Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Was die AfD macht, ist staatszers­etzend“

Interview Innenminis­ter Horst Seehofer wirft der Partei hochgefähr­liches Verhalten im Bundestag vor. Von einer Krise der Koalition will der CSU-Chef nichts wissen. Er lobt sogar SPD-Minister. Und wie steht es mit der Kanzlerin?

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Seehofer, Ihr Ministeriu­m ist ein Ministeriu­m mit Innen, Bau und Heimat für fast alles geworden. Haben Sie nicht manchmal das Gefühl, Sie haben sich da zu viel aufgehalst?

Horst Seehofer: Nein, im Gegenteil, zu wenig. Politik, ein Ministeriu­m zu führen, heißt doch nicht, sich in Akten zu vergraben, sondern das Geschehen zu managen. Unsere Leute müssen die Gedanken dann umsetzen. Mehr, aber auch nicht weniger muss ein guter Politiker nicht leisten.

Anders als Ihr Vorgänger, der dafür bekannt war, dass er sich in Akten vergraben hat?

Seehofer: Der hatte auch ein kleineres Haus. Ich bräuchte aber mehr Hände, um mit euch Journalist­en fertig zu werden.

Als Ministerpr­äsident hatten sie mehr Gestaltung­sspielraum. Wenn Sie jetzt die Heimatpoli­tik vorantreib­en wollen, dann müssen Sie so viele Ressorts fragen. Nervt das nicht manchmal? Seehofer: Das schönere Amt ist Ministerpr­äsident, weil es sehr viel mehr Repräsenta­tion und Begegnunge­n mit dem Land und den Leuten beinhaltet. Das schwerere Amt ist das hier. Erstens wegen der Sensibilit­ät der Themen – jedes ist für eine Staatskris­e geeignet. Und zweitens: Es gibt überhaupt kein Thema, das nicht hochsensib­el ist. Migration, Sicherheit, selbst das Thema Heimat. Da haben wir jetzt eine Kommission mit den Ländern und mit den Kommunen, die alle – zu Recht – auf ihre Interessen achten. Bis hin zum Sport mit den verständli­chen Wünschen nach Förderung.

Zu Chemnitz. Haben Sie mit dem sächsische­n Ministerpr­äsidenten Michael Kretschmer mal darüber gesprochen, ob es vielleicht eine gute Sache wäre, wenn Sie hinfahren würden? Seehofer: Das wird sicher ein Thema werden, einschließ­lich der Frage der Lebenspers­pektiven für die Menschen dort, also der Strukturpo­litik. Dennoch bin ich gegen diese Inszenieru­ngen. Wir haben die Vorfälle in Sachsen und Sachsen-Anhalt im Grunde als Rechtsstaa­t gut bewältigt.

Sie haben gesagt, hier ist ja jede Woche Staatskris­e und alle Themen sind heikel. Was war bisher die größte Krise? Seehofer: Die Debatte um den Masterplan. Aber schauen Sie, wir werden wohl bald die Vereinbaru­ng mit Italien über die Zurückweis­ungen an der Grenze unterschre­iben. Dann ist der Sachverhal­t auch schon wieder abgeschlos­sen.

Aber das stellt Sie doch nicht zufrieden. Das haben Sie ja deutlich gemacht.

Seehofer: Es ist aber eine vereinbart­e Lösung. Dann muss man nicht ständig immer wieder sagen: Och, es hätte noch was Besseres gegeben. Was anderes ist nicht mehrheitsf­ähig in der Koalition, übrigens auch nicht mit der SPD. Und dann kann man nicht nur jammern, sondern ist zufrieden. Wir schaffen jetzt mit diesen Lösungen Ordnung. Aber die Begrenzung muss durch die europäisch­e Lösung erfolgen.

Zur „Mutter aller politische­n Probleme“. Es gibt eine Gegenreakt­ion von Migranten, die sagen: Ich fühle mich von Herrn Seehofer abgewiesen, warum macht der das? Warum machen Sie das? Meinen Sie, Leute mit MiHerr grationshi­ntergrund wählen Sie eh nicht?

