Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein Klavier, ein Klavier!
Die Straßenpianos füllen die Stadt wieder mit Musik. Zeit für Faszination und Überraschung. Nicht alles ist ein Genuss
Reichlich überraschend kam das Klavier am Ende bei Familie Panislovski doch nicht an. Gleich mehrfach wurde das Ankommen inszeniert: Im Sketch von Loriot soll die Ankunft von „Muttis Klavier“mit der Videokamera festgehalten werden, was die Möbelpacker und auch Familie Panislovski überfordert. Dieser Videodreh ging 1978 reichlich in die Hose. 40 Jahre später hat sich an der Faszination Klavier nichts verändert.
In diesem Jahr haben sich viele Augsburger auf das „Ankommen“der zehn Straßenpianos gefreut. Die Aktion im vergangenen Jahr hallte lange nach. Vielen Menschen hat die Aktion Freude bereitet, das eigene Spiel, das Zuhören, die Betrachtung der aufwendig gestalteten und einzigartigen Klaviere.
Nun habe ich mein eigenes Klavier. Es ist natürlich nicht mein eigenes Musikinstrument und spielen kann ich es (leider) auch nicht, aber höre gerne zu – meistens. Und nun habe ich am Elias-Holl-Platz ein Klavier in Hörweite. Ich sehe es nicht, aber in den vergangenen Tagen bin ich oft extra aufgestanden und voller Neugier von meinem Arbeitsplatz in der Lokalredaktion zum Fenster gelaufen, um zu sehen, wer so schön spielt. Das tun erstaunlich viele Passanten, die sich spontan oder gezielt an das Klavier setzen. Sinan El Hammoud hat extra dafür geübt, verrät seine Mutter. Der 13-Jährige ist einer der Spieler, die mich ans Fenster bewegt haben. Er spielt die bekannte Filmmelodie aus „Die fabelhafte Welt der Amelie“. „Ich kann es nicht aussprechen, aber ich kann es aufschreiben“, sagt er mir und notiert „Comptine d’Un Autre Été“in meinen Block. Yann Tiersen hat mit seiner Musik zum Erfolg des Films beigetragen und damit ein Lieblingslied für Sinan El Hammoud geschaffen. Er präsentiert es nicht nur am Elias-Holl-Platz, sondern sucht gemeinsam mit einem Kumpel nach der
Schule gleich verschiedene Instrumente auf. „Ich habe mich sehr über die Aktion gefreut.
Es macht Spaß, vor anderen Menschen zu spielen, und sie damit glücklich zu machen“, sagt er. Mich hat er glücklich gemacht. Genauso wie das Mädchen, das hoch konzentriert und beseelt zugleich die Melodie des tschechischen Films „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“zum Besten gibt. Es geht auch anders. Der Flohwalzer wird täglich mehrmals aufs Klavier geklopft, was wahrlich kein Genuss ist. Das reißt mich nicht vom Hocker und ist glücklicherweise meist nur ein kurzes Gastspiel der Klavierspieler, die nun einmal nichts anderes spielen können. Patrick Friemel, der den nebenanliegenden Fri- seursalon „Curl“betreibt, ist die Masse an Flohwalzern auch schon aufgefallen, bestätigt er lachend. „Aber es gibt auch viele, die richtig gut spielen können. Und das querbeet: Von klassischer Musik, über neuere Stücke und Filmmusik“, sagt er.
Ich finde, es ist immer eine Überraschung und ein spannender Moment, wenn die ersten Töne erklingen und mich kurz aufhorchen lassen: Spielt jemand gut, spielt jemand schlecht, was spielt er überhaupt? Freilich hängt es oft davon ab, wie viele Lieder jemand auswendig in seinem Repertoire hat. Patrick Friemel lernt seit vier Jahren Klavier – bewusst hat er sich für das Instrument entschieden. „Als Jugendlicher habe ich Gitarre und Bass in einer Band gespielt. Dann hat sich die Band aufgelöst. Ich wollte mich nicht mehr an Leute binden und ein Instrument lernen, das ich allein spielen konnte“. Das Klavier war ein Kindheitstraum, den sich der 39-Jährige mit seinem Unterricht nun selber erfüllt hat. In den Arbeitspausen geht er über den Platz und spielt ein Stück. „River flows in you“des südkoreanischen Pianisten Yiruma ist es, womit er mich ans Fenster gelockt hat. Er selber hat an einem Abend für eineinhalb Stunden die Tür des Friseursalons geöffnet und die Musik in seinem Laden ausgemacht, denn auf dem Elias-HollPlatz spielte ein Klavierspieler eineinhalb Stunden gemeinsam mit einem Gitarristen. „Sie haben auch zusammen gesungen. Das war wunderbar“, erzählt Patrick Friemel. Die städtische Aktion läuft noch bis zum 30. September. Viel Zeit für viele weitere wunderbare Momente.
Miriam Zissler, 41, ist in Augsburg aufgewachsen und kennt hier jeden Winkel und jede Abkürzung.
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