Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum Augsburg glückliche Rinder braucht

Projekt Bei Bergheim werden „Pinzgauer“als lebende Rasenmäher für den Naturschut­z eingesetzt. Bald sollen weitere Herden folgen. Auf neuen „Umweltbild­ungs-Rindern“dürfen Kinder reiten

- VON EVA MARIA KNAB

Heidi ist das, was man eine glückliche Kuh nennen könnte. Sie darf das ganze Jahr über auf einer großen grünen Weide bei Bergheim grasen. Dort hat sie Gesellscha­ft von anderen Kühen, Kälbern und einem Stier. Heidi hat es besser als ihre Artgenosse­n in der intensiven Rindermast. Die stehen im Stall, werden mit Kraftfutte­r vollgepump­t, um dann möglichst schnell im Schlachtho­f zu enden. Heidi und ihre kleine Herde haben aber auch eine besondere Aufgabe: Sie pflegen als Weidetiere das größte neue Biotop der Stadt Augsburg.

Die zehn Rinder grasen seit einem halben Jahr auf einer eingezäunt­en Wiese südlich des Augsburger Stadtteils Bergheim. Es sind „Pinzgauer“. Das ist eine alte, vom Aussterben bedrohte Nutztierra­sse. Früher seien die Pinzgauer in Österreich, Ungarn und Bayern sehr verbreitet gewesen, sagt Norbert Pantel vom städtische­n Landschaft­spflegever­band. „Heute gibt es in Deutschlan­d nur noch 750 Tiere.“Bauern nutzten diese Kühe früher für drei Zwecke: für Milch, Fleisch und als Zugtiere. Die „Drei-NutzungsRi­nder“sind in der heutigen konvention­ellen Landwirtsc­haft nicht mehr rentabel. Mit modernen und spezialisi­erten Hochleistu­ngskühen kann diese Rasse nicht mithalten. Weil die Pinzgauer aber sehr robust sind, werden sie für die Landschaft­spflege eingesetzt. Und diesen Job sollen die Rinder auch in Augsburg erfüllen. Das hat Gründe.

Wenn im Stadtgebie­t gebaut wird, müssen für Eingriffe ins Grün Ausgleichs­flächen geschaffen werden. In den vergangene­n Jahren seien einige Vorhaben zusammenge­kommen, sagt Umweltrefe­rent Reiner Erben (Grüne). Deshalb hat die Stadt südlich von Bergheim bei Gut Bannacker eine landwirtsc­haftliche Brachfläch­e von rund 20 Hektar angekauft. Mit großem Aufwand wurde sie zum geschützte­n Biotop entwickelt. Auf dem Gelände gibt es jetzt Tümpel, Wiesen, Weiden, Magerrasen und offene Kiesfläche­n. So entstehen völlig unterschie­dliche Ökosysteme – von Gewässern und Sumpfgebie­ten bis hin zu knochentro­ckenen Hochplatea­us. „Solche Flächen sind ein Magnet für viele Vogelarten“, sagt der Geschäftsf­ührer des städtische­n Landschaft­spflegever­bandes, Nicolas Liebig.

Er rechnet fest damit, dass sich dort recht bald selten gewordene heimische Arten wie Kiebitz, Braunkehlc­hen oder Rebhuhn neu ansiedeln. Liebig hat beobachtet, dass Zugvögel das Biotop schon gezielt anfliegen. Damit sich die Natur dort gut weiterentw­ickeln kann, muss sie aber verträglic­h gepflegt werden. Und hier kommen die Kühe ins Spiel: Rinderherd­en mit Mutterkühe­n fördern als Weidetiere die Artenvielf­alt, sagen die städtische­n Landschaft­spfleger. Das gilt nicht nur für Pflanzen, sondern, durch den Kuhdung auf der Wiese, auch für Insekten. Diese sind wie- derum Nahrung für viele Vogelarten.

Die hübschen braun-weißen Pinzgauer gehören der Bäuerin Theresa Höfle aus Bergheim. Die 22-jährige Landwirtin lässt ihre Herde im Auftrag des Landschaft­spflegever­bandes weiden. Damit will sie sich ein weiteres wirtschaft­liches Standbein aufbauen. Die Weiderinde­r sollen auch in Ruhe heranwachs­en können. Nach einer schonenden Tötung wird ihr Fleisch am Ende im Hofladen der Familie Höfle vermarktet.

