Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der kraftlose Herr Juncker
Jean-Claude Juncker hat Spuren in Europa hinterlassen. Der Kommissionspräsident, dessen Amtszeit im kommenden Jahr endet, konnte also kaum verhindern, dass an seine letzte große Rede zur Lage der EU besondere Maßstäbe angelegt werden. Mit seinen Hinweisen auf Geleistetes und Zugesagtes wie die 10 000 Mann starke europäische Grenzschutzpolizei wirkte Juncker allerdings seltsam kraftlos – fast so, als könne er diese Union nicht mehr verstehen, in der alle Familienmitglieder zwar von Demokratie sprechen, einige von ihnen aber die Axt an die Meinungsfreiheit anlegen. In der sich zwar Millionen für die Integration von Flüchtlingen einsetzen, aber ein paar Handvoll Populisten reicht, um der Gemeinschaft den Schneid abzukaufen.
Die EU steht vor einem heißen Herbst, der alle Stolpersteine bietet, die sich die Gegner eines gemeinsamen Europas nur wünschen können – von der Flüchtlingsfrage über die Digitalsteuer bis zum Klimaschutz. Jean-Claude Juncker hätte mit einer Ruck-Rede, wie sie Deutschland schon einmal mitgerissen hat, ein Signal zum Aufbruch setzen können, ja vielleicht sogar müssen. Stattdessen wirkte er selbst wie ein Suchender.