Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Obst
Äpfel aus längst vergangener Zeit
Altenmünster Sie suchen Apfelsorten aus vergangenen Tagen. Mit ihrem weißen VW-Kombi fahren HansThomas Bosch und Bernhard Frey in die hintersten Winkel des Landkreises. Seltene, 80 bis 100 Jahre alte Apfel- und Birnensorten sind die bevorzugte Beute der beiden auf ihren Streifzügen durch Natur und Gärten – immer auf der Suche nach den besonderen Obstsorten.
Bosch ist Pomologe, ein Experte für Apfelbäume vom Kompetenzzentrum Obstbau-Bodensee. Mit ihm ist Frey, Kreisfachberater für Gartenkultur und Landespflege des Landratsamts, in allen Himmelsrichtungen im Landkreis unterwegs. Wie Detektive suchen sie Obstsorten, um sie vor dem Aussterben zu retten. „Es geht nicht nur darum, dass die Bäume einfach alt sind“, betont Frey. „Vielmehr geht es darum, unter der Fülle an Obstbäumen die alten Apfel- und Birnensorten zu finden, die seinerzeit von der hiesigen Landbevölkerung nur hier in Schwaben kultiviert worden sind.“
Es handle sich um regionalspezifische Raritäten. Denn die seien von den Baumschulen nicht in deren Sortiment aufgenommen und weiterkultiviert worden. Deswegen seien diese Sorten bis heute im Handel nicht erhältlich. „Diese Raritäten sind aber in besonderem Maße an unser raueres Voralpenklima angepasst.“Außerdem seien sie besonders schmackhaft und gesund. Noch ein Vorteil: „Diese Sorten besitzen oft besondere Krankheitsresistenzen.“
Die erste Station des Tages liegt in Baiershofen. Der Ort fällt besonders auf durch die von Streuobstwiesen gesäumte Hauptstraße in der Dorfmitte. Am nördlichen Ortsrand fällt Bosch der Danziger Kantapfel ins Auge. Die Streuobstwiese ist gesäumt von bekannten und unbekannten Sorten. Die Haut des Apfels glänzt rötlich, fast seidig anmutend, durchzogen von einigen Kanten, da- der Name. „Der Danziger Kantapfel ist hier eher selten“, sagt Bosch. Und schon der nächste Fund: ein Holzsteiner Zitronenapfel. „Eine klasse Sorte für Kuchen“, sagt Bosch. Groß, goldgelb und äußerst saftig mundet er nicht nur auf dem Kuchen.
Die Bestimmung der Sorten ist aber nicht immer so einfach und eindeutig. Es gebe viele Sorten, die sich äußerlich ähnlich sind, aber sich in ihren Eigenschaften unterscheiden. „Sobald man sie vermehren will, braucht man Sicherheit“, sagt Bosch und nimmt sein wichtigstes Utensil für die nähere Bestimmung: ein scharfes Messer. Mit ihm halbiert er die Frucht, betrachtet Fruchtfleisch, Kernhaus und andere Details. Es sieht nach einem GrahamsJubiläum -Apfel aus. Darauf deutet das ausgeprägte Kernhaus.
Der typisch gelbe Küchenapfel wurde aus England eingeführt. Er findet sich in der Region oft, vor allem auf Streuobstwiesen. Vor gut 120 Jahren wurde dieser Apfel ein- geführt. Damals stand der Austausch von Obstsorten auf europäischer Ebene in hoher Blüte. Das erklärt auch die fremdklingenden Namen mancher Sorten. Im Schwäbischen gibt es noch rund 1000 verschiedene Apfel- und Birnensorten. Ende des 19. Jahrhunderts waren es noch um die 3000 Sorten, bundesweit sind es heute um die 1800 verschiedene Apfel- und Birnensorten, erzählt Bosch.
Weiter geht es mit seinem Apfelkescher und einem GPS-Ortungsgerät zum alten Bauernhof von Veronika Storr. Die junge Frau holt ein paar Restbestände von kleinen Birnen vom Baum. Der turmhohe alte Baum lässt sich nur schwer bepflücken. Diese Birnensorte kann nicht auf Anhieb bestimmt werden, deshalb lässt sich der Pomologe acht Birnen, die er bewusst aus verschiedenen Himmelsrichtungen der Baumkrone pflückt, mitgeben für die weitere Sortenbestimmung im Labor. So schichtet er wieder eine Tüte mit namenslosen Birnen in seiher nen VW-Kombi. Eine duftende Oase im Auto breitet sich immer mehr aus.
Bei der detektivischen Spurensuche hat der Pomologe Bosch inzwischen schon einige regionalspezifische Sorten gefunden, bestimmt und kartiert. Gut 10 000 Apfel- und Birnbäume werden in ganz Bayerisch-Schwaben erfasst. Gefördert wird das Projekt von der Europäischen Union und dem Landkreis. „Von Haus zu Haus finden wir täglich um die 50 Bäume“, sagt Bosch. „Eine flächendeckende Erfassung ist kaum möglich, die stichprobenartige Erhebung spiegelt aber die Sortenvielfalt wider.“
Im nächsten Schritt werden von den gefundenen Obstbäumen sogenannte Edelreißer entnommen. Aus diesen werden dann neue Bäumchen gezogen, die in einem staatlichen Obstgarten aufgepflanzt und dauerhaft gepflegt werden. So sollen die beinahe ausgestorbenen Sorten auf lange Sicht wieder in die heimischen Baumschulen und Gärten finden.