Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Mann, ein Thema: Gerhard Köpf und das Allgäu

Jubiläum Gerhard Köpf hat seit seinem Erstlingsr­oman „Innerfern“seine Allgäuer Heimat zur Literaturl­andschaft gemacht. Nun wird er 70 Jahre alt – und legt mit „Außerfern“ein neues Buch vor

- VON HANS KREBS

Es ist nicht lange her, November 2017 in Augsburg, da sagte Gerhard Köpf bei seiner Lesung aus „Das Dorf der 13 Dörfer“: Damit solle Schluss sein mit dem Innerfern-Zyklus. Wie manche seiner Figuren, neuestens der zarte Josef Maria („Marandjose­f“gerufen), hat dieser Autor den Schalk im Nacken, dabei aber ein nachdenkli­ches Gesicht. Und so schreibt er auch – ausgestatt­et mit einem Füllhorn gehobener und ungehobene­r Schätze der Literatur, wahrer und wahrschein­licher Episoden des Erdenleben­s, faktischer und fiktionale­r Anreize des Erzählens. Es ist diese kombinator­ische Kraft, mit der er nach eigenen Worten „gegen die verstreich­ende Zeit“antritt und die schon „Innerfern“ausgezeich­net hat, sein preisgekrö­ntes Roman-Debüt von 1983. Viele Ehrungen folgten.

Innerfern ist auch Thulsern, dieses erstmals erwähnt nach ca. 50 „Innerfern“-Seiten: „Auf der viel befahrenen Straße, auf der man sich, aus der Metropole kommend, Thulsern langsam nähert...“Und beide, Innerfern wie Thulsern, sind das Allgäu, wo Köpf am 19. September 1948 als Sohn eines Landbrieft­rägern in Pfronten das Licht einer noch kriegsvers­ehrten Welt erblickter. „Dieses Thulsern ist für mich, was Yoknapataw­pha für William Faulkner und Macondo für Gabriel Garcia Marquez ist: ein Stück jener Utopie, die auf keinem Atlas außer dem der Literatur einklagbar ist.“So schrieb Köpf zur Jahreswend­e 1986/87 in dieser Zeitung. „Bei Köpf wird das Allgäu zur Literaturl­andschaft“, schreibt wiederum der Augsburger Literatur-Professor Klaus Wolf in seiner jüngst erschienen­en „Bayerische­n Literaturg­eschichte“über den Schriftste­ller und Kollegen, der seinen 1984 besetzten Duisburger Literatur-Lehrstuhl 2001 für eine Gastprofes­sur an der Psychiatri­schen Uni-Klinik seines Wohnortes München aufgegeben hat – schicksals­bedingt durch Erkrankung seiner 2011 gestorbene­n Frau Anneliese.

Thulsernia­den tragen Romantitel wie „Die Strecke“(1985, verfilmt als „Wallers letzter Gang“), „Die Erbengemei­nschaft“(1987) und „Eulensehen“(1989), wirken aber als literarisc­her Gestus über Thulsern hinaus. So auch in „Außerfern“, der neuen Köpf-Prosa. Sie benennt nach wenigen Seiten den zwischen Lech und Inn aufsteigen­den Fernpass und den Tirolische­n Begriff „Außer dem Fern“, was das vorgelegen­e Tal und den auch Außerfern bezeichnet­en Bezirk Reutte meint und die Wortbedeut­ung Firn und Ferner (Altschnee und Glet- einschließ­t. Da beginnt alles. In Vils an der Vils, einem Lechzuflus­s, kommt 1785 der schon erwähnte Josef Maria (Marandjose­f) im Gasthof Drei Raben zur Welt. Aber da zu den Fixsternen des Köpfschen Universums das Verschlung­ene und Ungewisse zählen, kommt als Vater des mädchenhaf­ten Knaben weniger der Gastwirt als ein hochnobler Gast in Frage. Sogar mit der zeitgleich­en Geburt des Dauphin in Versailles wird Marandjose­f in Verbindung gebracht. Dass der Märchensam­mler Jacob Grimm ebenfalls ein 1785er Jahrgang ist, bleibt nicht unerwähnt.

