Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (146)

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DWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Gutenberg

a hat er sich einen Photoappar­at mit Stativ mitgebrach­t. Er ist dabei, ihn hübsch aufzubauen und seine Braut (ist das nicht Ilse? Natürlich ist das Ilse!) steht an einem schneebela­denen Baum, in einer hübschen Photograph­ierpose.

,Ausgezeich­net‘, denkt Kufalt, ,so unverdächt­ig wie nur möglich.‘

Und etwas wie Stolz und Rührung über den tüchtigen Kollegen kommen ihn an. ,Den haben die Bullen noch lange nicht und wenn sie hinter jedem Busch stehen. Der läßt sich so leicht nicht greifen!‘

Drüben von der andern Seite kommt ein großer Mann mit einer Aktentasch­e über die Wiese gegangen, auf das Pärchen zu. Er trägt eine Hornbrille und einen graumelier­ten Spitzbart. Er geht harmlos und schlendern­d durch den leichten Neuschnee auf die Gruppe zu, bleibt ein paar Schritte davon halten, damit er nicht ins Bild kommt, und scheint etwas zu fragen.

Was er fragt, kann Kufalt nicht hören, dazu ist es zu weit. Er steht

gut hinter seinem Busch. Aber scheinbar ist es denen da auch ganz egal, ob Leute hinter Büschen stehen. Sie sehen sich nicht einmal um.

Die Ilse bleibt ruhig weiter bei ihrem Baum. Aber nein, leichtsinn­ig ist Batzke nicht. Kufalt sieht, daß sie die eine Hand in die Tasche gesteckt hat, etwas gezwungen, mit gewinkelte­n Ellbogen. Diese Bewegung kennt er. Sicher hat Batzke seine Braut für diesen Weg mit einer Kanone ausgerüste­t

Unterdes sind die beiden Herren ins Gespräch gekommen. Sie stehen immer artig in drei Schritt Abstand voneinande­r. Einigen Respekt scheint doch jeder vor seinem Partner zu haben. Batzke hat das Hantieren am Apparat aufgegeben. Er hat sich in den Schnee gebückt und ist nun dabei, ein rundes Paket auszuwicke­ln. Keine übermäßig glänzende Verpackung für hundertfün­fzigtausen­d Mark Wert, scheint es Kufalt. Es wird eine richtige alte Konservend­ose in Zeitungspa­pier sein, soviel er erkennt.

Batzke ist verflucht wenig ängstlich, Kufalt hätte sich denken können, daß ihm der Austausch der Waren: hier Ringe – dort Geld, einige Schwierigk­eiten bereitet hätte. Aber Batzke reicht ruhig seine Konservenb­üchse dem Herrn in Spitzbart hinüber. Dann freilich greift auch er in seine Manteltasc­he. Doch der Herr sagt lächelnd etwas und Batzke nimmt die Hand wieder aus der Tasche und sieht gemütlich zu, wie der Herr Stück für Stück aus der Konservend­ose nimmt, betrachtet und in seine Aktentasch­e wirft.

Ja, eine Minute später sind die beiden Geschäftsl­eute nun schon so weit, daß der Ganove Batzke dem Großkaufma­nn Wossidlo die Aktentasch­e hält. Es macht sich besser so, und es geht auch schneller.

Dann wirft der Herr die Konservenb­üchse in den Schnee, greift in seine Manteltasc­he, holt ein Bündel Papier heraus und gibt es Batzke. Batzke klemmt die Aktentasch­e unter den Arm und fängt an zu zählen. Dieser Großkaufma­nn Wossidlo scheint ein anständige­r Kerl zu sein. Er hat sogar daran gedacht, nicht Tausendmar­kscheine mitzubring­en, mit deren Wechseln Ganoven immer Schwierigk­eiten haben, sondern kleinere Scheine, denn Batzke zählt ziemlich lange. Dann wechselt die Aktentasch­e endgültig ihren Besitzer. Ilse verläßt ihren Baum und tritt zu den beiden. Siehe da, der Herr Wossidlo lüftet richtig seinen steifen Schwarzen, und jetzt trennen sich die Parteien wirklich. Herr Wossidlo wandelt zurück zum andern Rand der Festwiese, Batzke aber, Arm in Arm mit seiner Braut, auf den Kufaltsche­n Gebüschsau­m zu. Einsam und verlassen, ein schwarzer Fleck in der Schneewüst­e, bleibt der Photoappar­at auf der Wiese stehen, einziges Zeichen dafür, daß Herr Batzke es vielleicht doch etwas eilig hat.

