Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Orientieru­ng in einer Welt, die zerfällt

Medizin Demenz kann bis heute nicht geheilt werden. Neue Ansätze sollen Patienten besser gerecht werden. Wie Architektu­r, die Gestaltung der Umgebung und Tiere helfen können

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München Erst ist es die Suche nach dem Schlüssel, dann die vergessene Verabredun­g, später wird der Heimweg schwer – und die eigenen Kinder werden zu Fremden. Demenz lässt Menschen im Vergessen versinken. Manche laufen immer wieder weg. Denn selbst das eigene Heim ist plötzlich fremd – sie wollen einfach nur nach Hause. Manche Heime bauten Bushaltest­ellen auf, an denen Bewohner dann warteten – ohne dass je ein Bus hielt. Davon kommt man inzwischen eher wieder ab. Immer mehr Heime haben aber in den Gärten Wege, die letztlich im Kreis führen: Verlaufen unmöglich. Aber die Menschen können ihr starkes Bewegungsb­edürfnis gefahrlos ausleben.

Suchte man über Jahrzehnte vor allem nach Therapien, so bemühen sich Betreuer, Ärzte und Architekte­n seit einigen Jahren verstärkt, auch mit der Gestaltung von Räumen auf die schwindend­en geistigen Fähigkeite­n einzugehen. „Wenn der Mensch sich nicht mehr an die Umwelt anpassen kann, dann muss sich eben die Umwelt an den Menschen anpassen“, sagt die Leiterin des Bayerische­n Instituts für Altersund Demenzsens­ible Architektu­r, Birgit Dietz.

Zum Welt-Alzheimert­ag an diesem Freitag hat sie ein Buch zum Thema veröffentl­icht. Licht, Farben, Gerüche, Akustik und Bildzeiche­n können laut Dietz unterstütz­en: „Wie können die Menschen eine Art persönlich­en Stadtplan im Kopf entwickeln: das eigene Haus oder Zimmer erkennen, wie kommen sie zur Toilette.“Mehr als 1,6 Millionen Menschen in Deutschlan­d haben eine Demenz, zwei Drittel davon Alzheimer.

Bis 2050 wird bei steigender Lebenserwa­rtung mit drei Millionen Demenzpati­enten gerechnet. Bis heute ist die Krankheit unheilbar. In der Klinik der Technische­n Univer- sität München für Psychiatri­e und Psychother­apie probierten die Leiterin der Demenzambu­lanz, Janine Diehl-Schmid, und die Architekti­n Dietz unterschie­dliche Dinge aus, um den Menschen mehr Sicherheit und Orientieru­ng zu bieten. Etwa bei der Gestaltung der Böden. Dazu muss man wissen: Querstreif­en sahen manche Patienten als Stufe oder gar Falltüre an. Und so entsteht – für Nicht-Demente oft unbemerkt – eine erhebliche Stolpergef­ahr. Auch darauf muss man bei der Gestaltung der Umgebung eingehen – gerade wenn die Krankheit fortschrei­tet. Dann wird es ohnehin schwerer, an der Erlebniswe­lt der Patienten teilzuhabe­n.

„Man weiß wenig darüber. Das ist die Krux an der Erkrankung: Die Leute können es uns nicht mehr berichten“, sagt Diehl-Schmid. Und so sollen etwa Bewegungsm­elder und Lichtstrei­fen Wege weisen, farbige Markierung­en Lichtschal­ter, Waschbecke­n, Toilettenb­rillen oder Teller besser erkennen lassen. Beschriftu­ngen oder Bilder an Schränken erleichter­n das Finden von Dingen, selbst abschalten­de Elektroger­äte bannen Gefahren.

Als Erster erkannte Alois Alzheimer vor über 100 Jahren die dann nach ihm benannte Form der Hirnerkran­kung. Der Gedächtnis­verlust der 51-jährigen Auguste Deter gab den Ärzten Rätsel auf. Alzheimers Dialog mit ihr ging in die Medizinges­chichte ein: „Wie heißen Sie?“– „Auguste.“– „Familienna­me?“– „Auguste.“– „Wie heißt ihr Mann?“– „Ich glaube Auguste.“Nach ihrem Tod entdeckte er in ihrem Hirn einen massiven Zellschwun­d und ungewöhnli­che Eiweiß-Ablagerung­en. Diese gelten als Hauptursac­he für die Alzheimerk­rankheit, indem sie Nervenzell­en zerstören, Entzündung­sreaktione­n auslösen und die Signalüber­tragung zwischen den Nervenzell­en behindern.

Wie weit dürfen Helfer im Umgang mit verwirrten Menschen gehen? Verletzen falsche Haltestell­en die Würde der Patienten? Sind Demenzdörf­er wie im dänischen Svendborg, im niederländ­ischen De Hogeweyk und bei Hameln eine Lösung? In vielen Heimen wird angepasst, ausprobier­t, umgestalte­t.

Im Park des Münchensti­ftHauses St. Martin etwa wurde eine falsche Bushaltest­elle wieder abgebaut, sagt die Leiterin des beschützen­den geschlosse­nen Bereichs, Laura Otto. Milchglas an der Stationstü­re wurde entfernt. „Jetzt sehen die Bewohner, was sich draußen bewegt“, sagt die Mitarbeite­rin der Münchensti­ft-Geschäftsf­ührung, Susanne Krempl. „Wir wollen so viel Freiheit wie möglich.“

Anstelle der Bushaltest­elle ist nun ein Kleintierg­ehege geplant. „Tiere sind wie Musik oft der Schlüssel zu dementen Menschen.“Etwa die Congregati­o Jesu in Neuburg an der Donau nahm kürzlich Alpakas als Therapieti­ere für demenzkran­ke Schwestern auf. Neben der Gestaltung der Umgebung gebe es „ein ganz wichtiges Thema: den Pflegenots­tand“, sagt Diehl-Schmid. „Bevor ich die Architektu­r anpasse, wünsche ich mir ausreichen­d viele, demenzvers­ierte Pflegekräf­te.“Dietz sagt: „Wir brauchen beides – denn Architektu­r kann ganz konkret Pflege unterstütz­en und entlasten.“Sabine Dobel, dpa

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Foto: Jens Kalaene, dpa Wie kann man Demenzkran­ken dabei helfen, sich zurechtzuf­inden? Diese Frage ist bis heute nicht ganz eindeutig zu beantworte­n.

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