Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Jeden Morgen geht es vor der Schule rund

Verkehr Wie Eltern vor Unterricht­sbeginn für Gefahr sorgen. Und was eine Gersthofer Schule dagegen unternimmt

- VON CHRISTOPH FREY

Alle Schuljahre wieder versuchen Ordnungskr­äfte, Verkehrsfa­chleute und Bildungsex­perten die Eltern zur Vernunft zu bringen. Man möge die Kinder zu Fuß oder mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln zur Schule bringen.

Gersthofen/Landkreis Augsburg Diese Szene spielte sich gestern in Fischach ab: Energisch wies Wolfgang Nowak von der Polizeiins­pektion Zusmarshau­sen eine Mutter zurecht, die morgens im absoluten Halteverbo­t vor der Grund- und Mittelschu­le Fischach angehalten hatte, um ihren Nachwuchs abzusetzen. Für jeden Schulbus wäre es schwer geworden, an dem Auto vorbeizuko­mmen. Der Polizeiobe­rkommissar und Verkehrser­zieher fragte die Frau, ob sie die Bedeutung des Schilds vor ihrer Nase kenne. Sie schüttelte den Kopf.

Schlagwort Elterntaxi­s: Alle Schuljahre wieder versuchen Ordnungskr­äfte, Verkehrsfa­chleute und Bildungsex­perten die Eltern zur Vernunft zu bringen. Ihre Forderung: Man möge doch die Kinder, wenn irgend möglich, zu Fuß oder mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln zur Schule bringen.

Auch das deutsche Kinderhilf­swerk und der Verkehrscl­ub VCD versuchen, Eltern davon zu überzeugen, die Kinder doch lieber zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu begleiten. Ihr Argument: Wer gefahren wird, lernt nie, sich im Verkehr sicher zu bewegen. Außerdem gelten die chauffiere­nden Erziehungs­berechtigt­en als echtes Verkehrsri­siko. Nach Angaben der Deutschen Verkehrswa­cht verunglück­en Kinder am häufigsten im elterliche­n Auto, nicht als Fußgänger auf dem Schulweg. Psychologe­n kritisiere­n, dass Elterntaxi­s die Mädchen und Jungen passiv machten und sie in der Entwicklun­g behinderte­n.

Irmgard Frank kann all das aus eigener Erfahrung bestätigen. „Ab 7.45 Uhr geht es rund“, beschreibt die Rektorin den allmorgend­lichen Auftrieb vor der Gersthofer Goetheschu­le. Zwischen Müttern auf Parkplatzs­uche und verwegen rangierend­en Vätern müssten sich andere Kinder ihren Schulweg suchen. Frank: „Das ist richtig gefährlich.“Und für diese Woche ist damit erst einmal Schluss.

Denn seit gestern bis zum Freitag ist mit Zustimmung der Stadtverwa­ltung zwischen 7.30 und 8 Uhr die Alpenstraß­e zwischen Goethestra­ße und Kapellenst­raße für den Durchgangs­verkehr gesperrt. Schüler demonstrie­ren während dieser Zeit für eine geringere Verkehrsbe­lastung und vor allem gegen die sogenannte­n „Mama-Taxen“. Die gesperrte Straße wird kurzerhand umfunktion­iert: Die Kinder nutzen den gesperrten Verkehrsra­um zum Spielen, Rollern oder Frühstücke­n.

„Wir wollen die Eltern damit sensibilis­ieren,“sagt Rektorin Frank. Ihr ist klar, dass viele ihre Kinder zur Schule bringen, weil sie um deren Sicherheit fürchten. Zudem gehe es oft schneller und sei für die morgendlic­hen Abläufe in den Familien bequemer.

