Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Wir werden verstärkt bei Naturkatastrophen gefragt sein“
Interview In Augsburg arbeiten die Hilfsorganisationen seit zehn Jahren in einer Interessengemeinschaft zusammen. Das ist in dieser Form einmalig in Deutschland. Was sich der Vorsitzende Günter Gsottberger für die Helfer wünscht – und welche Herausforderu
Warum braucht Augsburg die Arbeitsgemeinschaft der Hilfsorganisationen? Günter Gsottberger: „Augsburg hilft“ist das Motto der Arbeitsgemeinschaft. Und dies stellen wir täglich unter Beweis: Sei es bei der Betreuung von Demenzkranken, bei Besuchsdiensten, in der Krisenintervention im Rettungsdienst, aber eben auch bei Sanitätswachdiensten oder Katastrophenschutzeinsätzen. Auf uns ist Verlass, rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr.
Oft gibt es ja auch eine Art Konkurrenzdenken zwischen den Hilfsorganisationen. Ist eine solche Zusammenarbeit einmalig in Deutschland? Gsottberger: Unseres Wissens sind wir immer noch die Einzige, auf jeden Fall aber die erste rechtlich geordnete Interessenvertretung für das Ehrenamt in Hilfsorganisationen. Wir würden uns wünschen, wenn wir von Augsburg aus ein Signal geben können, dass es funktioniert und dass wir gemeinsam etwas bewirken können.
Gibt es einen ganz besonderen Einsatz aus den vergangenen zehn Jahren? Gsottberger: Unsere Ehrenamtlichen haben natürlich Tausende interessante Einsätze. Doch die sogenannte Weihnachtsbombe 2016 bleibt uns wohl allen in Erinnerung.
Wegen des Fundes einer Weltkriegsbombe mussten damals am ersten Weihnachtsfeiertag mehr als 50 000 Augsburger ihre Wohnungen verlassen. Auch Pflegeheime waren betroffen. Gsottberger: Die Herausforderung war, die Vielzahl an Einsätzen zu koordinieren und die Kräfte aus ganz Bayern gezielt einzuplanen. Jede helfende Hand war gefragt. Dies
ein Kraftakt für alle – und ich bin da nicht nur unseren Ehrenamtlichen dankbar, sondern auch den Patienten und Angehörigen für ihre Geduld und ihr Verständnis sowie den Krankenhäusern und Senioreneinrichtungen.
Hat sich Ihre Arbeit in den letzten Jahren verändert?
Gsottberger: Ja. Bei der Gründung im Jahr 2008 war zum Beispiel das Thema Flucht und Asyl bei Weitem nicht so groß wie im Jahr 2015, auch die Sanitätswachdienste waren oftwar ● Das Bündnis beteiligt sich an der Or ganisation von Großereignissen, Be treuung von Demenzkranken, Besuchs diensten, in der Krisenintervention im Rettungsdienst, aber auch bei Sani tätsdiensten oder Katastrophen schutzeinsätzen. Es wurde mit mehre ren Preisen ausgezeichnet. (kbe)
mals kleiner dimensioniert als heute. Die Entwicklungen der Umwelt lassen erwarten, dass wir künftig zunehmend bei Naturkatastrophen gefragt sein werden. Und der demografische Wandel und wegbrechende Familienstrukturen erfordern zum Beispiel neue Angebote für die Senioren.
Ihre aktiven Ehrenamtlichen leisten freiwillig Hilfe. Sehen Sie Nachholbedarf bei der Hilfsbereitschaft in unserer Gesellschaft?
Gsottberger: Hilfsbereitschaft ist gefragter denn je. Daher setzen wir bei unseren Ehrenamtlichen auf langfristiges Engagement, da in Rettungsund Sanitätsdienst wie Katastrophenschutz eine umfassende Ausbildung, regelmäßige Fort- und Weiterbildung sowie Erfahrung notwendig sind.
Sehen Sie das Ehrenamt in Gefahr? Gsottberger: Gesundheits- und Sozialberufe sind gefragt. Aber hauptamtliche Bereiche wie den Rettungsdienst und den Krankentransport auf dem Rücken des Ehrenamts dauerhaft aufrechtzuerhalten, ist nicht zielführend. Dementsprechend brauchen wir auch mehr Angebote für Freiwilligendienste.
Was wäre, wenn es die Arbeitsgemeinschaft nicht mehr gäbe? Gsottberger: Ich denke, es wäre für Augsburg und die ganze Region ein durchaus großer Verlust. Sowohl die Organisationen als auch die Behörden sowie die Veranstalter hätten dadurch in vielen Fällen wieder mehrfachen Aufwand.
Was wünschen Sie sich von der Bevölkerung?
Gsottberger: Jeder Einzelne von uns kann seine Anerkennung ausdrücken: Respekt gegenüber Rettern, Dank bei Helfern. Das wäre schon etwas. Wenn sich dann noch der ein oder andere selbst engagiert, alternativ auch eine Spende tätigt, dann können wir gemeinsam etwas bewirken und unsere Heimat zu einer Region des Ehrenamts machen.
Neben Beruf und Familien auch noch ehrenamtlicher Arbeit nachzugehen, bedeutet viel Aufwand.
Gsottberger: Das stimmt. Oft ist es eine große Herausforderung, Familie, Arbeit und Ehrenamt zusammenzubringen. Doch das ist nur die eine Seite. Das Ehrenamt gibt den Menschen aber auch etwas zurück. Es kann Bereicherung, Faszination und Glück bedeuten. All die Hilfe darf in den Köpfen vieler Menschen aber nicht als etwas Selbstverständliches wahrgenommen werden, was die anderen schon machen, sondern jeder sollte seinen aktiven oder passiven Teil dazu beitragen, damit unsere Gesellschaft funktioniert und dabei nicht vergisst, menschlich zu bleiben.
Gibt es einen Traum, den Sie für die Arbeit der Hilfsorganisationen haben? Gsottberger: Ein Traum wäre es, unsere Heimat eines Tages tatsächlich zu der Region des Ehrenamtes zu machen. Wenn wir es tatsächlich schaffen, dass noch mehr Menschen in Stadt und Landkreis Augsburg erkennen, dass jeder als ein Teil der Gesellschaft in irgendeiner Weise vieles, was ihm am Herzen liegt, mit seinen Fähigkeiten und Ressourcen persönlich mitgestalten kann, dann wäre das wunderbar.
Interview: Kristina Beck
Günter Gsottberger, 54, ist seit der Gründung der Arbeitsgemeinschaft der Hilfsorganisationen im Jahr 2008 Vorsitzender.