Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Finanz- und Eurokrise ist die Mutter vieler Probleme

Leitartike­l Mit dem weltweiten Banken-Beben vor zehn Jahren brachen nicht nur Geldhäuser zusammen, sondern auch das Vertrauen in die Mächtigen schwand

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Das Zitat könnte vom Münchner Ironie-Großmeiste­r Karl Valentin stammen: „Erwachsene sind lernfähig, aber unbelehrba­r.“Der Satz wird aber dem Pädagogen und Professor Horst Siebert zugeschrie­ben. Seine Erkenntnis passt wie die Faust aufs Auge eines traurigen Jubiläums: Vor zehn Jahren kollabiert­e die USBank Lehman. In der Folge bebte die globale Finanzbran­che.

Die Wirtschaft­swelt stand lediglich einige Zentimeter vor dem Abgrund, es schwindelt­e ihr. Beinahe wäre sie in die Tiefe gestürzt. Nur langsam ließ sich der Kapitalism­us durch Staaten, die Milliarden an Hilfsgelde­rn springen ließen, und Zentralban­ken, die Geld immer billiger machten, vom Schwindel befreien und vom Abgrund im Zeitlupen-Tempo wegziehen.

Haben wir nun ausreichen­d Lehren aus dem schlimmste­n Finanzdesa­ster seit der Weltwirtsc­haftskrise Ende der 20er und im Verlauf der 30er Jahre gezogen? Hier muss man leider mit dem Pädagogen Siebert antworten: Zunächst gelobten viele, lernfähig zu sein, aber am Ende erwiesen sich dann doch die meisten als unbelehrba­r. In Abwandlung des Fassbinder-Films „Angst essen Seele auf“lässt sich konstatier­en: Gier frisst Verstand.

Gier nach immer höheren Renditen lässt allzu viele Zocker jegliche ein Finanzsyst­em stabilisie­rende konservati­ve Vorsicht missachten. Wenn Menschen einmal Dollarzeic­hen in den Augen haben, ist alles zu spät. Gier macht sie blind und hungrig. Sie stürmen mit einem Tunnelblic­k voran, ohne nach rechts und links zu blicken, wo warnende Spielverde­rber ihre Köpfe aus dem Gras recken.

So schätzt nicht nur der frühere Präsident der Europäisch­en Zentralban­k, Jean-Claude Trichet, die Lage an den Finanzmärk­ten mit einem Verweis auf die Verschuldu­ng der Schwellenl­änder als genauso gefährlich wie vor zehn Jahren ein. Und OECD-Chef Angel Gurría, ein wohltuend ehrlicher und selbstkrit­ischer Ökonom, erinnert sich mit Grausen an 2008: „Wir haben uns geirrt, und wir müssen es zugeben. Wir haben nichts kommen sehen.“Mit hoher Wahrschein­lichkeit wiederholt sich aber alles.

Denn die Finanzmärk­te sind zwar durch höhere Anforderun­gen an die Eigenkapit­alausstatt­ung von Banken stärker reguliert worden. Die Fesseln sitzen aber locker und lassen sich abstreifen, wenn der Gier das Wasser im Munde zusammenlä­uft. So hat jetzt ein norwegisch­er Börsenmakl­er mit dem Namen Einar Aas als einer der reichsten Männer des Landes sein Vermögen leichtsinn­ig zerstört. Er wettete nämlich darauf, die Strompreis­e würden sich in den skandinavi­schen Staaten den teureren deutschen angleichen. Das Gegenteil war der Fall, weil es nach langer Dürre im Norden kräftig zu regnen anfing. Die Stauseen liefen voll und Wasserkraf­t verbilligt­e sich deutlich. Aas war erledigt. Eine bizarr-schaurige Geschichte über die Unbelehrba­rkeit des Menschen.

Die Finanz- und die spätere Eurokrise ist eben die Mutter vieler Probleme. Hier irrt der auf das Thema Migration fixierte CSU-Chef Horst Seehofer. Denn spätestens seit 2008 hat viele Menschen, auch wenn sie im Wohlstand leben, ein tiefes Unbehagen gegenüber Globalisie­rung, Bankern und Politikern gepackt. Das Vertrauen in das Establishm­ent ist weiter geschwunde­n. Es setzte sich die fatale Meinung durch, Bankern, also den Großen, werde geholfen, den Kleinen nicht. Daher führt ein Weg über die Finanz- und Eurokrise zum NeoPopulis­mus unserer Tage.

Am Ende kommen Parteien wie die AfD in Deutschlan­d, eine abstruse italienisc­he Regierung und die selbstzers­törerische Brexit-Bewegung in Großbritan­nien heraus. Übrigens oft von Menschen getragen, die unbelehrba­r wirken.

Das Desaster kann sich wiederhole­n

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