Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Menschen sind manipulier­bare Tiere“

Interview Der Historiker und Bestseller­autor Yuval Noah Harari warnt vor den großen Gefahren der Zukunft. Zu den beschworen­en Szenarien gehört die Züchtung eines Menschen, der zwar effizient ist, aber ohne Gefühl

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In Ihrem Werk „Homo Deus“erläutern Sie, dass die Wissenscha­ft gezeigt habe, dass Menschen keinen freien Willen haben. Gleichzeit­ig schreiben Sie Ihre Bücher, weil Sie Menschen aufrütteln und zu besseren Entscheidu­ngen bringen wollen. Wie passt das zusammen?

Yuval Noah Harari: Menschen haben einen Willen – er ist nur nicht frei. Sie können nicht wählen, was ihre Wünsche sind. Menschen treffen sicherlich Entscheidu­ngen – aber das sind niemals unabhängig­e Entscheidu­ngen. Jede Entscheidu­ng hängt von vielen biologisch­en, sozialen und persönlich­en Vorbedingu­ngen ab, die man nicht beliebig wählen kann. Sie haben Ihre Gene, Ihr Geschlecht, Ihre Eltern, Ihre Nachbarn, Ihre Kultur nicht ausgewählt. Versuchen Sie mal, den nächsten Gedanken bewusst zu verfolgen, der Ihnen in den Sinn kommt: Woher kam er? Haben Sie sich frei entschiede­n, genau diesen Gedanken zu denken und ihn im Anschluss gedacht? Offensicht­lich nein.

Was lässt sich daraus folgern? Harari: Die Idee, dass Menschen völlig unabhängig­e Einzelwese­n sind, die frei ihre eigenen Gedanken und Wünsche wählen, ist wissenscha­ftlich lächerlich und politisch gefährlich. In früheren Jahrhunder­ten war die Gefahr gering, weil keine Regierung oder Firma das Wissen über biologisch­e Abläufe und die Rechenleis­tung besaß, die notwendig sind, um Ihre Gedanken und Wünsche zu kontrollie­ren. Aber heute gewinnen einige Regierunge­n und Unternehme­n die Macht, Menschen zu hacken und zu manipulier­en. Und am einfachste­n ist es, diejenigen Menschen zu manipulier­en, die glauben, dass sie nicht fremdgeste­uert werden können, weil sie einen „freien Willen“haben.

Wovor warnen Sie genau?

Harari: Ich versuche, die Menschen auf die Tatsache zu stoßen, dass sie hackbare, manipulier­bare Tiere sind. Gerade weil Menschen keine völlig unabhängig­en Subjekte sind, kann ich versuchen, ihre Entscheidu­ngen zu beeinfluss­en. Warum die Mühe? Weil manche Entscheidu­ngen viel Leid verursache­n, während andere helfen, Leiden zu verhindern. Die große Frage für mich ist, wie wir uns vom Leiden befreien können. Eine sehr wichtige Voraussetz­ung zum Vermeiden von Leid besteht darin, Illusionen über uns selbst zu vermeiden. Einschließ­lich der Illusion, dass unsere Wünsche einen „freien Willen“widerspieg­eln.

Sie haben vorausgesa­gt, dass das Verschmelz­en von Biotechnol­ogie und künstliche­r Intelligen­z eine neue Form des Menschen hervorbrin­gen kann. Und dass es Menschen geben könnte, die von einer kleinen Elite so behandelt werden könnten, wie wir Tiere behan- deln. Wie lässt sich eine solche Vision stoppen?

Harari: Wir müssen das menschlich­e Gehirn viel besser verstehen. Regierunge­n, Unternehme­n und Armeen werden wahrschein­lich Technologi­en einsetzen, um Fähigkeite­n zu verbessern, die sie brauchen, während sie andere menschlich­e Bedürfniss­e und unbekannte Teile des menschlich­en Potenzials vernachläs­sigen. Zum Beispiel werden Regierunge­n und Unternehme­n wahrschein­lich die Entwicklun­g von Intelligen­z und Disziplin fördern, während sie wenig Interesse daran haben, Empathie oder Spirituali­tät zu entwickeln. Das Ergebnis wird ein sehr intelligen­ter und disziplini­erter Mensch sein, dem Empathie und spirituell­e Tiefe fehlen.

Und das heißt dann?

Harari: Wir haben es Kühen angetan: Wir haben gefügige Kühe gezüchtet, die enorme Mengen an Milch produziere­n, sie sind aber weit weniger lebhaft und neugierig als ihre wilden Vorfahren. Wir schaffen jetzt Menschen, die in einem riesigen Datenverar­beitungsap­parat wie effiziente Chips funktionie­ren, aber das menschlich­e Potenzial kaum ver- Wir könnten tatsächlic­h einen großen Teil dessen verlieren, was uns Menschen potenziell ausmacht, ohne überhaupt zu merken, dass wir bestimmte Potenziale hatten. Um das zu verhindern, müssen wir mindestens so viel in die Erforschun­g und Entwicklun­g des menschlich­en Geistes investiere­n, wie wir in die Erforschun­g und Entwicklun­g neuer Technologi­en investiere­n.

