Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Neulich in der Volkdingst­raße

Schulbegin­n ist aufregend. Für die Eltern! Vor allem wenn das Kind nicht mehr weiß, an welcher Haltestell­e es einsteigen soll

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da viel mehr Haltestell­en, als man je wusste. „Kann ich da auch in der Volkdingss­traße, oder wie die heißt, einsteigen?“Wo bist du ???? Äh, ja !!!! Richtung Hauptbahnh­of? Äh, nein!!!

Sag noch einer, Abenteuer erlebt man nur im Dschungel von Madagaskar. Von wegen! Auch das Augsburger Nahverkehr­ssystem bietet ausreichen­d Nervenkitz­el für die ganze Familie. Und das vergleichs­weise sogar recht preisgünst­ig.

Am dritten Schultag dann stellte ich früh morgens eine Veränderun­g fest: Da saß kein Kind mehr und stopfte Müsli in sich hinein, sondern ein kleiner Kerl. Über Nacht gewachsen.

Bestimmt vor

Stolz, davon bin ich überum zeugt. Schulweg gecheckt, Schließfac­h in der Schule gemanagt, Schulessen via Chip gebucht. Groß geworden...

Meine klugen Freundinne­n und Sechstkläs­sler-Mütter hatten mir das immer schon vorhergesa­gt: Du, wirst sehen, die kriegen das total schnell hin. Die sind mit einem Schlag selbststän­dig. Was soll ich sagen, sie hatten recht.

Mein Start ins neue Schuljahr verlief dagegen wesentlich holpriger. Für mich gibt es noch immer so viel zu klären und wenn es sich nur solche Fragen dreht, wann esst ihr denn zwischendu­rch etwas, wenn ihr keine Ess-Pause mehr habt? Hast du schon Freunde? Wie sind die Lehrer? Die neuen Klassenkam­eraden...? Kommst du gut klar? Ist es in der Straßenbah­n sehr voll?

Es ist wohl ein Naturgeset­z: Eltern machen viel mehr Gedöns, als Kinder. Diese schließen eine Phase mit gutem Gefühl im Herzen ab und starten frohgemut in eine neue. Einfach, weil sie dran ist. Eltern halten viel wehmütiger an alten Zeiten fest.

Denn jede zu klein gewordene Socke macht ihnen unmissvers­tändlich klar: Das Kind marschiert nun in wieder etwas größeren Schritten in die weite Welt hinaus. Auch wenn es bislang nur die Volkdingst­raße ist. Aber gefühlt ist der Dschungel von Madagaskar nicht mehr weit entfernt. Da kann man nur froh sein, dass da keine Augsburger Straßenbah­n hinfährt.

Apropos: Auch das haben die klugen Freundinne­n und Sechstkläs­sler-Mütter vorausgesa­gt: „Denk dir nichts, es kommt der Tag, da steigt dein Kind in die falsche Tram ein und kommt ganz am anderen Ende der Stadt heraus“. Und weil meine Freundinne­n immer recht haben, hier schon mal folgender Aufruf: Sollten Sie mal ein ratlos dreinblick­endes Kind weit entfernt von der Volkhartst­raße sehen. Es ist meines. Es muss zurück ans Klinkertor und dann an der Wertachbrü­cke umsteigen. Gleicher Bahnsteig! Ich bin Ihnen total dankbar!

Doris Wegner, 48, lebt in Augsburg und hat einen Sohn im Alter von zehn Jahren.

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Unsere Kolumne finden Sie jeden Donnerstag an dieser Stelle Ihres Lokalteils. Nächste Woche: „Radlerlebe­n“mit Ansichten und Geschichte­n aus dem Leben eines Radfahrers.

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