Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wirtschaftsprofessorin mit großem Herz
Eine Stunde mit … Anita Pfaff hat einen ungewöhnlichen Lebensweg. Ihr verstorbener Vater war ein berühmter indischer Politiker. Die Stadtbergerin machte, als Mutter von drei Kindern, eine wissenschaftliche Karriere
Stadtbergen Leitershofen Anita Pfaff holt ein Foto, das neben anderen Fotos auf dem Klavier seinen Platz gefunden hat. Sie lacht. Das Bild zeigt sie gern her: Es zeigt die komplette Patchwork-Familie der Professoren Anita und Martin Pfaff: die eigenen drei Kinder, deren aktuelle und teils frühere Lebensgefährten, die leiblichen Enkel der Pfaffs und eine aufgenommene Enkelin. Und wenn die hellwache, knapp 76-Jährige zu erzählen beginnt, dann sprudelt es nur so aus ihr heraus.
Kein Wunder, wer kann schon auf so ein außergewöhnliches Leben zurückblicken? Wer hat als Mutter eine Wienerin, die sich Mitte der 30er-Jahre des vorigen Jahrhunderts in den damals schon berühmten Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung und Politiker, Subhash Chandra Bose, verliebt hat, diesen nach dem indischen Ritus heiratete und mit ihm eine kleine Tochter, eben Anita, bekam? Anita Bose-Pfaff hat aber ihren sowohl in Europa als auch Asien prominenten Vater nicht wirklich in Erinnerung. Sie, 1942 geboren, war noch ein dreijähriges Kleinkind, als ihr Vater 1945 – was letztlich manche seiner Landsleute nach wie vor nicht glauben wollen – bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam. Ihre Mutter Emilie Schenkl war also alleinerziehend – wie viele Frauen nach dem Krieg. Die indische Familie, die Cousins und Cousinen, lernte sie, die immer gern Geschwister gehabt hätte, erst 1947 kennen und merkte erst dann, wie prominent ihr Vater war. So wuchs Anita in Wien auf.
Als sie als 18-jährige Jura-Studentin zum ersten Mal in Indien war und dort als Tochter des Nationalhelden zu einer gefragten Persönlichkeit avancierte, traf sie mit ihrem späteren Ehemann zusammen. Schicksal! Martin Pfaff stammt nämlich nicht nur selbst aus der Wiener Gegend, sondern hatte ein Faible für Indien. Er hatte in Indien studiert und arbeitete damals ehrenamtlich vier Jahre in einer Blindenschule. Der intensive gemeinsame intellektuelle Austausch, die gegenseitige Anziehung: „Anita war auf jeden Fall die lieblichste Frau, die ich je gesehen hatte“, schwärmt Martin Pfaff später in seinem Buch „Grenzgänger“im Kapitel „Anita: Liebe ohne Grenzen“. Das frisch verliebte Paar pflegte, während Martin Pfaff schon in den USA war, einen äußerst regen Briefwechsel, in dem es sich über Liebe, Religion, Philosophie genauso austauschte wie über Politik. Die „lieblichste Frau“war später eine glänzende und gefragte Wissenschaftlerin mit beratenden Positionen in Ministerien, dies auch in Zusammenarbeit mit ihrem Mann, dazu Mutter, Ehefrau, Gemeinderätin, Zweite Bürgermeisterin von Stadtbergen.
Die Liebe der Pfaffs ist bis heute ungebrochen. 53 Jahre sind sie jetzt Anita Pfaff erinnert sich an die gemeinsamen ersten Jahre in den USA, wo Martin Pfaff zunächst in Philadelphia studierte und wohin sie ihm gefolgt war. Sohn Peter kam in den USA 1967, Sohn Thomas 1973 zur Welt; Anita Pfaff studierte hier mathematische Ökonomie und Statistik, arbeitete dann, wie auch ihr Mann, an der Wayne State Universität in Detroit. Zwischendurch pendelte die Familie immer zwischen Amerika und Deutschland hin und her; doch „1973 war Schluss mit dem Pendeln“, erzählt die quirlige Professorin.
Das Ehepaar hatte nämlich bereits Professuren an der 1971 neu gegründeten Universität Augsburg – durchaus ungewöhnlich für die damalige Zeit. Ihr lag weniger die Lehre, mehr die Forschung, erzählt Anita Pfaff. Zusammen mit ihrem Mann gründete sie 1975 das „Internationale Institut für empirische Sozialökonomie“, das im 1973 gebauten Leitershofer Haus etabliert war. Die Lehre, die Forschung: Wie war das zu schaffen, mit zwei, dann ab 1975 drei Kindern – Tochter Maya war ja dazugekommen? Der älteste Sohn ging anfangs in den neuen, antiautoritär geführten Universitätskindergarten. Der Wechsel aus den USA in den „normalen“Kindergarten beziehungsweise in die Grundverheiratet. schule in Leitershofen sei nicht einfach gewesen. Zu Hause passte eine Haushaltshilfe auf die Pfaff-Kinder auf, „aber mein Gehalt ist dafür fast draufgegangen“, sagt Anita Pfaff zu dem Kompromiss, und: „Die Zeit war nicht einfach. Ich bin fast auf dem Zahnfleisch dahergekommen.“
Die Wirtschaftswissenschaftlerin arbeitete unter anderem im wissenschaftlichen Beirat für Frauenpolitik beim Bundesfamilienministerium (1989 bis 1993), beim Bundesministerium für Bauwesen und Städtebau (1991 bis 1994) und war Mitglied der Enquete-Kommission „Demografischer Wandel“im Deutschen Bundestag. Klar, dass sie damals mit vielen prominenten Politikern zusammentraf. Anita Pfaff, sozusagen „Frau der ersten Stunde“an der Uni Augsburg, wurde hier 1989 erste gesamtuniversitäre Frauenbeauftragte und 2008 nach ihrer Pensionierung die erste „amica universitatis“der Uni Augsburg.
Ein dichtes Leben – in dem sich Anita Pfaff auch in der Kommunalpolitik engagierte. Von 1990 bis 2014 war die SPD-Frau im Gemeindebeziehungsweise Stadtrat Stadtbergen, 2011 wurde sie zur Zweiten Bürgermeisterin gewählt. Die politischen Ämter hat sie inzwischen aufgegeben, Anita Pfaff ist aber weiter in der Flüchtlingsarbeit in Stadtbergen und im Partnerschaftsverein aktiv, lernt Französisch, Italienisch – und Hindi. „Die Sprache hätte mein Vater gern als Amtssprache in Indien gesehen!“Und es gibt noch ein Zukunftsprojekt, das sie zusammen mit ihrer Nichte plant: ein Buch über vier Frauengenerationen, von der eigenen Großmutter angefangen bis zur heutigen Enkelgeneration. Es soll, wenig überraschend, „in die feministische Richtung“gehen.