Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Reporter wegen Volksverhetzung verurteilt
Prozess Der Journalist Rahmi T. schimpfte in einer dramatischen Live-Schaltung eines türkischen Fernsehsenders über einen Augsburger Kindergarten, der „Gülen-Terroristen“ausbilden soll. Warum das in Deutschland nicht geht
Weil er am 24. Mai 2017 in einem Live-Beitrag für den türkischen Fernsehsender A Haber den Kindergarten „Augsburger Kinderwelt“unter anderem als „getarnte Deutschlandbasis der fethullahistischen Terrororganisation (Fetö)“bezeichnet hatte, wurde der Münchener Journalist Rahmi T. jetzt zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen à 50 Euro verurteilt. Auch für die Kosten des Verfahrens muss der Journalist aufkommen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Nach vier Stunden Hauptverhandlung und der Anhörung des damaligen Geschäftsführers des Kindergarten-Trägervereins Mustafa Güngör sowie eines Staatsschutzbeamten der Polizei kam Richterin Melanie Koch zum Schluss, dass die Inhalte der Liveschalte nicht mehr von der Pressefreiheit gedeckt seien. Insbesondere die Äußerungen „hier ist die Wahrscheinlichkeit wie immer sehr groß, dass die Kinder zu Terroristen ausgebildet werden“und „Hier, unter dem Vorwand einer Bildungseinrichtung, waschen sie die Gehirne von unschuldigen Kindern der Menschen. Sie erziehen sie für die Zukunft als Terroristen und hetzen sie auf die Menschen“bewertete das Gericht als Volksverhetzung und Aufstachelung zu Hass in Tateinheit mit Verleumdung. Dem Reporter sei bewusst gewesen, dass sein Bericht, der im Sender A Haber in der Türkei sowie das Internet auch in Deutschland zu empfangen war, Menschen zu eigenmächtigen „Willkürmaßnahmen“gegen Kinder und Personal hätte ermuntern können.
Anders sah es Rechtsanwalt Serdal Altuntas. Er beantragte, zwei Gutachter zu hören, die vor allem die politische Seite der Gülen-Bewegung, insbesondere ihre Struktur als Sekte erhellen sollten. Die Anträge wurden aber abgelehnt. In seinem Schlussplädoyer forderte er Freispruch. Das „Spielen mit Worten“und verbale Zuspitzung sei der Beruf seines Mandanten und von der Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt. Zudem sei das Türkische eine „sehr emotionale Sprache“. Die Reportage höre sich für deutsche Ohren „härter“an als für die türkische Zielgruppe. Dabei wolle der Beitrag lediglich türkischstämmige Eltern davor warnen, ihre Kinder in diese Einrichtung zu schicken.
Leidenschaftlich wies der Anwalt auf die Gefahren hin, die von der „Gülen-Sekte“ausgingen, von deutschen Medien und der Politik jedoch nicht gesehen würden. Er persönlich sei während seines Studiums von Gülen-Anhängern über Jahre „penetrant“gedrängt worden, sich ihnen anzuschließen. Um zu verdeutlichen, dass Rahmi T. lediglich für Aufklärung sorgen wollte, verlas er die zentrale Predigt Fethullah Gülens. Mit dieser hatte der Gründer der Gülen-Bewegung seine Anhänger 1999 zur sukzessiven Übernahme des türkischen Staates aufgerufen. Und dafür, warnte der Anwalt, brauchten sie Bildungsinstitutionen wie Kindergärten und Schulen: „Aus den Kindern können dann Terroristen werden. In der Türkei war das so, wer weiß, was in Deutschland noch passieren wird.“
Die türkische Politik und große Teile der Zivilgesellschaft nennen die Bewegung des konservativen Predigers Fethullah Gülen kurz „Fetö-Terrororganisation“. Parteiübergreifend herrscht Einigkeit, dass der erfolglose Putsch 2016 auf das Konto der weltweiten Anhängerschaft dieses Imams geht. Seither treibt der Staat systematisch die Verfolgung und Enteignung der Gülen-Sympathisanten voran.
Der Prozess zeigt: Deutsch-türkische Medien machen das auch in Augsburg zu ihrer Sache. Mit Folgen für die Betroffenen. Der ehemalige Frohsinn-Geschäftsführer Mustafa Güngör, der im letzten Jahr die Anzeige gegen den Sender erstattete, steht mit fünf weiteren Augsburgern auf einer der Wunsch-Auslieferungslisten des türkischen Geheimdienstes. Das Landeskriminalamt informierte sie vorsorglich. In die Heimat ihrer Eltern reisen die sechs seither nicht mehr.