Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Viele sprechen von Vertrauensverlust“
Interview Noch bis Dienstag ist der Juso-Bundesvorsitzende auf Wahlkampftour. Am Samstag war er im schwäbischen Günzburg. An der SPD im Freistaat hat er nichts auszusetzen. Am Berliner Politikbetrieb umso mehr
Der hessische CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier sagt angesichts der Kapriolen um den Noch-Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen, die Bevölkerung habe den Eindruck, dass die Große Koalition die meiste Kraft dafür aufbringe, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Sehen Sie das auch so?
Kevin Kühnert: Es ist schwer, nach dem halben Jahr Große Koalition zu einem anderen Eindruck zu kommen. Es ist nicht so, dass gar keine Sacharbeit stattfindet, aber sie ist in der Öffentlichkeit nicht wirklich präsent. Die Wahrnehmung der Koalition ist geprägt durch diesen riesigen Asyl- und Migrationskrach vor der Sommerpause und jetzt von der Causa Maaßen. Es steht alles sehr im Schatten der bayerischen Landtagswahl, was vor allem mit Horst Seehofer und seinem sehr erratischen Auftreten zu tun hat.
Fühlen Sie sich darin bestätigt, dass es falsch war als SPD, sich an der Regierung zu beteiligen?
Kühnert: Das wird, glaube ich, eher die Zeit zeigen. Mir ging es auch in der ganzen Maaßen-Diskussion jetzt nicht darum, die NoGroKoKampagne der Jusos bei nächstbester Gelegenheit nochmals aufzugreifen. An meinen Vorbehalten ändert sich grundsätzlich nichts. Ich desavouiere die Arbeit der Koalition aber deshalb nicht, das hielte ich für einen ziemlich unangemessenen Akt. Offensichtliche Probleme darf man deswegen nicht ausblenden. Dass Union und SPD nicht sonderlich gut zusammenarbeiten, das sieht, glaube ich, jeder.
Als Sie damals Ihre NoGroKo-Kampagne ins Leben gerufen hatten, haben Sie damit nicht auch indirekt dem Bundespräsidenten widersprochen? Der hat ja die SPD nach den geplatzten Jamaika-Verhandlungen ermahnt, dass sie die Staats- über die Parteiräson stellen muss.
Kühnert: Die Verweigerung gegenüber einer Großen Koalition ist, wenn man so will, auch eine Art Staatsräson. Nämlich dann, wenn man, wie in meinem Fall, zu der Einschätzung kommt, dass dieses Regierungsbündnis auf Dauer angelegt der demokratischen Kultur im Land schadet. In den letzten Jahren gibt es eine große Unzufriedenheit bei vielen Menschen darüber, dass für die Gesellschaft wichtige Debatten nicht mehr zwischen den demokratischen Blöcken links und rechts der Mitte diskutiert werden. Die beiden großen Tanker, Union und SPD, die diese Debatte anführen müssten, sind in ihrer Koalition zur Zusammenarbeit gezwungen. Somit bleibt der Meinungsstreit der Öffentlichkeit viel zu häufig verborgen. Dann fangen Leute an, sich auf die Suche zu machen nach Alternativen im wahrsten Sinne des Wortes.
Wem nützt das derzeitige politische Schauspiel in Berlin?
Kühnert: Das nützt am Ende des Tages niemandem. Die Vorgänge der vergangenen Tage sind vor allem dazu geeignet, das Ansehen von parlamentarischer Demokratie insgesamt zu beschädigen.
Welche Auswirkungen hat das – die heiße Phase des Wahlkampfs in Bayern läuft – auf die SPD im Freistaat? Kühnert: Keine Landtagswahl ist wirklich unabhängig von den bundespolitischen Entwicklungen. Was man machen kann – und das macht die SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen ganz gut –, ist ein Stück weit auch einen Gegenpol zum Planeten Berlin zu markieren und deutlich zu machen, was die Leute daran stört. Mit diesem starken Herausstellen von Anstand und Haltung und auch mit dem politischen Stil der Geradlinigkeit, den viele gerade in der Bundesregierung vermissen, kann man ganz gut zeigen, dass Politik auch anders gemacht werden kann. Ist die bayerische SPD geradliniger als die Bundes-SPD?
Kühnert: Ja. Das hat man ganz gut gesehen jetzt – als die bayerische SPD nach dem Maaßen-Kompromiss Druck gemacht hat, weil sie damit nicht einverstanden war.
Dennoch kommt die SPD in Bayern in Umfragen nur auf elf Prozent. Mit einer Volkspartei hat das nichts mehr zu tun – oder?
