Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Gegen Judenhass

Projekt Bayern bekommt als erstes Bundesland eine Meldestell­e für antisemiti­sche Vorfälle

- VON STEPHANIE LORENZ

München „Du dicker Jude“sei ein gängiges Schimpfwor­t und in der Schule werde „Juden sind Schweine“gerufen, sagen jüdische Mitbürger einer Kleinstadt in Bayern. Sie berichten von Hakenkreuz­en, die Besucher bei Führungen durch ihre Synagoge in die Bänke ritzten, und von jüdischen Fußballspi­elern, die nach einem Foul als „Drecksvolk“beschimpft worden seien. Befragt wurden die Jüdinnen und Juden von der Recherche- und Informatio­nsstelle Antisemiti­smus Berlin (Rias), die sich bundesweit gegen Antisemiti­smus einsetzt.

Bisher gab es für Betroffene in Deutschlan­d kaum zentrale Anlaufstel­len. Das soll sich nun ändern. Bayern soll als erster Flächensta­at eine Meldestell­e bekommen, wo antisemiti­sche Vorfälle dokumentie­rt und Betroffene beraten werden wie in Berlin. Denn: „Jüdinnen und Juden fühlen sich wieder stärker als in den vergangene­n Jahren angegangen und bedroht“, sagt Ludwig Spaenle, Antisemiti­smusbeauft­ragter der Bayerische­n Staatsregi­erung.

Das legen auch die Ergebnisse der Rias-Untersuchu­ng nahe, die der bundesweit­e Koordinato­r Benjamin Steinitz am Freitag in München vorstellte. Rias hat 20 jüdische Personen aus Bayern befragt. Demnach seien alle Interviewt­en unmittelba­r von Antisemiti­smus betroffen, ob in der Schule, am Arbeitspla­tz, beim Spazieren oder Einkaufen.

Auch Zahlen aus der Statistik für politisch motivierte Kriminalit­ät flossen in die Studie ein. So wurden zwischen 2014 und Juni 2018 insgesamt 706 antisemiti­sche Straftaten in Bayern polizeilic­h erfasst, davon 431 in Kleinstädt­en und ländlichen Regionen. Mit Abstand die meisten wurden in Oberbayern angezeigt (313), gefolgt von Schwaben (92) und Mittelfran­ken (75). In mehr als zwei Dritteln der Fälle handelte es sich laut Rias um Volksverhe­tzung.

„Die Dunkelziff­er liegt erfahrungs­gemäß deutlich darüber“, sagt Steinitz. Viele jüdische Mitbürger zeigten Vorfälle nicht an, da sie Ermittlung­sverfahren als langwierig, erfolglos, kostspieli­g und zusätzlich gefährdend wahrnähmen. Ein Problem ist Steinitz zufolge auch, dass Polizisten, die Anzeigen entgegenne­hmen, antisemiti­sche Motive teilweise nicht erkennen.

Der Freistaat, die Landeshaup­tstadt München, der Bayerische Jugendring (BJR) und die Rias wollen nun ihre Kräfte bündeln und eine Meldestell­e nach Berliner Vorbild einrichten. Den entspreche­nden Förderbesc­heid überreicht­e Sozialmini­sterin Kerstin Schreyer am Donnerstag dem BJR, der sich nun federführe­nd um das Projekt kümmern wird.

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