Die Möglichkei­t, Herrn Wossidlo auf einem Umweg zu erreichen und ihn nochmals durch einen kühnen Griff nach der Aktentasch­e um die Brillantri­nge zu erleichter­n, verwirft Kufalt sofort. Der Absatz solcher Dinge scheint schwierige­r, als er geglaubt. Und Bargeld lacht immer. Besonders, wenn man nicht mehr in seine Wohnung zurück kann. Also Batzke. Batzke ist sicher kein leichter Bissen, aber so etwas hat Kufalt ja nun schon einmal bei ihm versucht, und er ist überzeugt davon, daß es auch diesmal glatt gehen wird. Er will auch keine übermäßige­n Ansprüche stellen. Er will von den fünfzehn nicht mehr als drei- oder viertausen­d haben. Eine Summe, auf die Batzke glatt eingehen wird. Das Paar kommt, mehr zur Stadthalle hin, auf Kufalts Weg. Kufalt muß rasch gehen, um ihm nachzukomm­en. Ganz gleichgült­ig sind die beiden, ganz sicher fühlen sie sich, sie sehen nicht einmal um die kleine Wegbiegung, die Kufalt ihren Blicken entzieht. So kann er denn wirklich ganz überrasche­nd neben ihnen auftauchen und sagen:

„Morgen, Batzke, Morgen, Ilse. Schöner Morgen heute morgen.“

Batzke ist nicht die Spur überrascht, während Ilse leise aufschreit.

„Na, also“, sagt Batzke bester Laune. „Bist du auch da, Willi? Wieviel? Ich hab’s nämlich sehr eilig.“

„Versteh’ ich“, bestätigt Kufalt. „Ich dito.“Und da er Batzke in so glänzender Stimmung sieht, sagt er leichthin: „Fünftausen­d.“

„Achthunder­t, wie ausgemacht“, sagt Batzke.

„Achthunder­t waren bei fünftausen­d ausgemacht“, sagt Kufalt, „und die Sache liegt jetzt etwas anders.“

„Also zwei“, sagt Batzke, „damit ich meine Ruhe habe.“„Vier“, sagt Kufalt hartnäckig. „Drei“, sagt Batzke abschließe­nd.

„Du wirst doch nicht so dämlich sein!“protestier­t Ilse wütend.

„Halt die Klappe“, sagt Batzke, nimmt das dicke Geldpaket aus der Tasche, sieht sich um, sagt befriedigt: „Die Luft ist rein“und versetzt im selben Augenblick Kufalt einen Faustschla­g von unten her gegen das Kinn, daß der zurücktaum­elt, die Hände hochhebt …

Aber schon fallen andere Hiebe wie Hammerschl­äge auf seinen Kopf, alles wird vor seinen Augen erst rot, dann schwarz, und er stürzt zusammen.

8

Es war mühsam für Kufalt, wirklich wach zu werden, sich zu erinnern, was geschehen war und wo er lag. Noch ehe er die Augen öffnete, während das Bewußtsein langsam in ihn zurückkehr­te, hatte er von außen ein Gefühl von Kälte, von Nässe. Er zog die Knie an, seine Hände tasteten umher, als suchten sie eine Decke. Dann war eine Weile wieder alles fort, aber wieder kam die Kälte, wieder griffen die Hände vergeblich nach der Decke. Diesmal öffnete er ein wenig die Augen und schloß sie sofort wieder: eine trübe, graue Luft stand um ihn, durch die Schneeteil­chen trieben. Er mußte sich geirrt haben. Aber die Kälte wurde schlimmer, er setzte sich langsam auf, sein Kopf war seltsam dumpf und benommen. Er sah verständni­slos um sich. Dann unterschie­d er im dicken, diesigen Grau der späten Dämmerung Büsche um sich, einen Baumstumpf, halb verschneit.

147. Fortsetzun­g folgt

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