Kühnert: Den Faktor Volkspartei macht immer noch ein bisschen mehr aus als nur die Umfragewerte. Aber selbstverständlich ist niemand mit elf Prozent zufrieden. Der Anspruch ist natürlich ein anderer. Ich bin ja jetzt schon ein paar Tage in Bayern unterwegs. Was halt auffällt, ist: Mir begegnen überhaupt keine Leute, die mir sagen, das Wahlprogramm der Bayern-SPD ist blöd oder Natascha Kohnen ist unfähig und deswegen wähle ich die nicht. Ich werde viel auf Bundespolitik und viel auf Vertrauensverlust angesprochen.
Wenn die SPD am 14. Oktober Pech hat, dann wird sie nach der CSU, nach den Grünen, nach der AfD und nach den Freien Wählern die fünftstärkste Kraft im Landtag.
Kühnert: Diese Untergangsszenarien, die bei der SPD sowieso unheimlich gerne im Umlauf sind, helfen nicht weiter. Sie verstellen nur den Blick darauf, worum es jetzt geht. Selten hat es eine so spannende Landtagswahl in Bayern gegeben. Deshalb ist es lohnend, sich darüber Gedanken zu machen. Auch aus strategischen Gründen und der Überlegung, wen ich mit meiner Stimme eigentlich stärke. Es ist allen klar, dass die CSU keine absolute Mehrheit holt.
Welche Fehler macht die SPD in Bayern, dass sie so schlecht dasteht? Kühnert: Auch wenn das manche vielleicht komisch finden mögen vor dem Hintergrund der Umfragewerte: Ich sehe das mit der SPD in Bayern durchaus positiv – mit einer unkonventionellen Spitzenkandidatin und einer sehr radikal auf Inhalte fokussierten Programmlichkeit. Es wurde sehr stark darauf hingewiesen, dass es hier um Wohnraum, um ländliche Räume, um Bildungspolitik geht. Und das ist eigentlich das Vorbildhafteste, was man in Wahl- kämpfen tun sollte: über sachpolitische Fragen zu diskutieren.
Welche Auswirkungen werden die Landtagswahlen zunächst in Bayern und dann in Hessen auf Berlin haben? Kühnert: Erhebliche. Das merkt man ja jetzt schon an dieser knisternden Spannung. In Berlin gucken viele darauf, was das innerhalb der CSU auslösen wird. Die meisten würden viel darauf wetten, dass Seehofer danach nicht mehr im Amt sein wird.
Und Sie?
Kühnert: Ich würde mit darauf wetten. Da Seehofer das aber vermutlich auch schon seit einigen Monaten antizipieren kann, habe ich den Eindruck, dass er viel Energie darauf verschwendet, sich Gedanken zu machen, wen er noch mit in diesen Strudel reißen kann. Da sind wohl noch ein paar unbeglichene Rechnungen. All das trägt dazu bei, dass wir diese Unruhe in der Politik in Berlin im Moment haben.
Noch ein Wort zur AfD: Ist es Aufgabe der SPD, diese Partei zu stellen, oder ist es geschickter, einfach auf sie
„Die meisten würden viel darauf wetten, dass Horst Seehofer nach den Landtagswahlen nicht mehr im Amt sein wird.“Juso Chef Kevin Kühnert
Kühnert: Es geht nicht darum, speziell die AfD zu stellen. Was wir in Zusammenhang mit Chemnitz und den Demonstrationen gesehen haben, ist Folgendes: Dort, wo organisierte Leute auf die Straßen gehen, die den Hitlergruß zeigen, die nationalsozialistische Parolen grölen, wo AfD-Funktionäre und Pegida Schulter an Schulter laufen und alle Hemmungen fallen, muss es unter Demokraten bei allen Meinungsunterschieden einen Konsens geben. Wer nicht versteht, dass man bei einem Hitlergruß, der in einer Veranstaltung gezeigt wird, nichts, aber auch gar nichts zu suchen hat, dem haben wir auch keine Angebote zu machen. Interview: Till Hofmann
Kevin Kühnert, 29, ist im Jahr des Mauerfalls in Westberlin geboren. Er stammt aus einer Beamtenfamilie, machte vor zehn Jahren Abitur. Zwei Studiengänge beendete er ohne Abschluss. 2005 trat er in die SPD ein. Es ist auf den Tag genau zehn Mo nate her, dass er zum Bundesvorsit zenden der Jusos gewählt wurde. Er erreichte mit seiner NoGroKo Kam pagne bundesweit Aufmerksamkeit.