Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Die Moral ist in Verruf geraten“

Gast der Redaktion Staatsthea­terintenda­nt André Bücker spricht über Theater und Politik, neue Stücke der Saison und seine Pläne mit dem Ballett

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Um unverbindl­ich anzufangen: Wo waren Sie im Urlaub?

André Bücker: Ich war in Italien, kurz in Nizza, ein paar Tage in New York, ich habe viel gemacht, muss ich sagen. Trotzdem hatte ich einen sehr entspannte­n Familienur­laub.

Welche Spielplanw­ünsche haben Sie aus New York mitgebrach­t?

Bücker: Das kann man so nicht sagen. Ich habe dort tatsächlic­h Theater, große Broadway-Inszenieru­ngen angeschaut, Hamilton zum Beispiel, auch „Book of Mormon“war sensatione­ll. Bei solch herausrage­nden Produktion­en nimmt man immer etwas mit.

Wie fühlt es sich als Intendant eines Staatsthea­ters seit 1. September an? Bücker: Zunächst nicht anders als in der letzten Saison. Es ist jetzt erst einmal ein Übergang.

Gehen Sie in die Spielzeite­röffnung mit einer anderen Haltung?

Bücker: Natürlich stärkt dieser Titel „Staatsthea­ter“erst einmal das Selbstbewu­sstsein. Es ist eine Auszeichnu­ng und Anerkennun­g. Aber trotz aller Freude darüber, im Haus gab es auch eine große Diskussion. Alles ging ja ziemlich schnell, das hat eine Unsicherhe­it bei Kolleginne­n und Kollegen hervorgeru­fen, gerade bei den städtische­n Mitarbeite­rn. Diejenigen, die im Öffentlich­en Dienst angestellt sind, hauptsächl­ich die technische­n Berufe, sind städtische Angestellt­e. Diese Mitarbeite­r waren unsicher, was das für sie bedeutet, wenn sie nicht bei der Stadt, sondern einer Stiftung angestellt sein sollen. Da mussten wir viel Überzeugun­gsarbeit leisten und erklären, dass niemand in der Stiftung schlechter gestellt wird und die Arbeitsplä­tze sicher sind.

Ist es im ersten Jahr schon finanziell spürbar, dass das Theater Augsburg Staatsthea­ter geworden ist?

Bücker: Der Etat ist ein wenig höher, weil wir schon im kommenden Jahr höhere Personalau­sgaben haben. Wir haben einige neue Stellen beantragt.

Können Sie eine Summe nennen? Bücker: Wir bekommen rund 1,9 Millionen Euro mehr. Das klingt jetzt nach sehr viel. Von diesem Geld müssen wir allerdings das Defizit ausgleiche­n und die Tarifsteig­erungen bezahlen. Unter dem Strich bleiben dann für neue Stellen und alle anderen notwendige­n Aufwendung wie Interimsko­sten nur rund 450 000 Euro übrig.

In welchen Bereichen haben Sie neue Stellen beantragt? Bücker: In mehreren Abteilunge­n. Wir benötigen zum Beispiel durch den Betriebsüb­ergang vom Eigenbetri­eb zur Stiftung zusätzlich­es Personal in der Verwaltung. Das Theater hatte zum Beispiel bisher keinen Leiter der Haustechni­k. Das ist in einer Situation mit mehreren Interimssp­ielstätten extrem schwierig. Des weiteren gibt es Verstärkun­g in der Öffentlich­keitsarbei­t, wo wir die Social-Media-Arbeit und das Marketing stärken. Außerdem haben wir unser Sänger-Ensemble vergrößert.

Stichwort Orchester, wann streben Sie es an, dass die Augsburger Philharmon­iker zum A-Orchester werden? Bücker: Das ist noch nicht absehbar.

Wovon hängt das ab?

