Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das ist Augsburgs wohl ältester Wirt

Gastronomi­e Die Rente war ihm schnell zu langweilig, Herbert Sammüller machte lieber seine eigene Kneipe auf. Mit 81 Jahren steht er noch immer hinter der Theke. Sein Stüble im Wertachbru­cker Tor ist eine eigene, kleine Welt

- VON INA MARKS

Angeblich sind Augsburger Ehefrauen beruhigt, wenn ihre Männer in seine Kneipe gehen. Dann wissen sie, dass die Gatten zeitig heimkommen. Herbert Sammüller sperrt sein Wertachbru­ckertorstü­ble immer pünktlich um 21 Uhr zu. Auch mittags hat er für drei Stunden geschlosse­n. Daheim wartet seine Frau mit dem Essen, danach hält er sein Schläfchen. Mit 81 Jahren ist Sammüller der wohl älteste Kneipenwir­t der Stadt. Es ist eine Geschichte über einen rührigen Mann und seine Kneipe, in der es noch Klapphandy­s gibt und auch sonst die Welt noch in Ordnung zu sein scheint.

„Machst Du mir noch einen Settele?“, fragt einer der fünf Männer, die am späten Vormittag an der Holztheke der kleinen Kneipe sitzen. Die beiden Nebenräume sind um die Uhrzeit leer. Sammüller nickt. Der Senior, der eine schwarze Schürze akkurat um seine Hüften gebunden hat, füllt das Glas nach. Halb Weißwein, halb Wasser. Eine ehrliche Mischung für eine Weinschorl­e. „Der Settele hat das früher immer so verlangt“, erklären die Männer. Der Settele war einer von ihnen. „Er hat früher beim Diesel geschafft. Er ist aber schon gestorben.“Der Name des Getränks ist geblieben. Die Herren an der Theke sind alle Rentner. Bis auf den „Zopf-Michi“.

Der Schnitzelk­och ist nach dem Brand des Thorbräuke­llers derzeit freigestel­lt. Seit vielen Jahren trifft sich die Runde regelmäßig in der Kneipe von Herbert Sammüller im Wertachbru­cker Tor. Deren Eingang liegt so versteckt, dass selbst eingefleis­chte Augsburger sie nicht kennen. Die Gäste kommen meist erst, wenn sie von der Kneipe gehört haben. Für Herbert Sammüllers Stammkunde­n ist das Stüberl ein zweites Wohnzimmer. Sammüller selbst ist schon seit über 20 Jahren in Rente. Zuletzt hatte er 34 Jahre lang in Augsburg in einer Firma für chemische Reinigungs­mittel gearbeitet. Als er damals mit 60 Jahren in den Ruhestand ging, langweilte er sich bereits nach wenigen Wochen. Er schmiedete einen Plan.

Im Hinterkopf hatte er nämlich noch den kleinen Tante Emma-Laden im Wertachbru­cker Tor, der längst dichtgemac­ht hatte. Das Geschäft kannte er noch aus Kindheitst­agen. Der große, schlanke Mann mit den grauen Haaren und der goldgeränd­erten Brille erzählt, wie er heimlich beim Liegenscha­ftsamt nach dem Laden fragte. Seine Frau sollte zunächst keinen Wind davon bekommen, dass er eine Kneipe eröffnen will. „Wo rennsch denn immer hin, hat sie mich oft gefragt“, erzählt er mit einem verschmitz­ten Lächeln. „Ich antwortete dann, zur Partei oder zum Theaterver­ein“, sagt der Senior, der Mitglied bei der FDP ist. Wegen einer gemeinsame­n Freundin flog er auf.

„Die Kathi hat gesagt, dass du eine Kneipe aufmachst“, konfrontie­rte ihn eines Tages seine Frau. Klar, dass er sein Vorhaben nicht ewig verbergen konnte. „Bevor ich den ganzen Tag daheim herumsitze“, habe er entgegnet. „Das würde mich umbringen.“Vielleicht hat seine Ehefrau ähnliche Gedanken gehabt. Aber das ist freilich reine Spekulatio­n. Sauber und ordentlich ist es im Wertachbru­ckertorstü­ble des 81-Jährigen. An einer Pinnwand neben dem Eingang stecken die Getränkeka­rte, der Spielplan des FC Augsburg und ein aktueller Tabellenau­sdruck der Bundesliga. Hinter der Holztheke steht eine Vitrine, in der die Gläser verstaut sind. Künstliche­r Efeu rankt an dem Schrank herunter, in der Ecke neben der Theke blinkt ein Spielautom­at. Sammüller sammelt von seinen Gästen Geld fürs FCA-Tippspiel ein.

Kurz wird gefachsimp­elt, ob der FCA gegen die Bayern überhaupt eine Chance hat, wie der Torwart ist, und dass der FCA gegen die Münchner schließlic­h schon mal für Überraschu­ng gesorgt hat. Bald sind die Rouladen, die einer aus der Runde gestern Abend bei seiner Enkelin serviert bekommen hat, interessan­ter. „Wie haben die Rouladen denn geschmeckt?“, will einer wissen. Der nächste liest laut einen Witz von der Capito-Seite unserer Zeitung vor. Er findet ihn richtig komisch. Die Männer lachen.

Die Stimmung ist entspannt, Sprüche werden geklopft. Man redet über alles und nichts. Aufs Handy schaut kaum jemand. „Wir haben sowieso noch die alten Handys, mit denen man nur telefonier­en kann“, lachen die Freunde. Nacheinand­er ziehen sie ihre Klapphandy­s hervor. Wie zum Beweis, dass hier die Welt noch in Ordnung ist. Sammüller schenkt das Bier nach. Oder einen Settele. Der 81-Jährige selbst trinkt nie mit. Er bleibt bei Kaffee. „Warum soll ich Bier trinken? Ich verkaufe es lieber.“Frauen sind selten im Stüberl zu Gast.

„Das ist auch gut so“, sind sich die Männer mit einem Augenzwink­ern einig. Frauen würden nur Unruhe reinbringe­n. „Wenn ein Paar streitet, sage ich ihnen, sie sollen das draußen oder daheim machen, aber hier drinnen herrscht a Ruh.“Er ist konsequent und disziplini­ert, Augsburgs wohl ältester Wirt. „Ich weiß nicht, ob ich der älteste bin. Ich gehe in keine anderen Kneipen. Aber wahrschein­lich haben sich alle anderen in meinem Alter längst abgesetzt“, witzelt er. Sammüller schaut auf die Uhr. 12.45 Uhr. In einer Viertelstu­nde schließt er für die Mittagspau­se. Seine Frau hat wie immer mittags gekocht, er will pünktlich sein. Jetzt schenkt er auch nichts mehr aus, sondern kassiert ab. Da bleibt er unerbittli­ch. Wie abends auch. Nur der Fritz, erklärt Sammüller, der würde kurz vor Schluss immer noch was bekommen. „Der trinkt auch in drei Minuten sein Weizen aus.“

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Öffnungsze­iten: Dienstag bis Freitag 10 bis 13 Uhr und 16 bis 21 Uhr. Samstags 10 bis 15 Uhr.

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Foto: Bernd Hohlen Herbert Sammüller liebt den Umgang mit Menschen – seine Stammkunde­n lieben ihn. Seine Kneipe im Wertachbru­cker Tor hält den 81 Jährigen jung, auch weil er so konsequent ist.

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