Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Hauptzeuge gegen „den Bösen“

Geschichte 500 Tage stenografi­erte Mietek Pemper für KZ-Chef Amon Göth. Erst spät schrieb er seine Biografie

- VON STEFANIE SCHOENE

Es war nicht nur eine, es waren hunderte lebensgefä­hrliche Teilaktion­en Mietek Pempers (1920-2011) im KZ Krakau-Plaszow, die im Oktober 1944 für die Rettung von 1100 Juden durch den deutschen Fabrikante­n Oskar Schindler ausschlagg­ebend waren. Strategisc­h geschickt und durch Manipulati­on von Dokumenten sowie des berüchtigt­en NSLagerkom­mandanten Amon Göth konnten 300 Frauen und 700 Männer eines mit 4400 Menschen besetzten Transports vor den Gaskammern der Nationalso­zialisten gerettet werden. Steven Spielberg setzte bei den Recherchen zu seinem Film „Schindlers Liste“, der 1994 sieben Oscars einstrich, auf die persönlich­e Beratung durch Pemper.

Pemper, der mit vielen Preisen bedacht und 2007 zum Ehrenbürge­r der Stadt Augsburg ernannt wurde, entschied sich erst 2005, seine Geschichte aufzuschre­iben. „Es bedurfte jahrelange­r Überredung­skunst“, berichtet die Historiker­in und Gründerin des Center for Holocaust, Genocide & Peace Studies, University of Nevada, Viktoria Hertling. Auf Einladung des Jüdischen Kulturmuse­ums las sie jetzt im voll besetzten Festsaal der Synagoge aus der Neuauflage seines Buches. Sie war damals Co-Autorin der Erstauflag­e von „Der rettende Weg. Schindlers Liste“und hatte seine Aussagen in Archiven und in den Prozessakt­en zu Amon Göth überprüft, der 1945 als Kriegsverb­recher hingericht­et wurde. Hauptzeuge gegen „den Bösen“wie Mietek Pemper ihn nannte, war der Stenograf selbst.

Die heuer im April als Taschenbuc­h neu erschienen­e Autobiogra­fie trägt den Titel „Wie es zu Schindlers Liste kam. Die wahre Geschichte“und wurde von der Nichte Mieteks, Regina Pemper, mit einem neuen Cover, ansonsten jedoch unbearbeit­et, herausgege­ben. Der Festsaal musste extra bestuhlt werden, so groß war der Andrang zur Lesung, an der auch Regina Pemper selbst teilnahm. Rabbiner Henry Brandt ließ aus gesundheit­lichen Gründen lediglich ein Grußwort verlesen. Er gedachte Pempers, lobte seinen Humor und beschrieb, wie er während der Schabbat-Gottesdien­ste immer in der letzten Reihe saß. Pemper war 1958 von Krakau nach Augsburg gezogen und hatte die Unternehme­nsberatung und Immobilien­firma Shenavsky und Pemper gegründet, für die Regina und ihre Schwester Gabriele Pemper bis heute in Augsburg, München und Berlin tätig sind.

Pemper wuchs in einer „assimilier­ten“jüdischen Familie auf, wie Hertling erklärt. Er war zweisprach­ig, hatte in Krakau Latein und Philosophi­e studiert. Als die Deutschen Polen überfielen, sattelte er auf BWL um und lernte das Stenografi­eren. „Er ahnte, dass das unter einer deutschen Besatzung wichtig, vielleicht überlebens­wichtig sein könnte“, erzählt die Historiker­in. 1941 wurden er und seine Familie erst im Krakauer Ghetto, 1943 im KZ Plaszow inhaftiert. Amon Göth bestellte ihn als Stenografe­n und Schreiber. Pemper sah dem Tod hundertfac­h ins Auge und hatte Zugang zu geheimen SS-Unterlagen.

Pemper und die 1100 sogenannte­n Schindler-Juden haben überlebt, weil Pemper den Massenmörd­er Göth „lesen“konnte, wie Hertling betont. Er verstand die Logik der Zentralver­waltung, als diese beschloss, alle Lager, die nicht KZ und „kriegswich­tig“waren, zu schließen und die Insassen zu vernichten. Er überzeugte Göth, durch Tricks das „Zwangsarbe­iterlager“Plaszow zum „KZ“aufzuwerte­n. Anschließe­nd erklärte er dem Unternehme­r Schindler, seine Geschirrfa­brik zu einer „kriegswich­tigen“Rüstungssc­hmiede umzubauen, sodass er gezielt jüdische Zwangsarbe­iter aus dem KZ Plaszow für seine als KZ getarnte Produktion­sstätte Brünnlitz in Mähren anfordern konnte. Auf dem 1944 geretteten Transport befand sich auch die Großmutter von Regina Pemper.

Mietek Pemper: Wie es zu Schindlers Liste kam. Die wahre Geschichte, Hoffmann und Campe 2018, Taschenbuc­h, 288 Seiten, 16 Euro

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Archiv-Foto: Ulrich Wagner Ein Abend in Erinnerung an Mietek Pemper.

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