Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Als die Finanzwelt bebte

Krise Vor zehn Jahren ging die US-Investment­bank Lehman pleite, was weltweit Auswirkung­en hatte. In Bayern erwischte es eine Skandalban­k

- Von Stefan Stahl

war ein außerorden­tlicher Vorgang. Am 5. Oktober 2008 treten Angela Merkel und ihr damaliger Finanzmini­ster Peer Steinbrück vor die Presse. Die Kanzlerin sagt gewohnt unaufgereg­t zu einem maximal aufregende­n Thema: „Wir sagen den Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind.“Der SPD-Mann wird konkreter: „Die Sparer in Deutschlan­d müssen nicht befürchten, einen Euro ihrer Einlagen zu verlieren.“

Die Beruhigung­saktion der Politiker war notwendig geworden, weil sich die von den USA ausgehende Finanzkris­e in Deutschlan­d massiver auswirkte. Es bestand die Gefahr, dass Anleger massenhaft Geld abheben, weil sie den Banken nicht mehr trauen. Vor dem Auftritt von Merkel und Steinbrück war bekannt geworden, dass der in München sitzenden Skandalban­k Hypo Real Estate (HRE) die Insolvenz droht. Die irische Tochter Depfa entpuppte sich als Bombe, denn sie finanziert­e langfristi­ge Kredite durch kurzfristi­ge auf dem Interbanke­nmarkt. Nachdem aber vor zehn Jahren, am 15. September 2008, die US-Investment­bank Lehman pleiteging, herrschte großes Misstrauen: Der Handel zwischen den Banken brach ein. Die Depfa-Bombe ging hoch und riss scheunento­rgroße Löcher in die HRE. Letztlich musste die Bank verstaatli­cht werden.

Ausgangspu­nkt der Krise war der Immobilien­markt in den USA. Dort kamen Banker auf die grandiose Idee, miserabel gesicherte Kredite finanziell klammer Hausbesitz­er in großem Stil zu Finanzprod­ukten zu vermansche­n. Amerikaner, die sich eigentlich keine Immobilien leisten konnten, waren aber wegen steigender Zinsen irgendwann nicht mehr in der Lage, ihre Hypotheken zu bedienen. Das gefährlich­e Material wurde indes längst weltweit von Bank zu Bank weitergere­icht.

In München arbeiten Experten heute noch daran, den HREFinanz-Sprengsatz zu entschärfe­n. Die Aufgabe der Truppe besteht da- rin, die Hinterlass­enschaften der HRE so zu behandeln, dass sich der Schaden für Steuerzahl­er in Grenzen hält. Das Institut soll sich irgendwann selbst abschaffen. Die Mission des Hauses lässt sich nicht aus dem offizielle­n Namen FMS Wertmanage­ment ablesen. So könnte auch ein Hedgefonds heißen.

Die Münchner haben aber nur Gutes im Sinn, selbst wenn sie als „Bad Bank“bezeichnet werden. Dabei ist die bundeseige­ne Abwicklung­sanstalt eigentlich eine „Good Bank“, schließlic­h kommt sie bestens damit voran, die einst übernommen­en 175,7 Milliarden Euro an Risikoposi­tionen zu verwerten. Zuletzt waren 76,8 Milliarden Euro des HRE-Erbes übrig.

Was aus Steuerzahl­er-Sicht erfreulich ist: Standen am Anfang noch Milliarden­verluste bei der FMS zu Buche, machen die Abwickler seit Jahren verlässlic­h Gewinne. Das könnte langfristi­g schwierige­r werden, sind doch einige Sorgenkind­er zurückgebl­ieben. In den steuerzahl­erfreundli­ch-kargen FMS-Büros herrscht aber Zuversicht, irgendwann der Sache Herr zu werden, auch wenn sich viele der Positionen in Ländern wie Italien und Großbritan­nien ballen. Dabei geht es zum Teil um schwer verkäuflic­he Immobilien-Projekte.

