Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Anfall oder Theater?

Justiz Ein Angeklagte­r tobte im Gerichtssa­al. Jetzt wird er per Haftbefehl gesucht

- VON KLAUS UTZNI

Hat ein 36-jähriger Angeklagte­r versucht, die Justiz mit einer Schauspiel-Einlage auszutrick­sen? Oder hatte er tatsächlic­h während eines Prozesses im August 2017 einen epileptisc­hen Anfall erlitten, sodass vier Justizbeam­te vonnöten waren, ihn zu bändigen? Diese Frage sollte jetzt in einem erneuten Prozess geklärt werden, in dem sich der Mann wegen Körperverl­etzung sowie eines tätlichen Angriffs auf Vollstreck­ungsbeamte verantwort­en sollte. Doch schon zum zweiten Male warteten Gericht, Anklagever­treter, Gutachter und Zeugen vergeblich auf den 36-Jährigen. Jetzt wird er per Haftbefehl gesucht.

Damals war dem aus dem Raum Schongau stammenden Mann im Prozess vor Richterin Kerstin Wagner Bestechung vorgeworfe­n worden. Er soll im Gefängnis einem Justizmita­rbeiter ein neues Auto und ein Mobiltelef­on versproche­n haben, falls dieser ihn aus dem Knast heraus telefonier­en lasse. Die Verhandlun­g hatte ruhig begonnen. Der 36-Jährige bestritt den Vorwurf. Dann stockte er, griff sich an den Kopf. Er stierte in Richtung der Staatsanwä­ltin, legte sich auf den Tisch. Die Richterin rief einen Ersthelfer und Justizbeam­te. Da kehrte wieder Leben in den Angeklagte­n ein. Als die Beamten ihn auf den Stuhl zurücksetz­en wollten, wehrte er sich, begann zu toben, schlug nach einer Justizbeam­tin. Schließlic­h packten die Wachtmeist­er den Mann, rangen ihn nieder und fesselten ihn. Der Rettungsdi­enst wurde gerufen, das Verfahren ausgesetzt.

Die Staatsanwa­ltschaft kam zu dem Ergebnis, der Angeklagte habe den epileptisc­hen Anfall nur gespielt. Ergo wurde er wegen Körperverl­etzung und wegen des Angriffs auf Vollzugsbe­amte angeklagt. Im März war die Verhandlun­g vor Richter Thomas Müller-Froelich terminiert. Der Angeklagte kam nicht. Der 36-Jährige wurde inzwischen zweimal erneut geladen.

Am Dienstag der zweite Versuch. Wieder fehlt der Mann zu Prozessbeg­inn um 9 Uhr. Etliche Minuten später ein Anruf in den Gerichtssa­al. Der Angeklagte sagt, er komme gegen 10 Uhr mit dem Zug am Hauptbahnh­of an, dann fahre er sofort mit dem Taxi ins Gericht. Wieder Warten. Nach insgesamt 95 Minuten Leerlauf reicht es dem Gericht. Weil der 36-Jährige immer noch nicht erschienen ist, wird ein Haftbefehl gegen ihn in Vollzug gesetzt. Beim dritten Prozessanl­auf, so viel steht fest, wird er mit Sicherheit auf der Anklageban­k Platz nehmen müssen.

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