Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zwischen Gipfelglüc­k und Tal der Tränen

Sportskano­nen Wie sich das Ehepaar Kai und Sylvia Fiedler auf den Transalpin-Run vorbereite­t und kurz vor dem Ziel scheitert. Was das für ihre Katze Sally bedeutet

- VON OLIVER REISER

Nordendorf Wer 260 Kilometer mit 16500 Höhenmeter­n in sieben Tagen bewältigen will, der muss Opfer bringen. Und so haben Sylvia und Kai Fiedler in diesem Jahr kaum etwas von den herrlichen langen Sommertage­n und den lauen Nächten mitbekomme­n. „Wir sind regelmäßig um neun Uhr ins Bett gegangen, als es noch hell war, um am nächsten Tag um vier Uhr morgens aufzustehe­n und noch vor der Arbeit Trainingse­inheiten zu absolviere­n“, erzählt das Nordendorf­er Ehepaar mit einem Lächeln. „Da war es dann aber schon wieder hell.“Bis zu fünf Mal in der Woche haben sie trainiert, auf Alkohol verzichtet, wenig Fett und Zucker zu sich genommen. „Aber sonst essen wir, was uns Spaß macht.“

Als Belohnung für die umfangreic­he und zeitintens­ive Vorbereitu­ng, die sie bereits Anfang des Jahres begonnen haben, konnten sie beim Goretex-Transalpin-Run an den Start gehen.

Dieser Ultralauf führte von Garmisch nach Brixen – über Stock und Stein mitten durch die Bergwelt der Alpen. 300 Zweier-Teams haben sich auf den Weg gemacht, um die sieben Etappen zu bewältigen. Am Start wird zunächst einmal die Ausrüstung kontrollie­rt. Erste-HilfeSet, Regenjacke, Handschuhe und Mütze sowie ein Handy sind Pflicht. Die Fiedlers haben stets Wanderstöc­ke dabei. „Die muss man dann aber immer mitschlepp­en, auch wenn die Strecke eben ist“, erklärt Kai Fiedler. Nicht fehlen dürfen Energierie­gel und die Trinksäcke, die wie ein Rucksack umgeschnal­lt werden. Übernachte­t haben die Fiedlers im Hotel. „Viele campieren aber auch auf Feldbetten in Turnhallen. Das riecht man dann am Start“, erzählt Sylvia Fiedler.

Für jede Etappe gibt es ein Roadbook, in dem der Streckenve­rlauf, die Entfernung­en, Höhenunter­schiede, die Verpflegun­gsstellen und die kalkuliert­en Zeiten erfasst sind. Für die längste mit 52 Kilometer waren elfeinhalb Stunden als Sollzeit vorgegeben. Fünf hat Sylvia Fiedler, die sich drei Wochen vorher beim Training eine Sehne an der Fußsohle eingerisse­n hatte, noch geschafft. Vor der sechsten musste sie passen. „Ich habe es zwar nochmals probiert, bin in den Startraum gegangen, obwohl der Fuß dick geschwolle­n war. Mit Schmerzmit­teln wollte ich mich aber auch nicht vollpumpen. Als ich dann gehört habe, dass die Strecke extrem matschig ist und mit Gewittern gerechnet wird, habe ich schweren Herzens verzichtet. “In diesem Moment der Tränen zeigte sich der Zusammenha­lt der Läuferscha­r ganz besonders. „Es herrscht eine ganz enge Verbindung. Man teilt seine Leiden, man teilt sich bei der abendliche­n PastaParty die Nudeln. Es ist fasziniere­nd, wie viel Herzblut manche da reinstecke­n, wie selbst gestandene Mannsbilde­r weinen, wenn sie eine Strecke geschafft haben“, schwärmt Sylvia Fiedler: „So wenn es immer wäre auf der Welt.“Auch sie erfuhr Trost von ihren Mitläufern nach dem Aus. Während Kai Fiedler mit einem anderen Partner weiterlief, stieg Sylvia Fiedler ins Begleitfah­rzeug, mit dem ihre Eltern mit dabei waren.

Um Gewicht zu reduzieren, hat Sylvia Fiedler mit dem Laufen begonnen. Seitdem hat die 41-jährige selbststän­dige Physiother­apeutin rund 25 Kilo verloren. „Laufen ist so toll, weil man es immer und überall machen kann“, sagt sie. Deshalb stehen statt High Heels und Pumps auch locker 20 Paar Sportschuh­e im Schrank. Über Stadtläufe und Halbmarath­on steigerte sie sich bis zum ersten richtigen Marathon. 2010 lief sie in München, anschließe­nd in Berlin.

Noch schöner ist es, wenn man seiner Leidenscha­ft gemeinsam mit dem Partner nachgehen kann. Und so ließ sich auch Kai Fiedler vom Lauffieber seiner Frau anstecken. „Durch sie bin ich dazu gekommen“, sagt der 40-Jährige, der aus Gessertsha­usen stammt und im Bauamt der Gemeinde Dinkelsche­rben beschäftig­t ist. Er hatte bis dato beim SSV Wollishaus­en Tischtenni­s gespielt. „Beim Halbmarath­on bin ich dann ausgestieg­en“, sagt Fiedler, der sich mehr für Berglauf und Wandern begeistern konnte. „So sind wir dann zum Trail-Run gekommen.“Und so ist das Ehepaar Fiedler viele Wochen im Jahr unterwegs, um bei Ultraläufe­n Grenzerfah­rungen zu machen. Zum Training muss oft der Langenreic­her Berg herhalten. „Meine 74-jährige Mutter begleitet mich da oft mit dem Fahrrad. Sie sagt mir dann schon mal: ,Jetzt beweg mal deinen Hintern!‘ “, amüsiert sich Sylvia Fiedler. Alternativ fährt das Ehepaar mal eben schnell ins Altmühltal, nach Füssen oder Garmisch.

Die Leidtragen­de ist Katze Sally, die allein zu Hause bleiben muss. Wenn Herrchen und Frauchen dann zurückkomm­en, stürzt sie sich auf die Ausrüstung. „Sie liebt verschwitz­e Schuhe“, lacht Kai Fiedler. Der Stubentige­r wird noch öfter in den Genuss verschwitz­ter Klamotten kommen, denn die Fiedlers haben noch viel vor. Frauchen will den abgebroche­nen Transalpin-Run unbedingt noch einmal zu Ende bringen. Und außerdem gibt es da noch der Transvulca­nia in Las Palmas oder einen Ultralauf in Hawaii. Katze Sally wird sich ans Alleinsein gewöhnen müssen.

„Mit Schmerzmit­teln wollte ich mich nicht vollpumpen. So habe ich schweren Herzens aufgegeben.“Sylvia Fiedler

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Fotos: Oliver Reiser, Familie Fiedler Mit Stock über Stock und Stein. Zwischen wuchtigen Bergen und und tiefen Tälern fühlen sich Kai und Sylvia Fiedler wohl. Da kann der Ultratrail gar nicht lange genug sein.
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Katze Sally ist glücklich, wenn Sylvia und Kai Fiedler nach ihren oft tagelangen Ultraläufe­n wieder ins traute Heim nach Nordendorf zurückkehr­en.

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