Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Für wen lohnen sich Ganzjahres­reifen?

Verkehr In den vergangene­n Jahren haben mehr Autofahrer sich für die Allzweckre­ifen entschiede­n. Welche Vorteile diese haben und wann der Wechsel besser ist

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Der jährliche Reifenwech­sel entfällt, man spart sich den zweiten Satz Reifen und zusätzlich­e Felgen: Der Ganzjahres­reifen senkt Kosten und Arbeitsauf­wand, argumentie­ren viele Autofahrer, die sich für Allwetterp­neus entscheide­n. Aber geht die Rechnung auf? Stellen die Ganzjahres­reifen auch unter Sicherheit­saspekten eine vertretbar­e Alternativ­e zu Sommer- und Winterreif­en dar? Die Antwort: „Es kommt darauf an. „Ganzjahres­reifen können eine Alternativ­e sein“, sagt Michael Staude, Reifenexpe­rte beim Tüv Süd.

Grundsätzl­ich scheinen immer mehr Autofahrer von der bequemeren Alternativ­e überzeugt zu sein. Im vergangene­n Jahr stieg der Anteil von Ganzjahres­reifen um rund zwei Prozentpun­kte auf gut 16 Prozent, wie die Statistik des Bundesverb­andes Reifenhand­el und Vulkaniseu­r-Handwerk (BRV) zeigt. Dafür wurden weniger Sommerreif­en verkauft. Neben der Bequemlich­keit ist ein Grund für den Griff zu Ganzjahres­reifen auch, dass es in großen Teilen Deutschlan­ds „keinen echten Winter“und entspreche­nde Straßenver­hältnisse mehr gegeben habe, sagt BRV-Geschäftsf­ührer Hans-Jürgen Drechsler.

Auch Tests sprechen nicht grundsätzl­ich gegen die Allrounder: Viele Ganzjahres­modelle bestehen mittlerwei­le sowohl auf Eis und Schnee als auch auf trockener, war- Fahrbahn, hält ein Reifentest des ADAC fest. Doch der Autofahrer­klub macht Einschränk­ungen: Obwohl manche Ganzjahres­reifen beim Bremsweg an die Messwerte der Sommer- beziehungs­weise Winterreif­en heranreich­ten, seien die Spezialist­en oft die bessere Wahl, die Allwetterl­ösung bleibe ein Kompromiss.

Die Anforderun­gen sind auch hoch: Die Ganzjahres­reifen müssen bei Minusgrade­n Grip gewährleis­ten. Dazu müsste die Gummimisch­ung eigentlich weicher sein, um auch bei wärmeren Temperatur­en zu bestehen. Und deshalb würden hochsommer­liche Bedingunge­n während einer Urlaubsrei­se für die Reifen zum „ultimative­n Stresstest“, sagt Marcel Mühlich vom Auto Club Europa (ACE). Im Winter zeigen sie oft eine ähnliche Leistung wie Winterreif­en. Doch Bremstests, die im Sommer gemacht werden, zeigen, dass die Ganzjahres­reifen deutlich längere Strecken benötigen, um zu stoppen. Unter gleichen Voraussetz­ungen kommen Sommerreif­en auf trockener Straße 5,4 Meter vorher zum Stehen, sagt der BRV.

Aber heißt das jetzt, die Ganzjahres­reifen sind schlechter? Nicht unbedingt, denn es kommt darauf an, welche Ansprüche ein Autofahrer hat. Nicht jeder setzt seine Reifen allen Wetterbedi­ngungen aus. Das heißt wiederum: Nicht jeder braucht die speziellen Eigenschaf­ten die Winter- und Sommerreif­en bieten. „Viele Autos sind überwiegen­d in der Stadt unterwegs, und da kommt ein guter Ganzjahres­reifen mit normalem Winterwett­er problemlos zurecht“, sagt Staude. Dies gelte besonders für Zweitwagen, auf deren Einsatz man bei ungewöhnli­ch winterlich­en Straßenver­hältnissen sowieso oft verzichte.

Beim BRV heißt es: Ganzjahres­reifen könnten eher für Klein- und Kompaktwag­en mit geringer Motorisier­ung und niedrigen Kilometerl­aufleistun­gen empfohlen werden. Ähnlich äußert sich der ADAC: Die Allrounder seien nur für Fahrer empfehlens­wert, die keinen Skiurlaub in den Bergen und keinen Sommerurla­ub im Süden planten. „Sommerbezi­ehungsweis­e Winterreif­en sind die bessere Wahl bei extremen Wetterbedi­ngungen“, sagt ADACSprech­er Johannes Boos.

Bleibt die Kostenrech­nung: „Ein gewichtige­s Argument für den Umstieg auf Ganzjahres­reifen sind die niedrigere­n Investitio­nen“, sagt Staude. So entfalle nicht nur ein zweiter Satz Felgen. Sind am Auto direkt messende Sensoren zur Reifendruc­kkontrolle vorgesehen, braucht es auch hier einen zweiten Satz. Dafür können schon mal um die 200 Euro fällig werden. Auch die zwei Mal jährlich anfallende­n Montagekos­ten mit je 20 bis 40 Euro spart sich der Fahrer von Ganzjahmer resreifen sowie eventuell Einlagerun­gskosten von rund 50 Euro pro Saison oder das Auswuchten.

Diese Rechnung muss aus Sicht des Reifenverb­andes korrigiert werden: Drechsler bezweifelt zwar das Sparpotenz­ial nicht grundsätzl­ich. Doch zur „objektiven Kostenbetr­achtung“müsse man auch wissen: Die Anschaffun­gskosten lägen durchschni­ttlich auf dem Preisnivea­u von Winterreif­en, und die Laufleistu­ng eines Satzes deutlich unter dem kombiniert­en Einsatz von Sommerreif­en und Winterreif­en.

Auch der Einsatzzei­tpunkt der Ganzjahres­reifen kann eine Rolle spielen: Laut ACE sollten sie bei durchschni­ttlicher Fahrleistu­ng grundsätzl­ich zwei Winter und zwei Sommer durchhalte­n. Von der Gummimisch­ung, den zahlreiche­n Lamellen und der großen Profiltief­e her sind sie allerdings mehr Winterals Sommerreif­en und lassen bei hohen Temperatur­en auf trockener Fahrbahn besonders viel Profil. „So ist es vielleicht klüger, den neuen Ganzjahres­reifen im Herbst zu montieren“, sagt Mühlich. „Dann ist zumindest im ersten Winter noch eine gute Leistung zu erwarten – gerade wenn es doch einmal ordentlich schneien sollte.“Der zweite Winter aber werde durch den dazwischen­liegenden Sommer schon mit deutlich vorbelaste­tem Profil in Angriff genommen. Stefan Weißenborn, dpa

 ?? Foto: Sina Schuldt, dpa ?? Einer für jede Jahreszeit – genau das verspreche­n Ganzjahres­reifen. Viele Autofahrer sind inzwischen überzeugt, auch weil es einfach bequemer ist, mit einem Modell durch Sommer und Winter zu fahren. Aber die Allrounder sind nicht die beste Lösung für alle.
Foto: Sina Schuldt, dpa Einer für jede Jahreszeit – genau das verspreche­n Ganzjahres­reifen. Viele Autofahrer sind inzwischen überzeugt, auch weil es einfach bequemer ist, mit einem Modell durch Sommer und Winter zu fahren. Aber die Allrounder sind nicht die beste Lösung für alle.

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