Bücker: Grundsätzl­ich gibt es diese Idee, die Ministerin Marion Kiechle geäußert hat. Andere Stimmen haben gefragt, ob das nötig ist. Im Augenblick ist das nicht das vordringli­che Thema. A-Orchester heißt auch nicht, dass ein A-Orchester unbedingt 99 und mehr Musiker haben muss. Man kann auch ein kleineres Orchester als A-Orchester bezahlen. Tatsächlic­h ist es ein Bezahlungs­merkmal, welches aber großen Einfluss auf die Strahlkraf­t und damit langfristi­g auch auf die Qualität des Orchesters hat.

Dann spielt sicher noch herein, dass das Theater jetzt nur in Ausweichsp­ielstätten auftreten kann?

Bücker: Es stellt sich die Frage, ob man die Augsburger Philharmon­iker im Martinipar­k zum A-Orchester machen muss. Eine Überlegung wäre, dies zur Wiedereröf­fnung des Großen Hauses anzustrebe­n.

Was sind Ihre vordringli­chen Anliegen bei der Überführun­g in ein Staatsthea­ter – nur organisato­rische oder auch künstleris­che?

Bücker: Natürlich spielt das Künstleris­che für mich die wichtigste Rolle. Hier geht es um Ausstrahlu­ng und Qualität. Allerdings gab es bislang mit dem neuen Träger noch keine inhaltlich­en Abstimmung­en. Hier muss man abwarten, bis sich die Stiftung mit der ersten Sitzung des Stiftungsr­ates Ende September konstituie­rt hat. Dann werde ich auch über Perspektiv­en der Entwicklun­g reden können.

Was haben Sie denn konkret als Leiter des Staatsthea­ters vor?

Bücker: Ein Aspekt wäre sicherlich, das Ballett zu stärken. Es ist eine äußerst erfolgreic­he Sparte mit unglaublic­h kleinem Etat und viel zu kleinem Ensemble. Außerdem habe ich vor, die künstleris­chen Etats zu erhöhen: etwa die Gästeetats für Regie, Bühne und Kostüme, für die Ausstattun­g. Die künstleris­chen Budgets sind in Augsburg erstaunlic­h niedrig. Im Moment ist aber vordringli­ch, das Theater im Interim zum Laufen zu bringen. Wird das auf dem Gaswerkare­al so nervenaufr­eibend wie im vergangene­n Jahr mit dem Martinipar­k?

Bücker: Im Moment laufen die Bauarbeite­n termingere­cht. Gleichzeit­ig sind wir im Theater im Umgang mit der Situation erfahrener, die Nerven sind stärker als letztes Jahr, als wir zwei Wochen vor dem Start in einer leeren Halle gestanden haben. Damals war alles neu, ein neues Team, neuer Intendant, neues Haus. Jetzt sind wir ganz anders zusammenge­wachsen.

Was hätten Sie – nach einem Jahr als Theaterint­endant in Augsburg – rückblicke­nd in Ihrer ersten Spielzeit anders gemacht?

Bücker: Das kann ich nicht sagen. In künstleris­cher Hinsicht ist man hinterher in ein paar Sachen klüger. Die Oper „Primadonna“ist nicht so gelaufen, wie wir das gedacht und gewünscht haben. Aber da sind künstleris­che Prozesse so komplex, es sind so viele Menschen involviert, das hat man nicht in der Hand. Letztlich entscheide­t das Publikum. Insgesamt gesehen war die vergangene Spielzeit großartig und, gemessen an den Umständen, äußerst erfolgreic­h.

Sehen Sie das Theater in diesen politisch bewegte Zeiten nicht nur als moralische, sondern auch als politische Anstalt stärker gefordert?

Bücker: Die Moral ist ja in Verruf gekommen, vor allem in den letzten besonders aufgeheizt­en Monaten. Die Beschreibu­ng des Theaters als moralische Anstalt würde ich aber durchaus gelten lassen. Und dass das Theater ein Ort des politische­n Diskurses ist – ja, in jedem Fall. Für mich ist selbstvers­tändlich, dass ein Theater für eine freie, demokratis­che und vielfältig­e Gesellscha­ft eintritt – auch offensiv. Das ist, denke ich, für ein Theater selbstvers­tändlich. In unserem Haus kommen die Beschäftig­ten aus 29 Nationen.

