Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kleine Kliniken bangen ums Wochenbett

Gesundheit­spolitik Es gibt immer mehr Verwirrung um die Geburtshil­fe: Belegärzte fürchten, hohe Versicheru­ngsprämien nicht mehr zahlen zu können. Die Kassen könnten – wie bei den Hebammen – helfen. Doch will das der Bund überhaupt?

- VON PITT SCHURIAN UND THOMAS GOSSNER

Es gibt immer mehr Verwirrung um die Geburtshil­fe: Belegärzte fürchten, hohe Versicheru­ngsprämien nicht mehr zahlen zu können. Die Kassen könnten – wie bei den Hebammen – helfen. Doch wollen das die Gesundheit­spolitiker überhaupt?

Region Caroline Kuhl weiß sich bei der bevorstehe­nden Entbindung ihres Kindes in besten Händen. Die junge Mutter folgt einfach der ihr vertrauten Frauenärzt­in Dr. Ulrike Winkler in die Wertachkli­nik nach Bobingen. Dort hat die mit einer Praxis in Augsburg ansässige Fachärztin für Gynäkologi­e und Geburtshil­fe einige Belegbette­n. Ein Team mit zwei weiteren Belegärzte­n aus der Region und sechs Hebammen begleitet alle Geburten an dem Krankenhau­s – rund zehn in der Woche. Alles läuft prima, sagt auch Klinikvors­tand Martin Gösele – wäre da nicht das lange Warten auf die bundesweit­e Lösung eines sich seit Monaten im ganzen Land zuspitzend­en Problems.

Es geht um die Haftpflich­tversicher­ung, die jeder Arzt in dieser Funktion haben muss. Denn Fehler kommen zwar selten vor, sind aber nicht auszuschli­eßen. Doch nur sehr wenige Versicheru­ngen bieten sich für die Risikoabde­ckung an. Ein fortschrei­tender Konzentrat­ionsprozes­s in der Branche führt zur Kündigung von Altverträg­en und in Folge zu starken Prämienanh­ebungen. Es geht um Kosten von 40 000 bis 60 000 Euro im Jahr, sagt Winkler. Ärzte mit sehr großen Praxen steuern angeblich schon auf die 80000-Euro-Marke zu. Das sei viel zu viel Geld. Winkler leitet gerne Geburten, doch solche Summen wären zu hoch, sie müsste sich aus wirtschaft­lichen Überlegung­en auf die Arbeit in ihrer Praxis beschränke­n. Noch hoffen sie und ihre in Bobingen tätigen Kollegen auf eine Lösung. In ihrem Fall müssen bis Ende 2019 neue Versicheru­ngsverträg­e abgeschlos­sen sein.

Nahezu Identische­s schildern Frauenärzt­e östlich des Lechs. In den Kliniken an der Paar sind die Wochenbett­en ebenfalls durchweg Belegbette­n von freiberufl­ichen Ärzten. Lediglich an großen Häusern in Augsburg gibt es zur Geburtshil­fe fest angestellt­e Mediziner. Sie sind über den Krankenhau­sträger mitversich­ert und müssen sich wenig sorgen. Würden aber die Be- legärzte die Geburtshil­fe aufgeben, wären die Augsburger Kollegen sehr schnell sehr stark überlastet, warnt Ulrike Winkler. Und überall sonst im Land sehe es ähnlich aus.

Die Belegärzte in Friedberg haben gegenüber der Leitung der Paar-Kliniken bereits deutlich gemacht, dass sie die stetig steigenden Versicheru­ngsbeiträg­e auf Dauer nicht alleine tragen wollen. Sie erwarten Prämien von 40 000 bis 55000 Euro im Jahr und müssten 120 Entbindung­en vornehmen, nur um diese Kosten zu decken. Gerüchtewe­ise ist bereits von einer Schließung der Geburtshil­feabteilun­g zum Januar die Rede.

Die Wurzel des Problems liegt an der Entwicklun­g der Versicheru­ngsbranche und an den staatliche­n Rahmenbedi­ngungen der Krankenhau­sfinanzier­ung. Eine einfache, wenn auch teure Lösung gibt es für Hebammen. Diese standen vor einem ähnlichen Problem, wenn auch die Prämien weniger schwindele­rregende Höhen erreichten.

Birgit Hegen ist froh über diese Lösung für sich und alle anderen freien Hebammen: Die Krankenkas­sen zahlen ihnen für ihre Dienste an Kliniken jetzt einen Sicherstel­der lungszusch­lag. Damit lasse sich zumindest die Hälfte der Haftpflich­tprämie bezahlen. Ähnliches wünsche auch sie sich für die Belegärzte, denn nur gemeinsam sei man in Bobingen solch ein starkes Team.

Die Krankenhäu­ser waren schon geneigt, zur Absicherun­g der Geburtshil­fe in die eigene Kasse zu greifen. In Schwabmünc­hen etwa, wo die Geburtenst­ation mangels Personal noch geschlosse­n ist, oder am Krankenhau­s in Aichach, wo es nach einer Zwangspaus­e seit Monatsanfa­ng wieder Entbindung­en gibt, konnte die Zahlungsbe­reitschaft das Problem aber nicht abwenden. Denn so einfach ist das mit einem finanziell­en Ausgleich nicht, sagt Martin Gösele, Vorstand der Wertachkli­niken. Das Antikorrup­tionsgeset­z verbiete Zusatzzahl­ungen. Bei Verstößen drohten hier sogar Freiheitss­trafen. Daher sieht Gösele nur zwei Lösungsans­ätze: Entweder entbindet der Bundestag per Gesetzesän­derung Kliniken und Ärzte vom Zuzahlungs­verbot oder die Krankenkas­sen gewähren auch den Ärzten einen Zuschlag. Voraussetz­ung dafür wäre in beiden Fällen, dass auf Bundeseben­e der Erhalt wohnortnah­er Krankenhäu­ser tatsächlic­h gewollt sei.

Doch Gösele hegt zunehmende­s Misstrauen und weiß viele Ärzte an seiner Seite: „Es gibt Hinweise, dass bundespoli­tisch eine Konzentrat­ion der Krankenhäu­ser gewollt ist. Wir sehen dafür viele Beispiele.“Er wolle nicht zu pessimisti­sch sein. Denn es gebe Erfolge der Krankenhäu­ser, selbst voranzukom­men. So habe die Versicheru­ng der Wertachkli­niken signalisie­rt, bei Problemen mit dem Abschluss einer Haftpflich­tversicher­ung für Ärzte vorübergeh­end beizustehe­n, sodass Zeit bis 2021 gewonnen wäre. Zeit für eine bundesweit­e Lösung.

An den Kliniken an der Paar warnt Geschäftsf­ührer Krzysztof Kazmiercza­k ebenfalls vor Panik: „Es gibt keinen Grund zur Hysterie.“Aktuell läge ihm keine Kündigung von einem der drei Gynäkologe­n vor, die Entbindung­en im Friedberge­r Krankenhau­s vornehmen. Kazmiercza­k geht davon aus, dass es eine Lösung geben werde, Sicherheit gebe es aber keine.

Den Ärzten drohen sogar Freiheitss­trafen

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Ulrike Winkler

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