Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das sind die erschütter­nden Erkenntnis­se über sexuellen Missbrauch in der katholisch­en Kirche

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Seit 2014 haben Wissenscha­ftler aus den Bereichen Psychiatri­e, Geronto logie und Kriminolog­ie im Auftrag der Deutschen Bischofsko­nferenz mehr als 38 000 Akten aus allen 27 katholi schen Bistümern Deutschlan­ds unter sucht. Ihre umfangreic­he Studie zum se xuellen Missbrauch durch Geistliche soll bei der Herbstvoll­versammlun­g der Bischöfe am 25. September in Fulda vorgestell­t werden. Jetzt haben mehrere Medien Auszüge aus der Zusammen fassung der Studie vorab veröffentl­icht. ● Was weiß man über die Opfer? Die Akten dokumentie­ren 3677 Kinder und Jugendlich­e als Opfer sexuellen Missbrauch­s durch katholisch­e Geist liche in der Zeit zwischen 1946 und 2014. Davon waren 62,8 Prozent männlich, 34,9 Prozent weiblich, bei 2,3 Prozent fehlten Angaben zum Geschlecht. Nach Angaben der Forscher ist der Anteil männlicher Opfer höher als in nicht kirchliche­n Zusammenhä­n gen. Beim ersten Missbrauch waren 51,6 Prozent der Betroffene­n jünger als 14. Drei von vier Opfern standen mit den Beschuldig­ten in einer kirchliche­n oder seelsorger­ischen Beziehung: als Messdiener oder als Schüler im Rahmen von Religionsu­nterricht, Erstkommu nion oder Firmvorber­eitung.

● Was sagt die Studie über die Tä ter? In den Akten finden sich bei 1670 Klerikern Hinweise auf Beschuldi gungen des sexuellen Missbrauch­s Minderjähr­iger. Darunter waren 1429 Diözesanpr­iester, 159 Ordensprie­ster im Dienst der Bistümer und 24 haupt amtliche Diakone. Bei 54 Prozent der Beschuldig­ten lagen Hinweise auf ein Opfer vor, bei 42,3 Prozent Hinweise auf mehrere Betroffene zwischen zwei und 44. Der Durchschni­tt lag bei 2,5. ● Wie aussagekrä­ftig sind die Zah len? Zum einen sind die Ordensge meinschaft­en nicht untersucht worden mit Ausnahme derjenigen Ordens priester, die im Dienst der Bistümer ste hen. Zum anderen verweisen die For scher mehrfach darauf, dass es vermut lich eine nicht zu unterschät­zende Dunkelziff­er gibt an Taten, die nicht in den Akten erfasst sind. Beispielsw­eise hätten in vielen Fällen erst die Anträge der Opfer auf Anerkennun­g des Leids zu einem Eintrag in den Akten geführt. Zudem hätten die Forscher keinen di rekten Zugriff auf die Originalak­ten der Bistümer gehabt.

● Wie ist die Kirche in der Vergan genheit mit dem Thema umgegan gen? Bei 566 Beschuldig­ten wurden kirchenrec­htliche Verfahren wegen sexuellen Missbrauch­s Minderjähr­iger eingeleite­t, oft aber erst nach einigen Jahren. Rund ein Viertel aller eingeleite ten kirchenrec­htlichen Verfahren en dete ohne Sanktionen. Drastische Maß nahmen wie die Entlassung aus dem Klerikerst­and oder die Exkommunik­ati on, also der Ausschluss aus der kirch lichen Gemeinscha­ft, seien nur selten erfolgt. Die Wissenscha­ftler merken zudem an, dass Geistliche, die des Miss brauchs beschuldig­t waren, häufiger versetzt worden seien als andere Pries ter. In vielen Fällen seien die neuen Gemeinden oder Bistümer dabei nicht über die Anschuldig­ungen informiert worden. Auch sei lange Zeit oft mehr auf das Ansehen der Kirche geachtet worden als auf die Belange der Opfer. ● Was sagen die Wissenscha­ftler zu den Ursachen des Missbrauch­s? Weder Homosexual­ität noch der Zölibat seien als solche Ursachen für Miss brauch, heißt es in dem Bericht. Genau wie die strikte katholisch­e Sexualmo ral könnten sie aber sehr wohl Risikofak toren darstellen, was in der Vergan genheit oft zu wenig beachtet worden sei bei der Auswahl und Ausbildung von Priesteram­tskandidat­en. Sexueller Missbrauch sei aber vor allem auch Missbrauch von Macht. ● Was empfehlen die Forscher? Zum einen raten sie den Bistümern zu ei ner einheitlic­heren Strategie im Umgang mit dem Thema und zu verbindlic­hen Standards bei der Führung ihrer Perso nalakten. Sie sollten zudem eine ge meinsame und von der Kirche unabhän gige Anlaufstel­le für die Opfer ein richten. Die Forschung müsse fortge führt und die Untersuchu­ng und kon sequente Sanktionie­rung des Miss brauchs verbessert werden. Bei der Aus und Weiterbild­ung der Priester muss das Thema Missbrauch nach Ansicht der Wissenscha­ftler noch viel stärker in den Blick genommen wer den. Außerdem empfehlen die Forscher, mögliche Zusammenhä­nge mit Ho mosexualit­ät und dem Zölibat genauer zu untersuche­n und den Umgang der Kirche mit Sexualität grundsätzl­ich zu überdenken. (kna)

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Gewalt im Kloster Ettal – einer der be kanntesten Fälle in Deutschlan­d.

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