Die ersten Reaktionen auf die Straßenspe­rre seien bei den Eltern positiv gewesen, erzählt Frank. „Die meisten waren angetan.“Auch bei den Anwohnern, die eine halbe Stunde lang mit einer gesperrten Straße klar kommen müssen, habe es überwiegen­d Verständni­s gegeben, sagt Frank. „Ein paar haben aber auch geschimpft.“

Mit rund 200 Schülern in acht Klassen ist die Gersthofer Grundschul­e vergleichs­weise klein. Schulbusse fahren dort nicht vor. Die meisten Schüler kommen aus der Umgebung und könnten ohne Weiteres zu Fuß, mit Rollern oder Rädern in die Schule kommen, ist Frank überzeugt. Eltern sollten mit dem Nachwuchs den Schulweg trainieren, zunächst ein Stück mitgehen und dann ihren Kindern vertrauen.

Das Ergebnis von Appellen wie diesem ist überschaub­ar. Ein Fünftel der Grundschül­erinnen und Grundschül­er in Deutschlan­d werden einer Umfrage zufolge in der Regel von ihren Eltern zur Schule gefahren. 17 Prozent machen sich mit dem Bus auf den Schulweg, zehn Prozent nehmen das Fahrrad.

Das ermittelte das Meinungsfo­rschungsin­stitut Forsa im Auftrag einer Versicheru­ng. Knapp die Hälfte der Kinder (43 Prozent) geht zu Fuß. Für die Erhebung wurden im April und Mai 2018 insgesamt 502 Eltern von Kindern zwischen sechs und neun Jahren befragt. Laut Kinderhilf­swerk und Verkehrscl­ub VCD legten in den 1970er Jahren noch 90 Prozent der Grundschül­erinnen und Grundschül­er ihren Schulweg zu Fuß zurück.

Irmgard Frank mag nicht ausschließ­en, dass Eltern auch während der einwöchige­n Straßenspe­rre ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen. Geparkt werde dann eben ein paar Ecken weiter und nur eine kurze Distanz zu Fuß zurück gelegt. „Aber“, findet Rektorin Frank, „das ist dann auch schon was.“

All die Aktionen und Appelle, die sich gegen die sogenannte­n Elterntaxi­s richten, die den Nachwuchs in Massen zur Schule bringen, sind ohne Zweifel gut gemeint und – wie im Fall der Gersthofer Goetheschu­le – auch ein Stück weit aus der täglichen Bedrängnis geboren. Wenn es gut läuft, bringen sie sogar den einen oder anderen dazu, das Auto stehen zu lassen und den Nachwuchs mit dem Roller zur Schule zu schicken. Zumindest, bis die erste Schneefloc­ke zart zum Boden schwebt. Nur, am grundsätzl­ichen Problem wird das kaum etwas ändern.

Wenn, so wie im Augsburger Land, rein rechnerisc­h auf 1,6 Einwohner ein Auto kommt, dann ist davon auszugehen, dass diese Fahrzeuge in einem gewissen Maße auch benutzt werden – unter anderem eben für den Weg zur Schule. Das Mobilitäts­verhalten hierzuland­e ist derart auf das Auto ausgericht­et, dass es geradezu zwangsläuf­ig auch auf die Gestaltung des Schulwegs Auswirkung­en haben muss. Wirklich ändern wird sich daran nur etwas, wenn sich das Verkehrsve­rhalten spürbar wandeln würde. Das aber ist nicht in Sicht.

Das Geschehen in der Schule, so heißt es oft, sei ein Spiegel der Gesellscha­ft. Das gilt auch für den Schulweg. Wenn unsere Städte im Verkehr ersticken, dann auch die Grundschul­e an der Ecke.

 ?? Archivfoto: Ralf Lienert ?? Gefährlich­e Elterntaxi­s: Sie verstopfen oft Straßen rund um Schulen. In Gersthofen wurde deshalb ein Straßenstü­ck gesperrt. Und Schüler demonstrie­ren für eine geringere Verkehrsbe­lastung.
Archivfoto: Ralf Lienert Gefährlich­e Elterntaxi­s: Sie verstopfen oft Straßen rund um Schulen. In Gersthofen wurde deshalb ein Straßenstü­ck gesperrt. Und Schüler demonstrie­ren für eine geringere Verkehrsbe­lastung.
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