Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mehr Geld für wechselwillige Dieselfahrer?
Verkehr Minister Scheuer bringt eine höhere Umstiegsprämie ins Spiel. Das ist sehr umstritten
Augsburg Für Dieselfahrer wird es immer enger. Nach Hamburg und Stuttgart, wo Ende des Jahres Fahrverbote kommen, werden alte Diesel nun wohl auch aus Frankfurt ausgesperrt. Zudem hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) 34 Städte verklagt und fordert auch dort Fahrverbote. Der Grund ist eine zu hohe Stickoxid-Belastung – und Dieselfahrzeuge gelten als Hauptverursacher. Nun will Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die Fahrer alter Dieselmodelle offenbar mit noch höheren Prämien-Zahlungen dazu bewegen, ihre Autos gegen Neuwagen umzutauschen.
In einer Videobotschaft hat der Minister angekündigt, noch in dieser Woche ein Konzept vorlegen zu wollen, wie ältere Diesel sauberer und Fahrverbote verhindert werden können. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte Scheuer außerdem: „Den Besitzern alter Diesel müssen höchst attraktive Angebote für den Wechsel in saubere Autos gemacht werden.“Seiner Ansicht nach sollen die Autohersteller Dieselhaltern bessere Angebote machen, damit diese sich einen Neuwagen anschaffen.
Die Hersteller hatten schon im vergangenen Jahr eine Prämie angeboten, die das gleiche Ziel hatte: Alte Diesel von der Straße zu holen und durch neue zu ersetzen. Viele dieser Rabatt-Aktionen sind inzwischen ausgelaufen, zum Teil gab es bis zu 10000 Euro Nachlass. Scheuer sagte dazu: „Die bisherigen Kaufprämien waren offenbar nicht attraktiv genug, sonst hätten sie mehr Leute genutzt.“Darüber, was er sich unter attraktiveren Prämien vorstellt, ist nichts zu erfahren. Aus seinem Ministerium heißt es auf Nachfrage nur: Für weitere Einzelheiten bleibe das Konzept des Ministers abzuwarten. Wann er das vorstellen will, lässt das Ministerium offen.
Den Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer regt Scheuers Verhalten maßlos auf. „Dass Herr Scheuer erst jetzt ein Konzept erarbeitet, zeigt, wie planlos er ist. Das Konzept kommt drei Jahre zu spät.“Schon ab dem ersten Tag nach Bekanntwerden der Abgasmanipulationen von VW hätte der damalige Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) handeln müssen, findet Dudenhöffer. Aber Dobrindt und sein Nachfolger Scheuer hätten es versäumt, die Autobauer zu Hardware-Nachrüstungen zu zwingen. „Deshalb trägt Herr Scheuer eine Mitschuld an den Fahrverboten“, sagt der Autofachmann von der Uni Duisburg.
Auch Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH, erzürnt Scheuers Vorschlag: „Es kann nicht
Die Experten sind skeptisch
sein, dass Herr Scheuer vorschlägt, dass Autos, die zum Teil höchstens drei Jahre alt sind, verschrottet werden, damit die Menschen sich neue Autos kaufen.“Er gibt zu bedenken, dass viele Dieselfahrer sich das gar nicht leisten können. Und die Rabatte? Schon jetzt gebe es beim Neuwagenkauf Rabatte von 20 bis 30 Prozent, sagt Resch. „Scheuers Vorschlag ist einfach untauglich.“
Zudem ist umstritten, wie viel sauberer die Luft werden würde, wenn mehr Euro-6-Diesel auf der Straße unterwegs wären. In einer Studie zur Umwelt-Prämie aus dem Juli 2018 schreibt Dudenhöffer: „Viele Euro-6-Diesel haben zum Teil im normalen Fahrbetrieb einen höheren Stickoxidausstoß als alte Euro-4-Diesel.“Die Umwelthilfe kommt bei Untersuchungen zum gleichen Ergebnis: Neuere Dieselautos sind nicht zwingend sauberer. Um Fahrverbote zu verhindern, brauche es laut Dudenhöffer Hardware-Nachrüstungen. Immerhin schließt Scheuer die nicht mehr aus: „Wir denken nach allen Seiten.“
Wahlkampf kann Politiker erstaunlich mutig werden lassen. Im Werben um die Stimmen der Bürger oder besser gesagt aus Angst, die Gunst der Menschen zu verlieren, wachsen manche Volksvertreter einen Meter über sich hinaus. Sie legen sich plötzlich mit starken Interessengruppen an, denen die Abgeordneten in wahlkampffreien Zeiten nur äußerst ungern auf die Füße treten. So schleicht sich Verkehrsminister Andreas Scheuer, weil eben in Bayern und Hessen gewählt wird, plötzlich kampfeslustig an die mächtigste deutsche industrielle Lobby-Gruppe, die Autobranche, heran. Er traut sich, die Konzerne mit Forderungen nach höheren Rabatten für den Kauf eines sauberen Diesels zu konfrontieren.
