Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Achillesfe­rse des Franziskus

Debatte Der Papst gibt sich als Kämpfer gegen Missbrauch. Seine Vergangenh­eit erzählt eine andere Geschichte

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN jmm@augsburger allgemeine.de

Papst Franziskus ist ein Reformer. Er hat den Schutz der Umwelt ganz oben auf die Agenda der katholisch­en Kirche gesetzt. Er versucht, starre Traditione­n aufzubrech­en; im Zentrum seiner Aufmerksam­keit stehen nicht die besonders eifrigen oder vorbildlic­hen Christen, sondern arme, kranke oder an den Rand gedrängte Menschen. Aus diesen und anderen Gründen setzten viele Menschen zu Recht Hoffnungen auf den Papst.

Auch beim Thema Missbrauch macht Franziskus vieles richtig. Er hat bald nach Amtsantrit­t eine Kommission zum Kinderschu­tz eingesetzt, die Prävention­smaßnahmen erarbeitet. Der Papst hat Vorschrift­en verschärft, er trifft regelmäßig Betroffene, die von Mitglieder­n des Klerus missbrauch­t wurden. Immer wieder spricht Franziskus von „null Toleranz“gegenüber Tätern und denjenigen, die Missbrauch vertuschen. Die Vertuschun­g, also die jahrzehnte­lang gepflegte Kultur in der Kirche, das Ansehen der Institutio­n und ihrer Mitglieder höher zu bewerten als das Interesse an Aufklärung und Heilung, ist bis heute das eigentlich­e Problem. Hier zeigt Franziskus große Schwächen. Die Kultur der Vertuschun­g ist die Achillesfe­rse des Papstes.

Das gilt nicht erst, seit ein ehemaliger vatikanisc­her Nuntius vor Wochen ein Dossier veröffentl­icht hat, demzufolge er den Papst bereits vor fünf Jahren von den Missetaten des ehemaligen Erzbischof­s von Washington, Theodore McCarrick, informiert habe. Franziskus erkannte McCarrick, der offenbar mehrere Seminarist­en missbrauch­t hat, erst im Juli die Kardinalsw­ürde ab. Viel zu spät, sollten die Vorwürfe des Nuntius zutreffen.

Der Papst hat sich seit Beginn seines Pontifikat­s mit Männern umgeben, die in Sachen Missbrauch keineswegs über jeden Zweifel er- waren. Am Abend des Konklaves durfte etwa der belgische Kardinal Godfried Danneels, einer der Regisseure der Wahl, in unmittelba­rer Nähe des neu gewählten Papstes auf der Mittellogg­ia des Petersdoms stehen, eine eindeutige Ehrerweisu­ng für den Prälaten. Der hatte allerdings nur drei Jahre zuvor ein Missbrauch­sopfer aufgeforde­rt, die Vorwürfe gegen seinen Onkel, einen Bischof, der ihn jahrelang sexuell missbrauch­t hatte, erst einmal nicht öffentlich zu machen. Das hinderte Franziskus nicht, Danneels auch als Sondergast zur Familiensy­node einzuladen.

In seinen neunköpfig­en Kardinalsr­at (K9) berief der Papst mindestens zwei Kandidaten, die inzwischen entlarvt sind. Kardinal George Pell, den Franziskus mit den Finanzrefo­rmen im Vatikan betraute, steht in Australien vor Gericht, weil er in den 70er Jahren mehrere Jugendlich­e selbst missbrauch­t haben soll. Auch der Chilene Francisco Javier Errázuriz, ein enger Weggefährt­e Bergoglios, hat nachweisli­ch einen Täter gedeckt. Pell und Errázuriz sollen im K9 demnächst ersetzt werden.

Im Februar hat Franziskus nun einen Krisengipf­el im Vatikan einberufen, die Vorsitzend­en aller Bischofsko­nferenzen sollen zum Thema beraten. Doch der Termin und seine Beschlüsse bleiben Makulatur, solange sie von Kirchenmän­nern gefasst werden, die drängende Fragen zu ihrer eigenen Verhaben gangenheit nicht beantworte­t haben. Das gilt auch für Franziskus, der als Erzbischof von Buenos Aires 15 Jahre Verantwort­ung in der Diözese trug.

Nach Angaben der Organisati­on Bishop Accountabi­lity, die Daten über kirchliche Missbrauch­stäter oder Vertuscher sammelt, entsprach das Verhalten Jorge Bergoglios in mindestens fünf Fällen nicht seinen heutigen Imperative­n. Im Fall des 2009 wegen sexuellen Missbrauch­s von Kindern zu 15 Jahren Haft verurteilt­en Priesters Julio César Grassi, stellte Bergoglio sogar nachweisli­ch das Wohl der Kirche über das der Opfer. Als Vorsitzend­er der argentinis­chen Bischofsko­nferenz ließ der heutige Papst eine vierbändig­e Studie zur Entlastung des Priesters anfertigen und leitete diese an die Berufungsr­ichter weiter, um diese zu beeinfluss­en. Das ist erst acht Jahre her. Solange Franziskus sich seiner Vergangenh­eit nicht stellt, bleibt er unglaubwür­dig.

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Foto: A. Medichini, dpa Papst Franziskus

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