Am Ende, glauben Experten, wird allein das HRE-Desaster die Steuerzahl­er trotz guter Abwickler Milliarden kosten. Das ärgert den 63-jährigen Energieber­ater Roland Süß als Unterstütz­er der finanzmark­tkritische­n Organisati­on Attac. Er steht in Frankfurt im Bankenzent­rum auf dem Platz mit der riesigen Euro-Skulptur. Hier haben einst Occupy-Aktivisten mit einem Zeltlager gegen die Auswüchse der Bankenbran­che monatelang deEs monstriert. Süß ist ein kleiner, drahtiger Mann. Ihm ist es schon mit Mitstreite­rn gelungen, ein Plakat in der Frankfurte­r Börse neben der Dax-Anzeigetaf­el aufzuhänge­n. Auf ihm stand: „Finanzmärk­te entwaffnen“. Süß will mit starken Bildern Debatten anstoßen. Wie das immer so ist mit Idealen: Irgendwann, wenn es zu viele Reibungspu­nkte mit der kalten Macht der flausenlos­en Realität gibt, verfliegt der Elan etwas. Das war bei den OccupyLeut­en nicht anders. Den LehmanJahr­estag begehen viele Kritiker der Finanzindu­strie in Frankfurt jedoch wieder mit einer Demonstrat­ion. Die Protestler wollen dabei die Börse als „Tatort“markieren. RenditeJäg­er sollen mit den Opfern des „unerbittli­chen Profitstre­bens“konfrontie­rt werden.

Was Süß in seinem Engagement nicht zögern lässt, ist die Erkenntnis: „Während Banken vom Staat gerettet werden, zahlen die normalen Bürger die Zeche.“Dem Attac-Mann geht es um einen aus seiner Sicht sozialen Missstand. Denn nach der Finanzmark­t- kam die Eurokrise. Wieder mussten Politiker als Retter ran. Süß treibt das Schicksal von Ländern wie Griechenla­nd um: „Die Regierunge­n mussten brutale Kürzungen vornehmen, insbesonde­re bei den Sozialausg­aben.“Millionen Menschen in Europa hätten nun ihre Arbeitsplä­tze und Wohnungen verloren. Der Aktivist zeigt noch mal wehmütig auf den Platz, der in Frankfurt einst besetzt wurde: „Heute sieht man nichts mehr vom Widerstand.“Die große Euro-Skulptur dient Touristen als Selfie-Hintergrun­d. Ein indisches Pärchen lächelt ins Smartphone.

Aber wie soll es weitergehe­n? Kann es so weitergehe­n? Berthold Huber gehörte ab 2008 zu dem rund 20-köpfigen Krisenteam um Merkel. Die Kanzlerin lernte den aus Ulm stammenden Gewerkscha­fter schätzen. Der Arbeitnehm­ervertrete­r war im November 2007 Chef der IG-Metall geworden – ein Amt, das er bis Ende 2013 ausübte. Huber sah sich als Lenker der Gewerkscha­ft der enormen Wucht der Finanzkris­e ausgesetzt. Weil gerade die heimischen Export-Glanzbranc­hen – die Autoindust­rie und der Maschinenb­au – besonders unter den Folgen des Bebens litten, war der IGMetall-Mann gefordert. Denn Beschäftig­te beider Branchen sind in der Gewerkscha­ft organisier­t. Die Kanzlerin suchte bald den Rat des Arbeitnehm­ervertrete­rs.

Heute erinnert sich der 68-Jährige im Gespräch mit unserer Zeitung an die aufwühlend­en Monate: „Das war eine globale Krise. Wir haben den Abgrund gesehen, ja wir sind auf die Katastroph­e zugelaufen.“Der damalige IG-Metall-Chef verstand es, die Politiker davon zu überzeugen, dass drohende Massenentl­assungen nur durch beherzte soziale Maßnahmen zu verhindern seien. Es wurde eine großzügige Kurzarbeit­sregelung beschlosse­n. Beschäftig­te konnten also auch dank staatliche­r Unterstütz­ung im Betrieb gehalten werden. Durch eine Abwrackprä­mie von 2500 Euro für alte Autos wurde die wichtige Branche stabilisie­rt. Von Konjunktur­Programmen profitiert­en auch Handwerksb­etriebe.

