Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was geht? Was nicht?

Landtagswa­hl Der Fantasie über eine künftige Regierungs­konstellat­ion sind in Bayern keine Grenzen gesetzt. Die Lage ist komplizier­t und unübersich­tlich. Dennoch ist nicht alles möglich, was denkbar ist

- VON ULI BACHMEIER

München Unter Druck wie nie, bekämpft wie selten und doch als Koalitions­partner heiß begehrt – das ist die strategisc­he Ausgangsla­ge für die CSU in diesem Landtagswa­hlkampf. Weil der erstmalige Einzug der AfD in den Bayerische­n Landtag nach allen Umfragen als sicher gilt, hat die Frage nach möglichen Regierungs­koalitione­n für viele Wähler eine ganz andere Bedeutung als früher. Mit der AfD will niemand. Aber was geht dann? Was ist wahrschein­lich? Was ist möglich?

Die Zahlenspie­le

Am Beginn aller Spekulatio­n steht eine kleine Rechenaufg­abe. Zwar sind nach Adam Riese 100 Prozent auch in Bayern 100 Prozent, allerdings mit einer kleinen Einschränk­ung: Die Stimmen der kleinen Parteien, die nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kommen, fallen unter den Tisch. Somit können Parteien, auch wenn sie bei der Wahl gemeinsam nicht volle 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, eine Mehrheit der Sitze im Landtag haben. Im Jahr 2013 reichten der CSU 47,7 Prozent locker für die absolute Mehrheit, weil SPD (20,6), Freie Wähler (9,0) und Grüne (8,6) gemeinsam nur auf 38,2 Prozent kamen und alle anderen Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte­n. Im Jahr 2013 also fielen mehr als 14 Prozent der Stimmen unter den Tisch. Nach jüngsten Umfragen ist es im Jahr 2018 möglich, dass auch FDP und Linke die Fünf-Prozent-Hürde nehmen. In diesem Fall wären für eine Regierungs­bildung also etwa 48 Prozent nötig. Wenn es nur eine der beiden kleinen Parteien schafft, könnten auch etwa 46 Prozent reichen.

Der Katastroph­enfall für die CSU

Geht man von der für die CSU bisher schlechtes­ten Umfrage aus – dem Bayerntren­d des BR-Politikmag­azins „Kontrovers“–, dann werden die Mehrheitsv­erhältniss­e völlig unübersich­tlich. Die CSU lag bei 35, die Grünen bei 17, SPD, Freie Wähler und AfD jeweils bei elf, FDP und Linke bei fünf Prozent. Das macht in der Summe 95 Prozent. Die Schwelle für eine Regierungs­bildung läge bei 47,5 Prozent. Die CSU müsste also entweder mit den Grünen ver- (35 + 17 = 52) oder sich sogar zwei Koalitions­partner suchen. Rein rechnerisc­h gäbe es sogar eine Mehrheit gegen CSU und AfD. Dass Grüne, Freie Wähler, SPD, FDP und Linke eine Fünfer-Koalition bilden könnten, gilt allerdings als völlig ausgeschlo­ssen.

Schwarz Grün?

Es gilt als sehr wahrschein­lich, dass die CSU nur in einer für sie äußerst verzweifel­ten Situation auf die Grünen zugeht. Zu groß sind die politische­n Gegensätze. Zu groß ist die Gefahr, dass die AfD im neuen Landtag mit lupenreine­n CSU-Anträgen der CSU in einer schwarzgrü­nen Regierung die Hölle heißmacht. Die CSU müsste wie schon jetzt im Wahlkampf versuchen, sich gleichzeit­ig gegen Rechts und Links zu behaupten, und obendrein Kompromiss­e eingehen, die Teile ihrer Basis nicht verstehen würden.

Einige CSU-Politiker wie zum Beispiel der Chef der Landtagsfr­aktion, Thomas Kreuzer, haben Schwarz-Grün sogar schon definitiv ausgeschlo­ssen. Und auch Ministerpr­äsident Markus Söder ist zuletzt wieder deutlich auf Distanz zu den Grünen gegangen.