Habe ich es in Ihren Texten richtig verstanden: Sie bewerten den Klimawande­l, also die ökologisch­e Krise, als die gefährlich­ste Bedrohung?

Harari: Die ökologisch­e Krise ist nur eine der drei großen Gefahren, vor denen die Menschheit steht. Diese drei Gefahren sind Klimawande­l, Atomkrieg und technologi­sche Brüche. Selbst wenn es uns gelingt, den Klimawande­l und einen Atomkrieg zu verhindern, steuern künstliche Intelligen­z und Bio-Engineerin­g darauf zu, den Arbeitsmar­kt, die globale Ordnung und sogar unsere Kör- per und unser Denken sowie Fühlen in den Grundlagen zu erschütter­n.

Unausweich­lich?

Harari: Welche Punkte davon tatsächlic­h Realität werden, ist noch nicht zwangsläuf­ig festgelegt: Es hängt von unseren Entscheidu­ngen ab. Um die schlimmste­n Folgen zu verhindern, brauchen wir jedoch eine globale Zusammenar­beit. Keines dieser Probleme kann von einer Nation allein gelöst werden. Die Bundesregi­erung kann Deutschlan­d nicht gegen einen Atomkrieg oder gegen die Erderwärmu­ng schützen, wenn sie nicht mit den Regierunge­n Chinas, der USA und zahlreiche­r anderer Länder zusammenar­beitet.

Was heißt das konkreter?

Harari: Wenn Sie Angst vor dem zerstöreri­schen Potenzial von künstliche­r Intelligen­z und Biotechnik haben, können Sie nicht erwarten, dass die Regierung Deutschlan­ds diese Technologi­en im Alleingang regulieren wird. Angenommen, Deutschlan­d verbietet die Herstellun­g autonomer Waffensyst­eme und gentechnis­che Eingriffe bei Babys. Was nützt das, wenn die USA trotzdem Killerrobo­ter bauen und China gewirklich­en. netisch verbessert­e Supermensc­hen züchtet? Sehr bald wird sogar Deutschlan­d versucht sein, sein eigenes Verbot zu brechen, aus Angst zurückzubl­eiben. Angesichts des immensen Potenzials dieser disruptive­n Technologi­en können sie nur durch globale Kooperatio­n reguliert werden.

Sie sprechen auch über die Schwächen der liberalen Demokratie. Würden Sie für den Erhalt kämpfen?

Harari: Da stecke ich in einem ernsten persönlich­en Dilemma, wenn es um Liberalism­us geht. Ich glaube, dass das liberale Modell der Sinngebung Fehler hat, dass es nicht die Wahrheit über die Menschheit wiedergibt, und dass wir, wenn wir im 21. Jahrhunder­t überleben und uns entwickeln wollen, darüber hinausgehe­n müssen. Der Liberalism­us hat keine Antworten auf die Fragen, die durch den Fortschrit­t bei künstliche­r Intelligen­z und Biotechnik aufgeworfe­n werden. Der Liberalism­us geht davon aus, dass Menschen einen freien Willen haben, dass menschlich­e Gefühle die ultimative moralische und politische Autorität darstellen und dass niemand mich besser verstehen kann als ich selbst. Aber künstliche Intelligen­z und Biotechnik werden es möglich machen, Menschen zu hacken, das menschlich­e Verlangen zu kontrollie­ren und Gefühle umzumodeln. Der Liberalism­us weiß nicht, wie er damit umgehen soll.

Und anderersei­ts?

Harari: Auf der anderen Seite ist die liberale Weise, die Welt zu erklären und ihre Geschichte zu erzählen, heute noch grundlegen­d wichtig für das Funktionie­ren der globalen Ordnung. Und zugleich wird sie gegenwärti­g von religiösen und nationalis­tischen Fanatikern angegriffe­n. Diese Fanatiker glauben an rückwärtsg­ewandte Fantasien, die weitaus gefährlich­er und schädliche­r sind als das liberale Weltbild. Wir sollten den Liberalism­us gegen diese gefährlich­en Fantasien verteidige­n. Und ich selbst verbringe jetzt viel Zeit und Energie damit, den Liberalism­us zu verteidige­n. Das ist eine der großen Belastunge­n, die durch die gegenwärti­ge Welle der Nostalgie entsteht: Sie zwingt uns, die alten Schlachten früherer Jahrhunder­te noch mal zu kämpfen, anstatt uns auf die Herausford­erungen des 21. Jahrhunder­ts zu konzentrie­ren.

Interview: Petra Kaminsky, dpa

Die Gefahren sind nur auf globaler Ebene zu lösen

Yuval Noah Harari stammt aus Israel. Der 42 Jährige lehrt Geschichte in Jerusalem. Zwei seiner Bücher sind Bestseller, „Eine kurze Geschichte der Menschheit“und „Homo Deus“. Jetzt ist sein neues Buch erschienen, „21 Lektionen über das 21. Jahrhun dert“(C. H. Beck, 459 S., 24,95 ¤).

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Foto: Adobe Stock Wir haben gefügige und effiziente Kühe gezüchtet, und eben das können wir nun auch bei unserer eigenen Spezies tun. Doch ver lieren wir dabei viel von dem, was uns Menschen ausmacht, fürchtet Yuval Noah Harari.
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