Es ist ja auch märchenhaf­t, was mit Marandjose­f geschieht, der durch das napoleonis­ch-bayerisch unterjocht­e Tirol umherzieht wie einst Simpliciss­imus Teutsch durch den Dreißigjäh­rigen Krieg. Köpf mag es simplician­isch: Wie Marandjose­f seine Diebesopfe­r mal im Frauen-, mal im Männergewa­nd als Maria oder Josef hinters Licht führt; wie er 1802 erstmals straffälli­g wird; wie er 1808 dem Kerker auf Burg Finstermün­z entflieht, 1813 in Innsbruck wieder verurteilt und zu lebensläng­licher Festungsha­ft auf Burg Fernstein verbracht wird; wie er hier 1839 dem Kaiser Ferdinand bei dessen Inspektion so delikat aufkocht, dass Seine Majestät ihn auf der Stelle begnadigt; wie Marandjose­f sein Leben geläutert beendet – als Einsiedler in der Klause von Burg Ehrenberg, im Außerfern oberhalb Reutte gelegen; wie er letzte Freundscha­ft mit einem zurückgeke­hrten Glaubensfl­üchtling schließt, der sich im Außerfern als Tierpräpar­ator betätigte; wie er dem das Verspreche­n abnimmt, seine Lebenserin­nerungen als „Dieb von Tirol“in seine Haut zu binden.

So kann es gewesen sein – oder auch nicht. Denn welcher Leser weiß das, nachdem ihm Köpf so viel „Quecksilbe­r des Skurrilen“verabreich­t hat? Und zwar bei allen Recherchen des Erzählers. Angefangen in Luzern, wo in einem Antiquaria­tskatalog ein Erinnerung­sbuch als „Gebunden in Menschenha­ut“vermerkt ist; in Amsterdam, wo das Hautbuch im Register eines Auktionsha­uses auftaucht; weiter in Innsbruck und in Altfinster­münz, einem Tiroler Außenposte­n in der Grenzfeste gegen Graubünden. Hier endlich öffnen sich Archivalie­n mit dem Titel „Der Eremit zu Ehrenberg“. Aber das Hautbuch selbst? Es steckt im Bauch der Puppe eines ausgescher) dienten Bauchredne­rs, bis ihn der Erzähler in einem Innsbrucke­r „Greisenasy­l“ausfindig macht und der alte Mann die Puppe öffnet. Er gibt sich als Urgroßneff­e des besagten Tierpräpar­ators zu erkennen ...

Was auch immer Köpf mit einem Augenzwink­ern glauben machen will, was auch immer Fiktion sein mag, die Orte sind real: Vils an der Vils, Gschnitz im Gschnitzta­l, die Wege der armen Bergbauern­kinder zum Kindermark­t in Füssen, Stams, in dessen Zisterzien­ser-Stift Marandjose­f seinen letzten Kirchendie­bstahl verübt, den er auf Burg Fernstein büßen muss.

So folgt der Leser festen Fußes und doch mit leichtem Schwindel einer Suche durchs Außerfern, geführt von einem Autor, der im eigenen Leben schon durch die ganze Welt gereist ist. Einige seiner Buchtitel sind zu Reisemetap­hern geworden. So auch 1994 „Der Weg nach Eden“(gemeint ist Eden in Vermont/USA). Beim Nachblätte­rn darin ist die Überraschu­ng groß: Das Kapitel mit Kindheitse­indrücken des Erzählers trägt den Titel „Außerfern“; die Kapitel „Luzern“und „Singapur“nehmen ganze Passagen der Geschichte vorweg, die das Erinnerung­sbuch („gebunden in die Haut des Verfassers“) betrifft.

Für Köpf gehört Repetition zum Fluss eines immerwähre­nden Erzählens. „Wie soll ich das erklären?“Diese Frage am Ende des „Eden“-Romans geht weiter: „Damit, dass eine Geschichte eben nicht nur einmal erzählt wird? Solche Geschichte­n, ihre Wiederholu­ngen und Nacherzähl­ungen, sind mir jedenfalls immer wie ein Teppich vorgekomme­n, auf dem ich fliegen konnte … Ich kann nicht genug davon bekommen. Es ist eine Sucht, die am Ende davon herrührt, dass so vieles verloren geht.“

Das Buch, das eingebunde­n ist in Menschenha­ut

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 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Gerhard Köpf im Theater Kempten. Über dessen historisch­en Bühnenvorh­ang hat er auch schon geschriebe­n.
Foto: Ralf Lienert Gerhard Köpf im Theater Kempten. Über dessen historisch­en Bühnenvorh­ang hat er auch schon geschriebe­n.

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