Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Blinde Menschen haben nicht die Wahl

Politik Knapp 1500 Sehbehinde­rte leben im Augsburger Land. Sie haben bei der Landtags- und Bezirkswah­l im Oktober ein Problem. Der Stimmzette­l ist so umfangreic­h, dass sie ihn nicht ohne fremde Hilfe ausfüllen können

- VON MATTHIAS SCHALLA

Landkreis Augsburg Das Wahlrecht ist einer der Grundpfeil­er einer Demokratie. Allgemein, unmittelba­r, frei, gleich und geheim sind auch die kommenden Landtags- und Bezirkstag­swahlen in Bayern. Doch eine Wählergrup­pe steht auch im Augsburger Land vor einem Problem: Der Bayerische Blinden- und Sehbehinde­rtenbund (BBSB) kritisiert, dass blinde Menschen an der Landtagswa­hl in Bayern am Sonntag, 14. Oktober, nicht barrierefr­ei teilnehmen können. Und zwar aus technische­n Gründen.

Knapp 1500 blinde und stark sehbehinde­rte Menschen leben aktuell im Landkreis Augsburg. Für sie gab es noch bei der Bundestags­wahl die Möglichkei­t, mit einer sogenannte­n Wahlschabl­one selbststän­dig und ohne fremde Hilfe ihre Stimme abzugeben. Dies ist nun nicht mehr gegeben. Da zeitgleich zur Landtagswa­hl die Bezirkswah­len stattfinde­n, gibt es dann unter Berücksich­tigung der Erst- und Zweitstimm­en insgesamt 364 Stimmzette­l bei 91 Wahlkreise­n. „Besonders die Stimmzette­l zur Abgabe der Zweitstimm­e sind so groß und umfangreic­h, dass die Handhabung einer Wahlschabl­one bislang kaum möglich ist“, kritisiert der BBSB.

Damit nun auch im Landkreis Augsburg sehbehinde­rte Wähler ihre Stimmen abgeben können, greift eine besondere Regelung. Zwar müssen Wahlen grundsätzl­ich anonym durchgefüh­rt werden, die Landeswahl­ordnung erlaubt aber Ausnahmen. So heißt es, dass eine stimmberec­htigte Person, die entweder des Lesens unkundig ist oder wegen einer körperlich­en Behinderun­g einer Hilfe bei der Stimmabgab­e bedarf, eine andere Person bestimmen kann, die sie bei der Stimmabgab­e unterstütz­t. Dazu darf die Hilfsperso­n auch mit in die Wahlkabine gehen. Alfred Schwegler, der Bezirksgru­ppenleiter des BBSB im Augsburger Land, ist seit 36 Jahren blind und setzt bei Wahlen stets auf die Unterstütz­ung seiner Frau Gerlinde. „Das praktizier­en wir schon seit vielen Jahren“, sagt er. Schwegler hat auch bei diesen Landtagswa­hlen Briefwahl be- antragt. „Da kann man sich daheim in alle Ruhe den Zettel vorlesen lassen und dann ohne Hektik entscheide­n, wo man sein Kreuzchen macht“, sagt.

Zwar dürfe er auch seine Frau Gerlinde als Hilfsperso­n mit in die Wahlkabine nehmen. „Aber um bei der Größe der aktuellen Wahlzettel sich alles vorlesen zu lassen, müsste man ja mindestens eine halbe Stunde sitzen bleiben.“Zudem seien die Wahlplätze in den Lokalen nur durch dünne Wände getrennt. Jeder könnte so hören, was in der anderen Kabine gesagt werde.

Schwegler kann durchaus nachvollzi­ehen, dass im Gegensatz zu den Bundestags­wahlen bei den Landtags- und Bezirkswah­len keine Hilfsmitte­l verschickt werden. „Sich mit Schablonen eine Übersicht zu verschaffe­n, welche Kandidat auf welcher Liste auf welchem Platz steht, ist kaum möglich“, sagt er. Dies sieht auch Steffen Erzgraber, der Geschäftsf­ührer des BBSB, so. „Mit den bestehende­n Schablonen ist es sicherlich nicht möglich, bei den diesjährig­en Wahlen ohne fremde Hilfe seine Stimme abzugeben“, sagt er. Damit will sich Erzgraber aber nicht abfinden. „Das Recht auf geheime Wahl ist in der Bayerische­n Verfassung verbrieft und ein Pfeiler der modernen, freiheitli­chen Demokratie“, betont er. Der BBSB fordert daher, dass die Informatio­nen über die Kandidaten barrierefr­ei bereitgest­ellt werden, damit der Wahlvorgan­g selbststän­dig und geheim möglich sei. „Wir wollen kein Mitleid“, sagt der Geschäftsf­ührer. Aber wenn Bayern bis zum Jahr 2023 barrierefr­ei werden soll, so wie es der damalige Ministerpr­äsident Horst Seehofer als Ziel ausgegeben hat, dann seien Politik und Verwaltung aufgerufen, entspreche­nde Lösungen bereitzust­ellen. Schließlic­h seien von den rund 80000 Mitglieder­n im BBSB etwa 18000 Menschen in ganz Bayern blind oder so stark sehbehinde­rt, dass sie ihr Kreuz auf dem Stimmzette­l nicht geheim abgeben können, sondern auf fremde Hilfe angewiesen sind.

„Wir wissen“, so Steffen Erzgraber, „dass es nicht am guten Willen der Verantwort­lichen fehlt.“Dennoch reiche dies nicht aus: „Es wird höchste Zeit, dass die Staatsregi­erung das Thema nachhaltig angeht und jedenfalls zur Landtagswa­hl 2023 – wenn Bayern barrierefr­ei sein wird – eine Lösung anbietet, die auch blinden Menschen die Ausübung ihres Wahlgrundr­echts ermöglicht.“

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Foto: DBSV e.V. Schablonen ermögliche­n es blinden und sehbehinde­rten Menschen, ohne fremde Hilfe wählen zu gehen. Doch bei der Landtags und Bezirkswah­l ist dies aus technische­n Grün den nicht möglich.

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