Da mag es zweitrangig sein, dass der CSU-Mann trotz Audi- und BMW-Arbeitsplatzmacht in seiner bayerischen Heimat wohl nur durch das Schielen auf Wählerstimmen zur Einsicht gekommen ist. Am Ende sind die Motive ziemlich egal, das Ergebnis zählt. Und dieses muss darin bestehen, die in Deutschland fahrende DieselFlotte deutlich sauberer und damit die Luft gerade in Städten reiner zu machen. Sonst drohen zu Recht weitere und einschneidende Fahrverbote. Es ist nicht mehr hinnehmbar, dass in einigen Städten an bestimmten Straßen die Grenzwerte für die Stickoxidbelastung immer noch überschritten werden.
Und das, obwohl bekannt ist, wie extrem gesundheitsschädlich diese Abgase sind. Experten führen jährlich den Tod von tausenden Menschen in Europa auf viel zu hohe Stickoxid-Emissionen zurück. Die Politik muss also handeln. Das ist eine Frage der Gefahrenabwehr.
Die Gerichte, das hat sich bereits gezeigt, entscheiden im Zweifel für die Gesundheit der Menschen und gegen die Rendite-Interessen der Fahrzeugindustrie. Am Ende müssen Scheuer und Bundeskanzlerin Angela Merkel die Konzerne mächtig unter Druck setzen, möglichst viele Euro-5-Diesel mit Hardwarelösungen nachzurüsten. Denn es reicht bei weitem nicht, eine neue Software aufzuspielen. Mit diesem billigen Trick dürfen die Unternehmen nicht davonkommen. Wer wie Volkswagen so lange Fahrzeugkäufer betrogen hat, der sollte den Schaden endlich wiedergutmachen.
Was das Wichtigste ist: Am Ende muss die Maxime des in Haushaltsfragen wohltuend konservativen SPD-Finanzministers Olaf Scholz gelten, dass die Branche die Kosten für die Nachrüstung nicht einmal zum Teil auf die Steuerzahler abwälzen darf. Hier sollte das Verursacherprinzip greifen, auch wenn die Auto-Unternehmen in solchen Fällen gerne drohend auf die hohe Zahl an Arbeitsplätzen, die sie bieten, verweisen. Wie gut, dass Wahlkämpfer Scheuer überzeugt ist, der Staat sei kein Autohändler. Hierin täuscht er sich übrigens, wie zumindest die deutsche Subventionsgeschichte gezeigt hat. Denn nach der Finanzmarktkrise vor zehn Jahren wurde der Staat indirekt zu einem solchen Autohändler, als Bürger 2500 Euro Abwrackprämie bekamen, wenn sie einen neuen Wagen kauften und den alten weggaben. Das darf sich nicht wiederholen, schließlich rutschte Deutschland damals in eine tiefe und gefährliche Rezession. Heute geht es dem Land und vor allem der Autoindustrie insgesamt trotz Diesel-Krise gut. Erfreulich positive Bilanzen erlauben ein Stück Wiedergutmachung. Scheuer kann beweisen, dass er wirklich nicht „der Buddy der Auto-Bosse ist, sondern der Partner der Dieselfahrer“, sozusagen der Genosse der Bürger. Er muss schnell handeln, denn die Wahl und mögliche Stimmen der Dieselfahrer in Bayern und Hessen lassen nicht mehr allzu lange auf sich warten.
Am Ende könnte Wahlkampf für bessere Luft in Deutschland sorgen. Wunder sind möglich.
Volkswagen muss den Schaden wiedergutmachen