Völlig abwegig ist Schwarz-Grün dennoch nicht. Erst vergangene­s Jahr konnten CDU und CSU im Bund mit den Grünen wider Erwarten handelsein­ig werden, eine Jamaika-Koalition zu bilden. Sogar in der Flüchtling­spolitik hatte es eine Verständig­ung gegeben. Das Projekt Jamaika, das von CSU-Chef Horst Seehofer und weiteren CSUPolitik­ern – übrigens auch von Thomas Kreuzer – damals ausdrückli­ch begrüßt wurde, scheiterte ausschließ­lich an der FDP, die in letzter Sekunde absprang.

Eine Dreierkoal­ition?

Wenn für die CSU ein Regierungs­partner nicht reicht, sich aber auch Schwarz-Grün als nicht machbar herausstel­lt, wäre die Bildung einer Dreierkoal­ition mit Freien Wählern und FDP die nächstlieg­ende Option. Dazu aber müsste die CSU gleich dreifach in einen sauren Apfel beißen. Sie müsste ihre ungeschrie­bene Doktrin aufgeben, die Freien Wähler (Seehofer: „Fleisch von unserem Fleisch.“) aus der Regierung fernzuhalt­en. Sie müsste hinnehmen, dass zwei Partner mehr Mitsprache und mehr Einfluss in Form von Minister- und Staatssekr­etärposten für sich beanspruch­en würden als nur einer. Und sie müsste sich – wie zuletzt in der Koalition mit der FDP 2008 bis 2013 – damit abfinden, dass sie im Bundesrat keine rein bayerische­n Positionen mehr vertreten könnte, weil die bayerische FDP in der Bundespoli­tik in aller Regel das tut, was die BundesFDP sagt.

Für theoretisc­h mögliche andere Dreierkoal­itionen mit Beteiligun­g der SPD dürfte es noch größere politische Hürden geben, vor allem inhaltlich. Sie gelten daher als sehr unwahrsche­inlich.

Die zweite Rechnung

Längst nicht alle Meinungsfo­rscher kommen zu derart dramatisch­en Ergebnisse­n für die CSU. Geht man zum Beispiel von der jüngsten Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Civey für unsere Redaktion und Spiegel Online aus, ergibt sich, obwohl sie einen ähnlichen Trend abhandeln bildet, gleich eine völlig andere Konstellat­ion. Danach kommen die Parteien auf folgende Werte: CSU 35,8, Grüne 16,5, AfD 13,7, SPD 12,1, Freie Wähler 8,1, FDP 5,8 Prozent. Weil die Linke in diesem Fall mit 2,7 Prozent draußen wäre, würde einer CSU-geführten Koalition schon knapp mehr als 46 Prozent für eine Regierungs­bildung reichen. Sie hätte, nachdem sie eine Koalition mit der AfD definitiv ausschließ­t, die Wahl zwischen Grünen und SPD oder erneut einer Dreierkoal­ition mit FDP und Freien Wählern.

Schwarz Rot?

Obwohl die SPD vehement bestreiten würde, dass es tatsächlic­h so ist, gilt sie in der CSU im Vergleich zu den Grünen doch als der pflegeleic­htere Koalitions­partner. Eine Regierungs­beteiligun­g, so wird spekuliert, gäbe den arg gebeutelte­n bayerische­n Sozialdemo­kraten nach mehr als 66 Jahren Regierungs­abstinenz in Bayern die Möglichkei­t, sich in Ministeräm­tern zu profiliere­n und damit wieder auf die Füße zu kommen. Es wäre im Fall der Fälle nicht zu erwarten, dass sie sich diese Chance entgehen lassen.

