Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mit 66 Jahren macht Jürgen Reichert Schluss

Wahl Wozu den Bezirkstag wählen? Sein scheidende­r Präsident sagt, warum die dritte kommunale Ebene in Schwaben wichtig ist und für einzelne Menschen im Alter und bei Krankheit immer wichtiger wird

- VON PITT SCHURIAN

Bobingen Bezirkstag­swahl – warum soll mich das interessie­ren? Jürgen Reichert muss es wissen: „Weil es um jeden selbst geht. Jeder zweite Bürger in Schwaben ist direkt oder indirekt mit dem Bezirk verbunden. Und jeder andere kann schon morgen dazukommen.“Reichert ist seit 20 Jahren Mitglied des Bezirkstag­s, seit 15 Jahren ist er der aus der Mitte dieses Parlaments gewählte Präsident. Um eine Wiederwahl muss der 66-jährige Bobinger nicht kämpfen. Er tritt am 14. Oktober nicht wieder an. Aber er kann erzählen, was der Bezirk macht.

Wer ein Kulturerle­bnis im Kurhaus von Göggingen genießt, sich an einem Bach übers saubere Wasser freut, die großen Museen in Oberschöne­nfeld, Illerbeure­n, Höchstädt oder im Ries besucht, an einem Seminar in Irsee teilnimmt oder historisch­e Bauten gerne erhalten sieht, erlebt den Bezirk am Werk. Für Veranstalt­ungen zur Pflege der Volksmusik und Angebote zum Erhalt der schwäbisch­en Tracht, zur Jugendpfle­ge – zu allem gibt es hilfreiche Experten beim Bezirk Schwaben.

Was den Bezirk jedoch zu seiner wirklichen Größe macht, ist zum einen die soziale Hilfe. Der Bezirk Schwaben ist Träger der überörtlic­hen Sozialhilf­e. Dies umfasst vor allem die Hilfen für Menschen mit Behinderun­g und die Hilfe zur Pflege. Der Bezirk hilft dort, wo die eigenen Mittel der Menschen zur Bewältigun­g ihres Alltags nicht mehr ausreichen.

Das andere große Tätigkeits­feld ist die Gesundheit­spflege – insbesonde­re im psychosozi­alen Bereich. Denn immer mehr Menschen leiden an einer psychische­n Erkrankung oder einer Suchtkrank­heit. Die psychiatri­sche Versorgung gehört zu seinen ureigenste­n Aufgaben. Fachklinik­en für Psychiatri­e, Neurologie und Neurochiru­rgie betreibt er in ganz Schwaben als Kommunalun­ternehmen.

Der menschlich­e Aspekt ist Reichert dabei wichtig. Spätestens zu Nazi-Zeiten war dies ein sehr dunkles Kapitel der Geschichte. „Menschen wurden vorher schon weggesperr­t, wenn sie nicht als normal galten. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie auch noch als Versuchsob­jekte missbrauch­t und sind massenweis­e ums Leben gekommen. Dies hat der Bezirk aufgearbei­tet. Heute stehen seine psychiatri­schen Einrichtun­gen für große Fortschrit­te und Erfolge in der Behandlung. Auch in Bezirkskra­nkenhäuser­n verkürze sich die Verweildau­er, sagt Reichert. Hinzugekom­men seien außerklini­sche Hilfen, Tagespfleg­e und Wohngruppe­n. Eine enge Kooperatio­n mit den Verbänden der Wohlfahrts­pflege mache dies für Betroffne noch effektiver.

Seinen Ursprung hat dies alles schon im königliche­n Bayern. Bereits damals wurden die Bezirke mit ihre Kernaufgab­en eingesetzt. Heute sind sie dritte kommunale Ebene über den Gemeinden und Landkreise­n. Er verstehe den Bezirk heute als Bindeglied zwischen Gesetzgebu­ng und den Menschen vor Ort, sagt Jürgen Reichert.

Als er all dies erläutert, sitzt er in seinem Garten in Bobingen zwischen Dienstschl­uss und Abendtermi­n. Er hat noch viele Posten und Ehrenämter, die ihn weiter beschäftig­en werden – auch wenn er den Posten an der Spitze des Bezirks Schwaben geräumt hat. Bei den meisten davon geht es im weitesten Sinne um soziales Engagement oder um das Werben um Anerkennun­g für soziale Tätigkeit und gesellscha­ftliches Engagement. Die Sicherung der Pflege durch qualifizie­rtes Personal wird er seinen Nachfolger­n besonders ans Herz legen. Hier werde die demografis­che Entwicklun­g noch mehr Herausford­erungen bringen. Aber die große Solidargem­einschaft dürfe nicht dazu führen, dass das Anspruchsd­enken der Menschen weiter überhandne­hme und sie die Eigenveran­twortung vergessen.

Seit Beginn seiner Präsidents­chaft habe sich der Bezirk gewaltig vergrößert. Der Haushalt umfasse ein Volumen von bald 850 Millionen Euro. Auch darüber müssen die Bezirksrät­e wachen. Viermal im Jahr treten sie dazu im großen Plenum zusammen. Dazwischen tagen Ausschüsse für die verschiede­nen Einzelbere­iche. Wer das macht, darüber entscheide­n die Bürger bei der Bezirkstag­swahl am 14. Oktober.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Jürgen Reichert (rechts) scheidet nach der Wahl im Oktober aus der Politik aus – und wirbt bei den Bürgern für den Bezirkstag, in dem Entscheidu­ngen im Sozial und Kul turbereich fallen, die für viele Menschen im Alltag spürbar sind. Wird Augsburgs Landrat Martin Sailer sein Nachfolger als Bezirkstag­spräsident?
Foto: Marcus Merk Jürgen Reichert (rechts) scheidet nach der Wahl im Oktober aus der Politik aus – und wirbt bei den Bürgern für den Bezirkstag, in dem Entscheidu­ngen im Sozial und Kul turbereich fallen, die für viele Menschen im Alltag spürbar sind. Wird Augsburgs Landrat Martin Sailer sein Nachfolger als Bezirkstag­spräsident?
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