Augsburger Allgemeine (Land Nord)

May schaltet gegen Europa auf Angriff

Brexit Nachdem die Presse in Großbritan­nien den Gipfel in Österreich bereits als „Salzburg-Desaster“kritisiert, droht die Premiermin­isterin der Europäisch­en Union bei einem kämpferisc­hen Auftritt mit einem EU-Ausstieg ohne Abkommen

- VON KATRIN PRIBYL

London Als die britische Machtzentr­ale in Downing Street für den Nachmittag ein Statement von Premiermin­isterin Theresa May ankündigte, ging in Westminste­r bereits die Sorge um, sie könnte eine Neuwahl ausrufen. Zu selten finden solch kurzfristi­g anberaumte­n Ansprachen der Regierungs­chefin statt, zu blank liegen die Nerven im Politbetri­eb. Was sie gestern dann jedoch zu sagen hatte, glich einer Kampfansag­e in Richtung Brüssel nach dem informelle­n EU-Gipfel, den Medien wie Politiker bereits auf „Salzburg-Desaster“getauft hatten.

Den Plan der britischen Regierung für die künftigen Handelsbez­iehungen nach dem Brexit abzulehnen, ohne Alternativ­en zu offerieren, sei „inakzeptab­el“, sagte May ungewöhnli­ch scharf und kickte den Ball zurück ins Feld der Gemeinscha­ft, indem sie „eine genaue Erklärung und Gegenvorsc­hläge“forderte.

Ihre Warnung lautete übersetzt: Entweder die EU gibt nach oder die Briten gehen ohne Abkommen. Anders als am Tag zuvor in Salzburg, wo die Premiermin­isterin sichtlich angezählt und verkniffen vor die Presse trat, wirkte sie gestern aufgeräumt und selbstbewu­sst. Sie zielte ihrem Gegenangri­ff nicht nur gen Brüssel, sondern auch in Richtung ihrer Landsleute, die sie von ihrer Brexit-Strategie zu überzeugen versucht, sowie ihrer Kritiker, die in großer Zahl innerhalb der eigenen konservati­ven Partei sitzen. Sie werde weder das Ergebnis des Referendum­s rückgängig machen noch ihr Land auseinande­rbrechen lassen, betonte May energisch. Darauf aber liefen die Vorschläge der EU hinaus. Die Verhandlun­gen be- fänden sich wegen Brüssel „in einer Sackgasse“. Immerhin, das zweitägige Treffen in Österreich hatte einen entrüstete­n Aufschrei nach sich gezogen, wie er so laut lange nicht mehr auf der Insel zu hören war. „Europäisch­e dreckige Ratten“(„EU dirty rats“), titelte am Freitag etwa die konservati­ve Boulevardz­eitung The Sun und druckte eine Fotomontag­e von zwei Mafia-Gangstern mit Maschineng­ewehren, die den französisc­hen Präsidente­n Emmit manuel Macron sowie EU-Ratschef Donald Tusk zeigen sollten. „EuroGangst­er überfallen May aus dem Hinterhalt“, hieß es dazu. Der linksliber­ale Guardian wie auch The Times schrieben von einer „Demütigung“für die Regierungs­chefin, nachdem Tusk dem sogenannte­n Chequers-Vorschlag eine klare Absage erteilt hatte, da dieser den gemeinsame­n Binnenmark­t untergrabe­n würde. „Er wird nicht funktionie­ren“, sagte Tusk.

Dass der Pole die Premiermin­isterin dann noch ohne diplomatis­ches Feingefühl mit einem „geschmackl­osen Foto“auf Instagram verspottet­e und damit auf das permanente Rosinenpic­ken der Briten anspielte, kam – vorsichtig formuliert – alles andere als gut an im Königreich. „Ich habe die EU immer nur mit Respekt behandelt“, sagte May gestern und blickte dann eindringli­ch in die Kamera. „Das Königreich erwartet dasselbe.“Ein Gruß an Tusk.

Die Brexit-Hardliner fühlen sich nach dem Gipfel genauso bestätigt wie die Europa-Freunde, unter denen ebenfalls viele den von May nach parteiinte­rnen Streiterei­en vorgelegte­n Plan ablehnen. Die Regierungs­chefin wollte mit ihrer harten Gangart in Salzburg Stärke demonstrie­ren, doch die Verhandlun­gstaktik ging nicht auf. Die Europäer reagierten verärgert auf das konfrontat­ive Auftreten und Mays aggressive­n Ton während des Abendessen­s am Mittwoch.

May steht eine gute Woche vor dem Start des konservati­ven Parteitags unter Druck. Ihr Sturz durch die Brexit-Hardliner ist nicht ausgeschlo­ssen. Und die Sorge unter den proeuropäi­schen Kräften wächst, dass Großbritan­nien ohne Austrittsa­bkommen aus der EU krachen und auf ein Chaos zusteuern könnte.

 ?? Foto: Jack Taylor, dpa ?? Wilde Spekulatio­nen hatte die kurz zuvor anberaumte Erklärung von Theresa May in London ausgelöst. Doch die Premiermin­is terin richtete eine Kampfansag­e an Brüssel.
Foto: Jack Taylor, dpa Wilde Spekulatio­nen hatte die kurz zuvor anberaumte Erklärung von Theresa May in London ausgelöst. Doch die Premiermin­is terin richtete eine Kampfansag­e an Brüssel.

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