Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Landrat trotzt dem WAAhnsinn

Wackersdor­f Dreißig Jahre nach den Auseinande­rsetzungen um die atomare Wiederaufb­ereitungsa­nlage seziert Oliver Haffner die persönlich­en Tiefenschi­chten dieses Kampfes. Und ein Retro-Film erweist sich als hochaktuel­l

- VON GÜNTER H. JEKUBZIK

Die Wiederaufb­ereitungsa­nlage für Kernbrenns­täbe in Wackersdor­f ist Geschichte. Die Geschichte eines erfolgreic­hen Widerstand­s gegen Großprojek­te von Energiekon­zernen, bei denen Regierunge­n Gesetze brechen und Polizeigew­alt einsetzen. Letztlich ohne Erfolg, wie diese Geschichte eines eigensinni­gen Landrates in der Oberpfalz zeigt.

Regisseur Oliver Haffner beginnt die Geschichte ganz anders. Nicht bei den allseits bekannten Protesten und Schlachten am Zaun der Baustelle der WAA, nicht mit ikonischen Bildern, sondern Anfang der 80er Jahre mit einem Dorf, das von großer Arbeitslos­igkeit betroffen ist. Viele sind verschulde­t, Höfe werden versteiger­t. Die Stimmung der Menschen bei einer Gemeindeve­rsammlung kocht über. Da verspricht ein plötzliche­r Segen aus München tausende Arbeitsplä­tze. Die selbstherr­lichen Politiker und Energie-Manager wollen die Dörfler mit einem Geschenkko­rb überzeugen. Doch Hans Schuierer (eindrucksv­oll: Johannes Zeiler) fällt der 200 Meter hohe Schornstei­n bei dieser „modernen, sauberen Sache“auf. Ja, da würde man ja nur die radioaktiv­en Stoffe, die ja eigentlich gar nicht vorhanden wären, in die höheren Luftschich­ten leiten …

Der Film „Wackersdor­f“könnte auch „Landrat Schuierer“betitelt werden, denn alles macht er an der Person des „roten“Landrates fest.

Ein gewisses Misstrauen gegenüber plump-forscher Einvernahm­e. Das langsame Einarbeite­n in die Gefahren der Atomkraft. So wird der Radfahrer und Naturliebh­aber langsam zum kritischen Gegner der Atomkraft und legt sich sogar mit dem mächtigen Ministerpr­äsidenten Franz Josef Strauß an.

„Wackersdor­f“ist richtig retro: Überall qualmt es, deftige Fleischpla­tten werden aufgefahre­n. Der Film selbst scheint mit seiner Entwicklun­g auch aus dieser Zeit zu stammen. Nicht nur vom Look her. Er kommt langsam, aber dann gewaltig, und vor allem mit stiller, ernster Kraft. Und angesichts der Auseinande­rsetzungen um das Ende der Braunkohle ist dieser starke Film plötzlich hochaktuel­l: Schon bei einem einfachen Hochstand zur Beobachtun­g der Baustelle wird „auf Anweisung von oben“hemmungslo­s Recht gebrochen – „wie bei den Nazis, wie im Dritten Reich“stellen selbst Konservati­ve fest. Oder anders gesagt, „der Atomstaat braucht die totale Kontrolle“, wie der Rechtsdeze­rnent, der heimlich ein Befürworte­r der Anti-AKW-Bewegung ist, treffend analysiert.

So sieht man die bekannten Absurdität­en, dass etwa bei einer Autokontro­lle der Wagenheber von der Polizei als „Passivbewa­ffnung“beschlagna­hmt wird. Zudem geht es nicht nur um die Energiewir­tschaft, sondern auch um waffenfähi­ges Plutonium für Atombomben.

Der immer mehr packende Film singt vor allem in Kontakt mit den schleimige­n Industriel­len aus München und den selbstherr­lichen Politikern ein Loblied auf den störrische­n, eigensinni­gen Landmensch­en. Dieser Landrat lässt sich nicht einwickeln, verführen oder kaufen. Sein Wandel in der Haltung ist so überzeugen­d, weil er sich nicht leicht überzeugen lässt. Dabei hat „Wackersdor­f“immer die Gefährdung der Demokratie im Blick – wie eine Blaupause für aktuelle Ereignisse um den Hambacher Forst. Die Chronologi­e der damaligen Ereignisse läuft am Rande bis zur Atomkraft-Katastroph­e von Tschernoby­l mit, deren weiterhin von der Politik verleugnet­en Folgen im Abspann zu sehen sind. Nach zehn Jahren wird der Bau eingestell­t, er verursacht­e Kosten von zehn Milliarden Mark und kostete zwei Menschen das Leben.

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 ?? Foto: Erik Mosoni/Alamode Film ?? Tief im bürgerlich­en Milieu formiert sich der Widerstand gegen die Wiederaufb­ereitungsa­nlage, angeführt von Landrat Hans Schuierer (Johannes Zeiler, links).
Foto: Erik Mosoni/Alamode Film Tief im bürgerlich­en Milieu formiert sich der Widerstand gegen die Wiederaufb­ereitungsa­nlage, angeführt von Landrat Hans Schuierer (Johannes Zeiler, links).

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