Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Jeden Morgen geht es vor der Schule rund
Verkehr Wie Eltern vor Unterrichtsbeginn für Gefahr sorgen. Und was eine Gersthofer Schule dagegen unternimmt
Alle Schuljahre wieder versuchen Ordnungskräfte, Verkehrsfachleute und Bildungsexperten die Eltern zur Vernunft zu bringen. Man möge die Kinder zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Schule bringen.
Gersthofen/Landkreis Augsburg Diese Szene spielte sich gestern in Fischach ab: Energisch wies Wolfgang Nowak von der Polizeiinspektion Zusmarshausen eine Mutter zurecht, die morgens im absoluten Halteverbot vor der Grund- und Mittelschule Fischach angehalten hatte, um ihren Nachwuchs abzusetzen. Für jeden Schulbus wäre es schwer geworden, an dem Auto vorbeizukommen. Der Polizeioberkommissar und Verkehrserzieher fragte die Frau, ob sie die Bedeutung des Schilds vor ihrer Nase kenne. Sie schüttelte den Kopf.
Schlagwort Elterntaxis: Alle Schuljahre wieder versuchen Ordnungskräfte, Verkehrsfachleute und Bildungsexperten die Eltern zur Vernunft zu bringen. Ihre Forderung: Man möge doch die Kinder, wenn irgend möglich, zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Schule bringen.
Auch das deutsche Kinderhilfswerk und der Verkehrsclub VCD versuchen, Eltern davon zu überzeugen, die Kinder doch lieber zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu begleiten. Ihr Argument: Wer gefahren wird, lernt nie, sich im Verkehr sicher zu bewegen. Außerdem gelten die chauffierenden Erziehungsberechtigten als echtes Verkehrsrisiko. Nach Angaben der Deutschen Verkehrswacht verunglücken Kinder am häufigsten im elterlichen Auto, nicht als Fußgänger auf dem Schulweg. Psychologen kritisieren, dass Elterntaxis die Mädchen und Jungen passiv machten und sie in der Entwicklung behinderten.
Irmgard Frank kann all das aus eigener Erfahrung bestätigen. „Ab 7.45 Uhr geht es rund“, beschreibt die Rektorin den allmorgendlichen Auftrieb vor der Gersthofer Goetheschule. Zwischen Müttern auf Parkplatzsuche und verwegen rangierenden Vätern müssten sich andere Kinder ihren Schulweg suchen. Frank: „Das ist richtig gefährlich.“Und für diese Woche ist damit erst einmal Schluss.
Denn seit gestern bis zum Freitag ist mit Zustimmung der Stadtverwaltung zwischen 7.30 und 8 Uhr die Alpenstraße zwischen Goethestraße und Kapellenstraße für den Durchgangsverkehr gesperrt. Schüler demonstrieren während dieser Zeit für eine geringere Verkehrsbelastung und vor allem gegen die sogenannten „Mama-Taxen“. Die gesperrte Straße wird kurzerhand umfunktioniert: Die Kinder nutzen den gesperrten Verkehrsraum zum Spielen, Rollern oder Frühstücken.
„Wir wollen die Eltern damit sensibilisieren,“sagt Rektorin Frank. Ihr ist klar, dass viele ihre Kinder zur Schule bringen, weil sie um deren Sicherheit fürchten. Zudem gehe es oft schneller und sei für die morgendlichen Abläufe in den Familien bequemer.
Die ersten Reaktionen auf die Straßensperre seien bei den Eltern positiv gewesen, erzählt Frank. „Die meisten waren angetan.“Auch bei den Anwohnern, die eine halbe Stunde lang mit einer gesperrten Straße klar kommen müssen, habe es überwiegend Verständnis gegeben, sagt Frank. „Ein paar haben aber auch geschimpft.“
Mit rund 200 Schülern in acht Klassen ist die Gersthofer Grundschule vergleichsweise klein. Schulbusse fahren dort nicht vor. Die meisten Schüler kommen aus der Umgebung und könnten ohne Weiteres zu Fuß, mit Rollern oder Rädern in die Schule kommen, ist Frank überzeugt. Eltern sollten mit dem Nachwuchs den Schulweg trainieren, zunächst ein Stück mitgehen und dann ihren Kindern vertrauen.
Das Ergebnis von Appellen wie diesem ist überschaubar. Ein Fünftel der Grundschülerinnen und Grundschüler in Deutschland werden einer Umfrage zufolge in der Regel von ihren Eltern zur Schule gefahren. 17 Prozent machen sich mit dem Bus auf den Schulweg, zehn Prozent nehmen das Fahrrad.
Das ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag einer Versicherung. Knapp die Hälfte der Kinder (43 Prozent) geht zu Fuß. Für die Erhebung wurden im April und Mai 2018 insgesamt 502 Eltern von Kindern zwischen sechs und neun Jahren befragt. Laut Kinderhilfswerk und Verkehrsclub VCD legten in den 1970er Jahren noch 90 Prozent der Grundschülerinnen und Grundschüler ihren Schulweg zu Fuß zurück.
Irmgard Frank mag nicht ausschließen, dass Eltern auch während der einwöchigen Straßensperre ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen. Geparkt werde dann eben ein paar Ecken weiter und nur eine kurze Distanz zu Fuß zurück gelegt. „Aber“, findet Rektorin Frank, „das ist dann auch schon was.“
All die Aktionen und Appelle, die sich gegen die sogenannten Elterntaxis richten, die den Nachwuchs in Massen zur Schule bringen, sind ohne Zweifel gut gemeint und – wie im Fall der Gersthofer Goetheschule – auch ein Stück weit aus der täglichen Bedrängnis geboren. Wenn es gut läuft, bringen sie sogar den einen oder anderen dazu, das Auto stehen zu lassen und den Nachwuchs mit dem Roller zur Schule zu schicken. Zumindest, bis die erste Schneeflocke zart zum Boden schwebt. Nur, am grundsätzlichen Problem wird das kaum etwas ändern.
Wenn, so wie im Augsburger Land, rein rechnerisch auf 1,6 Einwohner ein Auto kommt, dann ist davon auszugehen, dass diese Fahrzeuge in einem gewissen Maße auch benutzt werden – unter anderem eben für den Weg zur Schule. Das Mobilitätsverhalten hierzulande ist derart auf das Auto ausgerichtet, dass es geradezu zwangsläufig auch auf die Gestaltung des Schulwegs Auswirkungen haben muss. Wirklich ändern wird sich daran nur etwas, wenn sich das Verkehrsverhalten spürbar wandeln würde. Das aber ist nicht in Sicht.
Das Geschehen in der Schule, so heißt es oft, sei ein Spiegel der Gesellschaft. Das gilt auch für den Schulweg. Wenn unsere Städte im Verkehr ersticken, dann auch die Grundschule an der Ecke.