Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Er würde fast alle Gefangenen freilassen
Justiz Thomas Galli war Chef zweier Haftanstalten, jetzt ist er Autor und Anwalt in Augsburg. Im ehemaligen Gefängnis im Domviertel hat er erzählt, warum er von Haftstrafen wenig hält
Er hat im Gefängnis in Straubing gearbeitet. Dort, wo Bayerns Schwerverbrecher einsitzen. Später war er Chef zweier Gefängnisse in Sachsen. Thomas Galli, hat als Justizbeamter Karriere gemacht. Doch er hat den sicheren Beamtenjob gekündigt. Irgendwann wurde ihm klar, dass er die meisten seiner Gefangenen am liebsten sofort wieder entlassen würde. Das sagte er auch öffentlich. Und auf Dauer geht das eben nicht: Ein Gefängnis-Chef, der die Gefängnisse abschaffen will.
Seit zwei Jahren arbeitet Thomas Galli deshalb als Rechtsanwalt in Augsburg. Er ist zurückgekommen in die Stadt, in der er aufgewachsen ist. Er ist Autor zweier Bücher, in denen er die Schicksale von Gefangenen beschreibt. Er will damit auch was aus seiner Sicht schief läuft in den deutschen Gefängnissen und warum er Haftstrafen in den allermeisten Fällen für falsch hält.
Thomas Galli tritt immer wieder öffentlich auf, unter anderem in Gesprächsrunden und Lesungen. In Augsburg allerdings hatte er bisher noch nie aus seinen Büchern gelesen. Das hat sich nun geändert. Im Hof des ehemaligen Gefängnisses in der Karmelitengasse trug er auf Einladung des Vereins „Brücke“nun mehrere Häftlingsschicksale vor. Eine passende, aber auch beklemmende Kulisse. Dort, wo bis vor wenigen Jahren noch Mörder, Betrüger und andere Straftäter tatsächlich ihren Hofgang gemacht haben. Es war keine reine Lesung. Thomas Galli stellte sich auch den Fragen von Brücke-Geschäftsführer Erwin Schletterer. Der Verein kümmert sich um junge Straftäter. Galli begründet seine Kritik an den Gefängnissen damit, dass sie aus seiner Sicht nicht dazu beitragen, aus einem Straftäter wieder ein normales Mitglied der Gesellschaft zu machen. Im Gegenteil: Galli ist überzeugt, dass Gefängnisse meist alles schlimmer machen.
Wer als Gefängnis-Chef in der Öffentlichkeit stolz von den vielen Angeboten für die Gefangenen berichte, der lüge sich damit ein Stück weit selbst in die Tasche, sagt er. In Wahrheit sei es so, dass der Knast eine Parallelwelt sei, in der Häftlinaufzeigen, ge oftmals dem schlechten Einfluss anderer Gefangener ausgesetzt seien. Die Arbeit von Sozialpädagogen verpuffe im Vergleich. Galli plädiert dafür, wenige, gefährliche Täter wie Serienmörder oder Vergewaltiger dauerhaft, auch lebenslang, einzusperren – in eigenen, menschenwürdig gestalteten Siedlungen. Für alle anderen Straftäter gebe es sinnvollere Strafen: Etwa eine mehrjährige soziale Arbeit, verbunden mit Therapien. Bei einem Betrüger sei es zum Beispiel vielen Opfern oft wichtiger, dass er arbeiten kann und den Schaden wiedergutmacht – statt in Haft zu sitzen.
Bei der Augsburger Lesung erntete Thomas Galli viel Zuspruch für seine Haltung. Im Publikum saßen viele Menschen, die mit Gefangenen und Ex-Gefangenen arbeiten – unter anderem Bewährungshelfer.