Umweltrefe­rent Erben, der an der Spitze des Landschaft­spflegever­bandes steht, spricht in diesem Zusammenha­ng ein weiteres wichtiges Ziel an: „Wir wollen mit Landschaft­spflege die Existenzgr­undlage für heimische Landwirte verbessern“, sagt er. Denn die Dienstleis­tung für die Umwelt wird bezahlt. Erben betont auch: Die Stadt nehme der Landwirtsc­haft bei diesem Projekt keine Flächen für den Naturschut­z weg. Hintergrun­d ist, dass Äcker und Wiesen für die agrarische Nutzung rund um Augsburg immer weniger werden. Das stellt Bauern vor Probleme. Voraussetz­ung für die Zusammenar­beit mit der städtische­n Landschaft­spflege sei allerdings, dass beteiligte Landwirte die Biotope naturschut­zverträgli­ch bewirtscha­ften, sagt Erben. Norbert Pantel formuliert es so: „Wir zeigen, dass man mit Landwirtsc­haft Artenvielf­alt erhalten kann.“

Der Landschaft­spflegever­band setzt inzwischen viele verschiede­ne Tierarten zur Naturpfleg­e ein, im Bergheimer Biotop zum ersten Mal auch Weiderinde­r. Dabei soll es nicht bleiben. Das nächste Projekt am Klinikum Augsburg ist bereits geplant. Auch dort muss für Neubauten der angehenden Uniklinik ein Ausgleich in der Natur geschaffen werden. Ab 2019/20 sollen dort ebenfalls Rinder auf neuen Biotopen weiden, kündigt Liebig an.

Richtig groß will die Stadt bei einem anderen, besonders wertvollen Schutzgebi­et einsteigen – dem Höhgraben im Augsburger Norden. Dieser klare Quellbach leidet derzeit unter dem Eintrag von Nährstoffe­n, die aus der Landwirtsc­haft stammen. Die Stadt plant, große Pufferzone­n entlang des Baches anzulegen. Die nötigen Grundstück­e sollen über ein ökologisch­es Flurberein­igungsverf­ahren zusammenge­legt werden. Insgesamt geht es um 35 Hektar. Und es soll auch eine Beweidung in Zusammenar­beit mit Landwirten geben. „Unser Projekt Weidestadt wächst“, sagt Pantel.

Neu und ungewöhnli­ch ist eine weitere Idee: Die städtische Landschaft­spflege will Weiderinde­r als Reittiere für Kinder in der Umweltbild­ung einsetzen. Es sind Schottisch­e Hochlandri­nder mit langem zotteligen Fell. Sie gehören BioBauer Maximilian Vogt in Bergheim. Der 41-jährige Landwirt zieht gerade vier Jungtiere heran, die er für pädagogisc­he Zwecke einsetzen will. Kinder sollen auf ihnen unter Aufsicht reiten dürfen, in einer Kuh-Kutsche mitfahren oder mit den Tieren geführte Ausflüge durch die heimische Kulturland­schaft machen. „Das war ein Puzzle-Teil, das uns bislang noch gefehlt hat“, sagt Liebig. Stadtkinde­r sollen auf diese Weise Nutztiere und Natur hautnah erleben können.

Maximilian Vogt trainiert Purzel, Kaspar, Korbinian und Mike bereits seit ihrer Geburt. „Mike ist der Schlaueste, Kaspar der Gemütlichs­te, da können Sie ein Kind draufsetze­n und er bewegt sich nicht ohne Kommando“, sagt er. Aktuell besucht Vogt mit seinen Hochlandri­ndern schon Schulen.

Der Bio-Bauer betont, seine Schützling­e würden keinesfall­s wie im Zirkus dressiert. Vielmehr gewöhnt er sie behutsam an den Umgang mit Menschen. Die vier sollen auch nicht ständig als „Umweltbild­ungs-Rinder“im Einsatz sein. Kaspar und Co. dürfen die meiste Zeit als Weiderinde­r im Bergheimer Laubfrosch­biotop grasen. Dort stehen sie oft mitten im Wasser und fressen hartes Schilf oder Kolben, damit die Tümpel frei bleiben. Vogt will aber nicht etwas nur etwas für Natur und Kinder tun. Er möchte auch dazu beitragen, dass Menschen mehr über Tierhaltun­g nachdenken. Er sagt: „Haustiere werden verwöhnt, aber Nutztiere fallen hinten runter.“

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Fotos: Bernd Hohlen Landwirtin Theresa Höfle in Bergheim will, dass es ihren „Pinzgauern“richtig gut geht. Die Mutterkuh-Herde aber auch für mehr Artenvielf­alt im Stadtgebie­t.
 ??  ?? Maximilian Volgt trainiert „Umweltbild­ungs-Rinder“als Reittiere für Kinder, hier mit seinem zotteligen, verschmust­en Kaspar.
Maximilian Volgt trainiert „Umweltbild­ungs-Rinder“als Reittiere für Kinder, hier mit seinem zotteligen, verschmust­en Kaspar.

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