Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Kleine Kliniken bangen ums Wochenbett
Gesundheitspolitik Es gibt immer mehr Verwirrung um die Geburtshilfe: Belegärzte fürchten, hohe Versicherungsprämien nicht mehr zahlen zu können. Die Kassen könnten – wie bei den Hebammen – helfen. Doch will das der Bund überhaupt?
Es gibt immer mehr Verwirrung um die Geburtshilfe: Belegärzte fürchten, hohe Versicherungsprämien nicht mehr zahlen zu können. Die Kassen könnten – wie bei den Hebammen – helfen. Doch wollen das die Gesundheitspolitiker überhaupt?
Region Caroline Kuhl weiß sich bei der bevorstehenden Entbindung ihres Kindes in besten Händen. Die junge Mutter folgt einfach der ihr vertrauten Frauenärztin Dr. Ulrike Winkler in die Wertachklinik nach Bobingen. Dort hat die mit einer Praxis in Augsburg ansässige Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe einige Belegbetten. Ein Team mit zwei weiteren Belegärzten aus der Region und sechs Hebammen begleitet alle Geburten an dem Krankenhaus – rund zehn in der Woche. Alles läuft prima, sagt auch Klinikvorstand Martin Gösele – wäre da nicht das lange Warten auf die bundesweite Lösung eines sich seit Monaten im ganzen Land zuspitzenden Problems.
Es geht um die Haftpflichtversicherung, die jeder Arzt in dieser Funktion haben muss. Denn Fehler kommen zwar selten vor, sind aber nicht auszuschließen. Doch nur sehr wenige Versicherungen bieten sich für die Risikoabdeckung an. Ein fortschreitender Konzentrationsprozess in der Branche führt zur Kündigung von Altverträgen und in Folge zu starken Prämienanhebungen. Es geht um Kosten von 40 000 bis 60 000 Euro im Jahr, sagt Winkler. Ärzte mit sehr großen Praxen steuern angeblich schon auf die 80000-Euro-Marke zu. Das sei viel zu viel Geld. Winkler leitet gerne Geburten, doch solche Summen wären zu hoch, sie müsste sich aus wirtschaftlichen Überlegungen auf die Arbeit in ihrer Praxis beschränken. Noch hoffen sie und ihre in Bobingen tätigen Kollegen auf eine Lösung. In ihrem Fall müssen bis Ende 2019 neue Versicherungsverträge abgeschlossen sein.
Nahezu Identisches schildern Frauenärzte östlich des Lechs. In den Kliniken an der Paar sind die Wochenbetten ebenfalls durchweg Belegbetten von freiberuflichen Ärzten. Lediglich an großen Häusern in Augsburg gibt es zur Geburtshilfe fest angestellte Mediziner. Sie sind über den Krankenhausträger mitversichert und müssen sich wenig sorgen. Würden aber die Be- legärzte die Geburtshilfe aufgeben, wären die Augsburger Kollegen sehr schnell sehr stark überlastet, warnt Ulrike Winkler. Und überall sonst im Land sehe es ähnlich aus.
Die Belegärzte in Friedberg haben gegenüber der Leitung der Paar-Kliniken bereits deutlich gemacht, dass sie die stetig steigenden Versicherungsbeiträge auf Dauer nicht alleine tragen wollen. Sie erwarten Prämien von 40 000 bis 55000 Euro im Jahr und müssten 120 Entbindungen vornehmen, nur um diese Kosten zu decken. Gerüchteweise ist bereits von einer Schließung der Geburtshilfeabteilung zum Januar die Rede.
Die Wurzel des Problems liegt an der Entwicklung der Versicherungsbranche und an den staatlichen Rahmenbedingungen der Krankenhausfinanzierung. Eine einfache, wenn auch teure Lösung gibt es für Hebammen. Diese standen vor einem ähnlichen Problem, wenn auch die Prämien weniger schwindelerregende Höhen erreichten.
Birgit Hegen ist froh über diese Lösung für sich und alle anderen freien Hebammen: Die Krankenkassen zahlen ihnen für ihre Dienste an Kliniken jetzt einen Sicherstelder lungszuschlag. Damit lasse sich zumindest die Hälfte der Haftpflichtprämie bezahlen. Ähnliches wünsche auch sie sich für die Belegärzte, denn nur gemeinsam sei man in Bobingen solch ein starkes Team.
Die Krankenhäuser waren schon geneigt, zur Absicherung der Geburtshilfe in die eigene Kasse zu greifen. In Schwabmünchen etwa, wo die Geburtenstation mangels Personal noch geschlossen ist, oder am Krankenhaus in Aichach, wo es nach einer Zwangspause seit Monatsanfang wieder Entbindungen gibt, konnte die Zahlungsbereitschaft das Problem aber nicht abwenden. Denn so einfach ist das mit einem finanziellen Ausgleich nicht, sagt Martin Gösele, Vorstand der Wertachkliniken. Das Antikorruptionsgesetz verbiete Zusatzzahlungen. Bei Verstößen drohten hier sogar Freiheitsstrafen. Daher sieht Gösele nur zwei Lösungsansätze: Entweder entbindet der Bundestag per Gesetzesänderung Kliniken und Ärzte vom Zuzahlungsverbot oder die Krankenkassen gewähren auch den Ärzten einen Zuschlag. Voraussetzung dafür wäre in beiden Fällen, dass auf Bundesebene der Erhalt wohnortnaher Krankenhäuser tatsächlich gewollt sei.
Doch Gösele hegt zunehmendes Misstrauen und weiß viele Ärzte an seiner Seite: „Es gibt Hinweise, dass bundespolitisch eine Konzentration der Krankenhäuser gewollt ist. Wir sehen dafür viele Beispiele.“Er wolle nicht zu pessimistisch sein. Denn es gebe Erfolge der Krankenhäuser, selbst voranzukommen. So habe die Versicherung der Wertachkliniken signalisiert, bei Problemen mit dem Abschluss einer Haftpflichtversicherung für Ärzte vorübergehend beizustehen, sodass Zeit bis 2021 gewonnen wäre. Zeit für eine bundesweite Lösung.
An den Kliniken an der Paar warnt Geschäftsführer Krzysztof Kazmierczak ebenfalls vor Panik: „Es gibt keinen Grund zur Hysterie.“Aktuell läge ihm keine Kündigung von einem der drei Gynäkologen vor, die Entbindungen im Friedberger Krankenhaus vornehmen. Kazmierczak geht davon aus, dass es eine Lösung geben werde, Sicherheit gebe es aber keine.
Den Ärzten drohen sogar Freiheitsstrafen