem, wenn er aus dem Land kommt. Er kann die Situation einschätze­n und Tipps geben. „Es ist ganz wichtig, gerade Kindern kein Geld zu geben und nichts von ihnen zu kaufen“, sagt Monshausen. „Das kann ihre Familien ermutigen, sie weiterhin zum Betteln statt in die Schule zu schicken. So wird ein Teufelskre­is der Armut aufrechter­halten.“

Immer häufiger werden Touren durch Armenviert­el angeboten. Es gibt zwei Arten, solche Gegenden zu erkunden: aus dem Fenster eines Reisebusse­s oder zu Fuß. Letztere bietet die Möglichkei­t, mit den Menschen auf Augenhöhe in Kontakt zu kommen. Meist leben die Guides selbst in dem Viertel und zeigen ihre Lieblingsp­lätze. So be- kommt man auch als Tourist einen Einblick in das Leben hinter der Touristenk­ulisse. Monshausen empfiehlt: „Es ist wichtig, bei den Veranstalt­ern nachzufrag­en, wie die Menschen in die Entwicklun­g der Touren eingebunde­n wurden und wie sie dauerhaft beteiligt sind. Wie wird sichergest­ellt, dass die Ausgaben der Reisenden auch den Bewohnern zugutekomm­en?“

Auch wichtig: Darf man fotografie­ren? Hilft es den Menschen, wenn Touristen lokale Produkte kaufen? Die lokale Bevölkerun­g ist häufig nicht an den Einnahmen aus dem Tourismus beteiligt. Selbst getöpferte Schalen und die Suppe aus dem familienei­genen Restaurant bringen nicht nur verschiede­nen Menschen Geld, sondern vermitteln auch Wertschätz­ung. Die sollte ernst gemeint sein, sagt Harald Zeiss, Professor für Tourismusm­anagement an der Hochschule Harz. „Mitleid ist der falsche Ansatz. Die Menschen sind stolz auf ihr Werk, sie sind Künstler und leben verhältnis­mäßig normal, auch wenn es für uns vielleicht als ein Leben in Armut erscheinen mag.“

Wie lassen sich Urlaub und Umweltschu­tz vereinen? „Mit gutem Beispiel voranzugeh­en, ist der wichtigste Beitrag, den man leisten kann“, sagt Schaal von TourCert. „Zum Beispiel aus Mehrwegfla­schen trinken und Plastikmül­l vermeiden – und den nicht vermeidbar­en Müll richtig entsorgen.“Auch die Wahl der Transportm­ittel spielt eine Rolle. „Weniger ist oft mehr: Nehmen Sie sich Zeit, den Urlaubsort zu Fuß, per Fahrrad oder auch per Kanu zu erkunden“, rät Schaal. „Landestypi­sche Fortbewegu­ngsmittel bieten zudem Einblicke in die Kultur, unterstütz­en lokale Strukturen und sind umweltfreu­ndlicher.“

Gerade in südlichen Ländern ist Wasser eine knappe Ressource. Vielen Einheimisc­hen steht nur selten Süßwasser zur Verfügung, für die Touristen wird ausreichen­d gesorgt. Zeiss sagt: „Natürlich soll man den Urlaub genießen und sich verwöhnen lassen, aber schon kleine Maßnahmen können viel bewirken. Müssen wir jeden Tag die Handtücher wechseln lassen? Muss ich ein Bad nehmen in einer Gegend, in der Wasserknap­pheit herrscht?“

Außerdem sollten Touristen daran denken, nicht unnötig Energie zu verbrauche­n. „Müssen Klimaanlag­e und Licht an bleiben, wenn wir nicht im Zimmer sind? Natürlich kann argumentie­rt werden, dass dafür bezahlt wurde und es nicht zusätzlich kostet, aber es sind enorme Energiefre­sser, die einfach vermieden werden können.“

Geldspende­n sind eine einfache Möglichkei­t, den Menschen vor Ort etwas zurückzuge­ben. Organisati­onen gibt es genug, in Deutschlan­d wie im Urlaubslan­d. „Die Ursachen von Armut sind meist komplex und lassen sich nicht einfach durch Geld an einzelne Personen beseitigen“, sagt Monshausen. Sie rät, besser Organisati­onen zu unterstütz­en, die sich vor Ort einsetzen. „Etablierte Organisati­onen der Entwicklun­gszusammen­arbeit in Deutschlan­d unterliege­n hohen Auflagen in Bezug auf Transparen­z und Mittelverw­endung, sodass ihre Spenden auch gut ankommen.“

Besonders Langstreck­enflüge sind sehr klimaschäd­lich. Flugreisen­de haben die Möglichkei­t, CO2 zu kompensier­en. Sie zahlen dafür einen Beitrag an eine Organisati­on, die das Geld in zertifizie­rte treibhausg­asmindernd­e Investitio­nen vor allem in Entwicklun­gsländern steckt. Beispiele für solche Anbieter sind Atmosfair oder Myclimat. „Die Prämisse der Klimakompe­nsation ist, dass es keine Rolle spielt, wo die Treibhausg­ase in die Atmosphäre gelangen und wo sie reduziert werden. Wichtig ist, dass die weltweiten Emissionen in der Summe abnehmen“, erklärt Schaal den Ansatz. Reisende sollten generell darauf achten, dass die Entfernung zum Urlaubsort in einem angemessen­en Verhältnis zur Reisedauer steht. Schaal nennt eine grobe Faustregel: „Fernreisen mit Langstreck­enflügen über 2000 Kilometer sollten mindestens 14 Tage dauern.“Je weiter man reist, umso länger sollte man vor Ort bleiben.

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Foto: Arno Burgi, dpa Wie richtig reagieren? Ein bettelndes Kind in Indien.

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