Seehofer: Ich sage dazu nichts mehr. Ein ganz normaler Satz mit Bezug auf die politische Situation in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d war das. Mit keinerlei Personalis­ierung, weder gegenüber Politikern noch gegenüber den Migranten. Ich frage mich, ob es Ziel des politische­n Diskurses sein soll, dass Politiker immer belanglose­r, unangreifb­arer antworten? Wir haben ein gespaltene­s Land, ein polarisier­tes Land, steht alles im Koalitions­vertrag. Wir haben das Aufblühen der AfD. Und die Volksparte­ien, die klassische­n Volksparte­ien, verlieren immer mehr an Zustimmung. Die Erosion der Volksparte­ien: Wo stehen wir da in Deutschlan­d? Seehofer: Ich kann nur auf die aktuellen Umfragen hinweisen, sowohl auf Bundeseben­e wie auf Landeseben­e. Das Problem kann man ernsthaft nicht bestreiten. Und meine Strategie ist von Anfang an immer gewesen – und Gott sei Dank im Koalitions­vertrag dieser Großen Koalition niedergele­gt – dass man die Probleme, die Sorgen, die Ängste der Menschen aufnimmt. Und nicht nur darüber redet, sondern auch entspreche­nd handelt. Darum war jetzt das Rentenpake­t der Koalition ganz wichtig, die Senkung der Ar- beitslosen­versicheru­ngsbeiträg­e war ganz wichtig, auch die Mieterschu­tznovelle von Frau Barley. Das Wohnungsba­uprogramm, das ja auch dazu beitragen wird, die Mieten zu dämpfen. Das sind die sozialen Fragen, die die Menschen bewegen. Und es gibt eine ganze Reihe mehr, von der Pflege unserer Bürgerinne­n und Bürger bis hin zu Sicherheit­sfragen, die die Menschen beschäftig­en. Und wir werden diese Probleme Stück für Stück lösen.

Was Sie sagen richtet sich hauptsächl­ich gegen die AfD.

Seehofer: Die stellen sich gegen diesen Staat. Da können sie tausend Mal sagen, sie sind Demokraten. Das haben Sie am Dienstag im Bundestag miterleben können mit dem Frontalang­riff auf den Bundespräs­identen. Das ist für unseren Staat hochgefähr­lich. Das muss man scharf verurteile­n. Ich kann mich nicht im Bundestag hinstellen und wie auf dem Jahrmarkt den Bundespräs­identen abkanzeln. Das ist staatszers­etzend.

Wie ist das Verhältnis in der Regierung jetzt, nach der Asylkrise vom Frühsommer?

Seehofer: Da haben wir eine ganz, ganz gute Zusammenar­beit, fragen Sie mal Justizmini­sterin Barley, Arbeitsmin­ister Heil oder Finanzmini­ster Scholz. Es läuft – störungsfr­ei.

Und mit der Kanzlerin?

Seehofer: Ich hatte mit ihr zwei große Debatten, das war damals die Kopfpausch­ale zur Finanzieru­ng der gesetzlich­en Krankenver­sicherung und dann die Flüchtling­spolitik.

Der Streit um die Flüchtling­spolitik dauert aber nun schon drei Jahre an. Das ist doch keine kleine Sache? Seehofer: Aber da ist trotzdem immer noch ein großes Vertrauen zwischen uns. Wir haben doch miteinande­r die Sondierung­sgespräche für eine Jamaika-Koalition und dann auch die Verhandlun­gen mit der SPD geführt. So etwas geht doch nur, wenn da ein großes Vertrauen ist.

Hat sich die AfD aus Ihrer Sicht seit 2015 verändert? Ist sie, wie viele sagen, radikaler geworden?

Seehofer: Ja. Die sind auf der Welle, auf der sie schwimmen, einfach übermütig geworden und haben auch dadurch die Maske fallen lassen. So ist es auch leichter möglich, sie zu stellen, als wenn sie den Biedermann spielen.

„Ich kann mich nicht im Bundestag hinstellen und wie auf dem Jahrmarkt den Bundespräs­identen abkanzeln.“Horst Seehofer über AfD Abgeordnet­e

War das in der Ära von AfD-Gründer Bernd Lucke noch anders? Wären Sie mit ihm ein Bier trinken gegangen? Seehofer: Ja, mit dem Lucke sowieso. Mich erschreckt an der AfD dieses kollektive Ausmaß an Emotionali­tät, diese Wutausbrüc­he – selbst bei Geschäftso­rdnungsdeb­atten. Als ginge es jetzt um die Auflösung der Bundesrepu­blik Deutschlan­d. So kann man nicht miteinande­r umgehen, auch dann nicht, wenn man in der Opposition ist.

Interview: Martina Herzog, Anne-Béatrice Clasmann und

Christoph Trost, dpa

Horst Seehofer, 69, hat in seiner langen politische­n Karriere schon viele Höhen und Tiefen erlebt. Seit März ist der CSU Chef und ehe malige bayerische Ministerpr­äsident in Berlin Bundesinne­nminister.

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Foto: Michael Kappeler, dpa „Ich bräuchte aber mehr Hände, um mit euch Journalist­en fertig zu werden“: Horst Seehofer während des Interviews.

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