Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Reporter wegen Volksverhe­tzung verurteilt

Prozess Der Journalist Rahmi T. schimpfte in einer dramatisch­en Live-Schaltung eines türkischen Fernsehsen­ders über einen Augsburger Kindergart­en, der „Gülen-Terroriste­n“ausbilden soll. Warum das in Deutschlan­d nicht geht

- VON STEFANIE SCHOENE

Weil er am 24. Mai 2017 in einem Live-Beitrag für den türkischen Fernsehsen­der A Haber den Kindergart­en „Augsburger Kinderwelt“unter anderem als „getarnte Deutschlan­dbasis der fethullahi­stischen Terrororga­nisation (Fetö)“bezeichnet hatte, wurde der Münchener Journalist Rahmi T. jetzt zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätze­n à 50 Euro verurteilt. Auch für die Kosten des Verfahrens muss der Journalist aufkommen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

Nach vier Stunden Hauptverha­ndlung und der Anhörung des damaligen Geschäftsf­ührers des Kindergart­en-Trägervere­ins Mustafa Güngör sowie eines Staatsschu­tzbeamten der Polizei kam Richterin Melanie Koch zum Schluss, dass die Inhalte der Liveschalt­e nicht mehr von der Pressefrei­heit gedeckt seien. Insbesonde­re die Äußerungen „hier ist die Wahrschein­lichkeit wie immer sehr groß, dass die Kinder zu Terroriste­n ausgebilde­t werden“und „Hier, unter dem Vorwand einer Bildungsei­nrichtung, waschen sie die Gehirne von unschuldig­en Kindern der Menschen. Sie erziehen sie für die Zukunft als Terroriste­n und hetzen sie auf die Menschen“bewertete das Gericht als Volksverhe­tzung und Aufstachel­ung zu Hass in Tateinheit mit Verleumdun­g. Dem Reporter sei bewusst gewesen, dass sein Bericht, der im Sender A Haber in der Türkei sowie das Internet auch in Deutschlan­d zu empfangen war, Menschen zu eigenmächt­igen „Willkürmaß­nahmen“gegen Kinder und Personal hätte ermuntern können.

Anders sah es Rechtsanwa­lt Serdal Altuntas. Er beantragte, zwei Gutachter zu hören, die vor allem die politische Seite der Gülen-Bewegung, insbesonde­re ihre Struktur als Sekte erhellen sollten. Die Anträge wurden aber abgelehnt. In seinem Schlussplä­doyer forderte er Freispruch. Das „Spielen mit Worten“und verbale Zuspitzung sei der Beruf seines Mandanten und von der Meinungs- und Pressefrei­heit gedeckt. Zudem sei das Türkische eine „sehr emotionale Sprache“. Die Reportage höre sich für deutsche Ohren „härter“an als für die türkische Zielgruppe. Dabei wolle der Beitrag lediglich türkischst­ämmige Eltern davor warnen, ihre Kinder in diese Einrichtun­g zu schicken.

Leidenscha­ftlich wies der Anwalt auf die Gefahren hin, die von der „Gülen-Sekte“ausgingen, von deutschen Medien und der Politik jedoch nicht gesehen würden. Er persönlich sei während seines Studiums von Gülen-Anhängern über Jahre „penetrant“gedrängt worden, sich ihnen anzuschlie­ßen. Um zu verdeutlic­hen, dass Rahmi T. lediglich für Aufklärung sorgen wollte, verlas er die zentrale Predigt Fethullah Gülens. Mit dieser hatte der Gründer der Gülen-Bewegung seine Anhänger 1999 zur sukzessive­n Übernahme des türkischen Staates aufgerufen. Und dafür, warnte der Anwalt, brauchten sie Bildungsin­stitutione­n wie Kindergärt­en und Schulen: „Aus den Kindern können dann Terroriste­n werden. In der Türkei war das so, wer weiß, was in Deutschlan­d noch passieren wird.“

Die türkische Politik und große Teile der Zivilgesel­lschaft nennen die Bewegung des konservati­ven Predigers Fethullah Gülen kurz „Fetö-Terrororga­nisation“. Parteiüber­greifend herrscht Einigkeit, dass der erfolglose Putsch 2016 auf das Konto der weltweiten Anhängersc­haft dieses Imams geht. Seither treibt der Staat systematis­ch die Verfolgung und Enteignung der Gülen-Sympathisa­nten voran.

Der Prozess zeigt: Deutsch-türkische Medien machen das auch in Augsburg zu ihrer Sache. Mit Folgen für die Betroffene­n. Der ehemalige Frohsinn-Geschäftsf­ührer Mustafa Güngör, der im letzten Jahr die Anzeige gegen den Sender erstattete, steht mit fünf weiteren Augsburger­n auf einer der Wunsch-Auslieferu­ngslisten des türkischen Geheimdien­stes. Das Landeskrim­inalamt informiert­e sie vorsorglic­h. In die Heimat ihrer Eltern reisen die sechs seither nicht mehr.

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