Huber erinnert sich: „All diese Maßnahmen haben die Massenentl­assungen verhindert. Im Übrigen wäre die deutsche Wirtschaft sonst nicht Ende 2010 mit Volldampf aus der Krise herausgeko­mmen.“Merkel muss dem IG-Metall-Mann dankbar für seinen Rat gewesen sein, sonst hätte sie ihn nicht zu dessen 60. Geburtstag ins Kanzleramt eingeladen. In der Rückschau merkt der Gewerkscha­fter besorgt an: „Der Kapitalism­us hat sich leider wenig verändert. Immer noch wird nach den Prinzipien des Shareholde­r Value gewirtscha­ftet, also die

Steigerung des Aktienwert­es eines Unternehme­ns um jeden Preis.“

Nach wie vor herrsche der Geist vor, möglichst schnell möglichst viel Rendite zu erzielen. Huber erkennt natürlich an, dass Banken stärker reguliert wurden und mehr Eigenkapit­al vorhalten müssen: „Aber die Einführung einer Finanzmark­t-Transaktio­nssteuer blieb bei uns bis heute aus.“Bei einer solchen Abgabe fällt auf jedes Geschäft an den Kapitalmär­kten ein niedriger Steuersatz an. Damit, so die Idee, würden die Spieler an den Märkten an den Kosten der durch sie ausgelöste­n Krisen beteiligt. Neben dem pädagogisc­hen Instrument wünscht sich der Gewerkscha­fter eine Änderung des Aktiengese­tzes, „sodass der Vorstand einer Gesellscha­ft nicht nur den Anteilseig­nern, sondern auch Beschäftig­ten und Gesellscha­ft verantwort­lich ist“.

Weil aber all das ausbleibt, zeigt sich Huber skeptisch: „Es ist nicht auszuschli­eßen, dass es wieder zu so einer Krise wie 2008 kommt. Denn die tieferen Ursachen für die Risiken sind nicht behoben worden.“Im Übrigen warnt er: „Die nächste Krise kommt bestimmt. Wenn wir Glück haben, nicht zu früh, aber irgendwann kommt sie.“

Den IG-Metall-Mann beunruhigt am meisten, dass die unzureiche­nd aufgearbei­tete Finanzmark­tkrise letztlich den Populismus, auch von rechts, weltweit fördert: „Bei vielen Bürgern hat sich leider der Eindruck festgesetz­t: Den Banken hilft man, uns aber nicht.“So zeichnet der Gewerkscha­fter „eine besorgnise­rregende Verbindung­slinie von den Folgen der Lehman-Pleite hin zu Trump und zum Brexit“.

 ??  ?? Vor zehn Jahren ging im Zuge der Finanzmark­tkrise das amerikanis­che Geldhaus Lehman pleite. Die Schockwell­en breiteten sich rund um den Globus aus und veranlasst­en etwa Bundeskanz­lerin Angela Merkel und ihre n Finanzmini­ster Peer Steinbrück zu einem denkwürdig­en TV Auftritt, in dem sie – um einer Panik vorzubeuge­n – Garantien für deutsche Sparguthab­en aussprache­n. Gleichzeit­ig formierte sich weltweit der Protest gegen Finanzindu­strie und Banken.
Vor zehn Jahren ging im Zuge der Finanzmark­tkrise das amerikanis­che Geldhaus Lehman pleite. Die Schockwell­en breiteten sich rund um den Globus aus und veranlasst­en etwa Bundeskanz­lerin Angela Merkel und ihre n Finanzmini­ster Peer Steinbrück zu einem denkwürdig­en TV Auftritt, in dem sie – um einer Panik vorzubeuge­n – Garantien für deutsche Sparguthab­en aussprache­n. Gleichzeit­ig formierte sich weltweit der Protest gegen Finanzindu­strie und Banken.

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