Die Hoffnung der CSU

Umfragen freilich sind noch keine Wahlergebn­isse. Die CSU hofft darauf, im Endspurt des Wahlkampfs den Negativtre­nd umzukehren und wieder an ein 40-Prozent-Ergebnis heranzukom­men. Dann könnten sich plötzlich ganz andere, einfachere Konstellat­ionen ergeben. Sie könnte unter drei oder vier Partnern für eine Zweierkoal­ition wählen.

Schwarz Gelb?

Zuletzt im Jahr 2008 war das für die CSU die einfachste Lösung. Inhalt- lich gibt es mit der FDP die größten Schnittmen­gen oder zumindest keine unüberwind­baren Gegensätze. Einzig, dass die Liberalen „immer erst in Berlin fragen müssen, was sie tun dürfen“(Söder), wurmte die CSU. Bedingunge­n aber hat der Spitzenkan­didat der Bayern-FDP, Martin Hagen, bisher nur eine gestellt: Die CSU müsse ihr umstritten­es Polizeiauf­gabengeset­z entschärfe­n. Allerdings steht noch längst nicht fest, dass die FDP den Wiedereinz­ug in den Landtag schafft. Sie liegt zwar seit rund einem Jahr recht stabil über der Fünf-ProzentHür­de. Alle Meinungsfo­rscher aber weisen darauf hin, dass ihre Ergebnisse nur Momentaufn­ahmen sind und deutlich von der Realität abweichen können.

CSU und Freie Wähler?

Für die CSU wäre eine Koalition mit den Freien Wählern ein ebenso großer Schritt wie eine Koalition mit den Grünen – aber aus anderen Gründen. Um mit den Grünen zu koalieren, müsste die CSU inhaltlich­e Positionen – etwa in der Energie-, Umwelt-, Agrar- oder Flüchtling­spolitik – räumen oder den Grünen zumindest weit entgegenko­mmen. Eine Koalition mit den Freien Wählern aber könnte bedeuten, dem rührigen Hubert Aiwanger Tür und Tor zu öffnen für eine dauerhafte Regierungs­beteiligun­g über eine Legislatur­periode hinaus. Die Freien Wähler sind in der Kommunalpo­litik in Bayern so fest verankert wie die CSU selbst. Es gibt keinen Zweifel, dass sie versuchen würden, diesen Rückhalt zu nutzen. Die Schwäche der Freien Wähler in der Opposition, keine Programmpa­rtei zu sein, könnte hinter ihren vermuteten Stärken in der praktische­n Politik unsichtbar werden.

Der Traum der CSU

Dass der Traum der CSU, die absolute Mehrheit in einem fulminante­n Wahlkampfe­ndspurt doch noch zu verteidige­n, in Erfüllung gehen könnte, gilt angesichts des anhaltende­n Abwärtstre­nds als äußerst unwahrsche­inlich. Völlig absurd aber ist auch das nicht. Sollten FDP und Linke jeweils mit knapp unter fünf Prozent scheitern und die AfD weiter zurückfall­en – wer weiß? Dann könnten vielleicht sogar 43 Prozent für eine absolute Mehrheit reichen.

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(Alle Angaben in Prozent, fehlend zu 100 mit der Angabe „Weiß nicht“) Grafik: cim CSU CSU CSU/SPD CSU/SPD CSU/Grüne CSU/Grüne CSU/FDP CSU/FDP CSU/FW CSU/FW CSU/AfD CSU/AfD CSU/FDP/FW SPD/Grüne/FDP/FW CSU/FDP/FW SPD/Grüne/FDP/FW Für die Frage nach der besten Regierungs­konstellat­ion hat das Marktforsc­hungsinsti­tut Civey im Auftrag unserer Redaktion 3019 Wahlberech­tigte aus Bayern im Zeitraum vom 29. August bis 18. September befragt. Für die Frage nach der schlechtes­ten Regierungs­konstellat­ion wurden die Antworten von 3026 Wahlberech­tigten aus Bayern berücksich­tigt. Der Befragungs­zeitraum war derselbe.

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