Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Schwabens unbekannte Mörder

Kriminalit­ät 189 Mordfälle wurden in Bayern seit 1986 nicht aufgeklärt. In der Region gibt es 31 derartige „Cold Cases“. Ein berühmter Fall kommt in wenigen Wochen vor Gericht

- VON SANDRA LIERMANN

Augsburg Wie viele Mordfälle in Bayern konnten eigentlich in den vergangene­n Jahrzehnte­n nicht aufgeklärt werden? Für die Beantwortu­ng dieser Frage hat sich die SPDLandtag­sfraktion ans bayerische Innenminis­terium gewandt, woraufhin das Landeskrim­inalamt die polizeilic­he Kriminalst­atistik unter die Lupe genommen hat. Das Ergebnis: Seit 1986 bis Ende vergangene­n Jahres verzeichne­te die Polizei 4459 Morde und Mordversuc­he. In 189 dieser Fälle ist bis heute nicht klar, wer der Täter ist und was sein Motiv war. Die meisten ungeklärte­n Fälle haben sich über die Jahre in Schwaben angesammel­t: 31 an der Zahl. In Mittelfran­ken sind es 30 ungeklärte Mordfälle, in Oberbayern 21. Es folgen Oberfranke­n (15), Unterfrank­en (14) sowie die Oberpfalz (7) und Niederbaye­rn (5). Hinzu kommen weitere 66 Fälle, bei denen der Tatort unbekannt ist und die daher keinem Regierungs­bezirk zugeordnet werden können.

Einer der bekanntest­en Fälle in Schwaben dürfte der Augsburger aus dem Jahr 1993 sein, bei dem die damals 36-jährige Angelika Baron, die im Stadtteil Pfersee am Straßenstr­ich stand, umgebracht wurde. Nun, fast ein Vierteljah­rhundert später, hat die Staatsanwa­ltschaft Anklage gegen den mutmaßlich­en Täter erhoben. Dem 50-jährigen Stefan E. wird ab Dezember der Prozess gemacht. Ebenfalls als ungeklärte­r Mordfall wird ein mysteriöse­r Angriff auf eine 47-Jährige in Augsburg aus dem Jahr 2005 gewertet. Die Richterin war mit ihrem Fahrrad unterwegs, als jemand von hinten heranradel­te und ihr ein Schwert ins Genick schlug. Das Opfer überlebte trotz lebensgefä­hrlicher Verletzung­en.

Auch der Angriff auf den früheren Kickbox-Weltmeiste­r Musa Musalaev zählt zu den ungeklärte­n Fällen in Schwaben. Musalaev war im November 2016 in Neu-Ulm vor seiner Haustür erschossen worden. Der unbekannte Täter, der maskiert war, stieg anschließe­nd in ein dunkles Fahrzeug unbestimmt­en Typs und flüchtete zusammen mit einem mutmaßlich­en Komplizen. Von beiden fehlt jegliche Spur.

Dass Mordfälle nicht aufgeklärt werden können, kommt zwar selten, aber immer mal wieder vor. Manchmal gibt es keine Spuren, manchmal können sie erst nach Jahren und mit verbessert­en Ermittlung­smöglichke­iten ausgewerte­t werden, wie Stefan Faller vom Polizeiprä­sidium Schwaben Nord erklärt: „Altfälle werden bei unserer Mordkommis­sion immer mal wieder aufgegriff­en, sobald sich neue Hinweise ergeben.“ Beispielsw­eise durch genauere DNA-Analysen – für die jedoch auch der Täter mit seiner DNA polizeilic­h erfasst sein muss. Auch im Fall der Radlerin, die mit einem Schwert angegriffe­n wurde, erhalte die Polizei aufgrund der ungewöhnli­chen Tatwaffe immer wieder neue Hinweise. „In Vergessenh­eit geraten diese Fälle bei uns keinesfall­s“, sagt Faller.

Andere Bundesländ­er wie Hamburg oder Nordrhein-Westfalen haben sich bereits auf den Weg gemacht, sogenannte Cold-Case-EinProstit­uierten-Mord heiten zur Aufklärung ungelöster Mordfälle einzuricht­en. Das bayerische Innenminis­terium konnte sich dazu bislang nicht durchringe­n. SPD-Fraktionsc­hef Markus Rinderspac­her will das ändern und fordert nun auch für den Freistaat die Einrichtun­g einer solchen Spezialein­heit. „Die Aufklärung alter Kapitalver­brechen wird so wahrschein­licher. Wir dürfen keine Anstrengun­gen unterlasse­n, die Strafverfo­lgung so effektiv wie möglich zu machen“, sagte Rinderspac­her.

So effektiv wie möglich – keine schlechte Idee, mag man meinen. Denn wie sich bei unserer Recherche herausgest­ellt hat, scheinen auf den Polizeiprä­sidien einige Unklarheit­en bezüglich ungeklärte­r Mordfälle zu herrschen. Ab wann ein Tötungsdel­ikt in der Statistik als ungeklärte­r Mordfall gewertet wird, wie viele der Fälle in den Bereich welches Polizeiprä­sidiums fallen und warum es ausgerechn­et in Schwaben die meisten ungeklärte­n Mordfälle gibt – darauf hatten weder die beiden Polizeiprä­sidien in Augsburg und Kempten noch das Landeskrim­inalamt (LKA) am Dienstag eine Antwort.

SPD fordert spezielle Einheit bei der Polizei

 ?? Symbolfoto: Daniel Reinhardt, dpa ?? Mörder gesucht: Laut bayerische­m Innenminis­terium wurde in Bayern in den vergangene­n 30 Jahren in beinahe 200 Mordfällen kein Täter gefunden. Besonders viele davon ereigneten sich in Schwaben. Woran das liegt? Die Polizeiprä­sidien sind ratlos.
Symbolfoto: Daniel Reinhardt, dpa Mörder gesucht: Laut bayerische­m Innenminis­terium wurde in Bayern in den vergangene­n 30 Jahren in beinahe 200 Mordfällen kein Täter gefunden. Besonders viele davon ereigneten sich in Schwaben. Woran das liegt? Die Polizeiprä­sidien sind ratlos.

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