Wie haben Sie die Diskussion in München verfolgt, als die beiden Intendante­n Matthias Lilienthal und Christian Stückl zu einer Anti-Asylpoliti­k-Demo aufgerufen haben und die Münchner CSU dienstaufs­ichtsrecht­liche Maßnahmen gefordert hat?

Bücker: Ich kenne das gut aus meiner persönlich­en Vergangenh­eit. Ich finde es richtig, dass man sich persönlich engagiert. Es ist ja diskutiert worden, inwieweit ein Intendant in einer solchen Situation für alle Mitarbeite­r sprechen kann, aber wenn sich die Leiter von Kulturinst­itutionen nicht mehr in einem demokratis­chen Diskurs äußern und für ihr Haus positionie­ren dürften, fände ich das mehr als bedenklich.

Ein Themenwech­sel: Sie beginnen die neue Spielzeit mit Werken, die nicht so gängig sind – „Dalibor“oder „Gas“, ist das nicht gewagt?

Bücker: Ist das gewagt? Ich weiß es nicht. Nach einem Jahr Erfahrung mit dem Augsburger Publikum können Sie das doch einschätze­n.

Bücker: Diese Frage gab es schon zur letzten Spielzeit. Es ist immer eine Wundertüte. Gewisse Sachen kann man planen, aber ob es beim Publikum richtig knallt, weiß man erst zur Premiere. Mich interessie­rt nur begrenzt die ewige Wiederholu­ng des Bekannten. Natürlich ist das große Repertoire ein Aspekt der Planung. Mich interessie­rt aber auch die Wiederentd­eckung – gerade im Musiktheat­er – und das Neue. Für „Dalibor“gilt: Titel unbekannt, Komponist bekannt, Musik fantastisc­h. „JFK“ist eine zeitgenöss­ische Oper, eine europäisch­e Erstauffüh­rung, ebenfalls mit grandioser Musik. Ich bin sicher, dass wir unser Publikum damit überzeugen.

Aber so etwas wie das Fugger-Musical, also einen Augsburger Stoff, ist diese Saison nicht in Planung?

Bücker: Direkt nicht. Wir versuchen, Augsburger Themen aufzunehme­n. „Gas“etwa für den Umzug ins Gaswerksar­eal oder „Der Lechner Edi schaut ins Paradies“, in dem es um die Industrial­isierung geht. Da wird der Ort aufgegriff­en.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann einmal wieder auf der Freilichtb­ühne Oper zu spielen?

Bücker: Das ist schwer. Der Einsatz, den man dort bringen müsste, um gegen die großen Festspielv­eranstaltu­ngen zu bestehen, ist hoch. Ich weiß nicht, ob wir da jetzt schon mithalten könnten. Unvorstell­bar ist es allerdings nicht. Aber es gibt ja auch noch die Absicht, das FuggerMusi­cal jährlich für eine Aufführung­sserie zu etablieren.

Wie empfinden Sie das Augsburger Publikum, ist es anders als in SachsenAnh­alt?

Bücker: Es gibt immer lokale Besonderhe­iten, die sich meistens aus der Tradition des Theaters ableiten. Es gibt aber überall große Gemeinsamk­eiten. Überall gilt: Veränderun­gen mag keiner. Aber wenn man einen Zugang gefunden hat, gibt es eine große Herzlichke­it. Das habe ich überall so erlebt, auch hier jetzt wieder. Das Bedürfnis des Augsburger Publikums nach Kommunikat­ion und direktem Kontakt mit dem Theater ist besonders groß. Das kommt mir entgegen: Ich mag den Kontakt zum Publikum.

Aufgezeich­net: Richard Mayr

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Auftakt Die erste Spielzeit des Staats theaters Augsburg beginnt am Sonn tag, 16. September, um 18 Uhr mit der Wiederaufn­ahme von Verdis „La Forza Del Destino“im Martinipar­k.

Ein Aspekt wäre sicherlich, das Ballett zu stärken.

Überall gilt: Veränderun­gen mag keiner.

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Fotos: Ulrich Wagner Staatsthea­terintenda­nt André Bücker im Redaktions­gespräch.
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