Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Bespuckt, weil sie ein Kopftuch trägt
Nimmt offene Feindseligkeit gegen Migranten und Muslime zu? Eine Augsburgerin, die zum Islam konvertierte, berichtet von ihren Erfahrungen. Die Polizei hat Tipps für Menschen, die Zeugen von Pöbeleien werden
Manche Passanten in der Bahnhofstraße schauen erschrocken, andere teilnahmslos. Ein paar schütteln ihre Köpfe, sie alle gehen weiter. Was ist geschehen? Ein Mann mit einer Bierflasche in der Hand beschimpft lauthals Fußgänger mit dunkler Hautfarbe. „Scheiß Neger“, „Dreckspack“schreit er sie an. Dieser Vorfall geschah unlängst, doch so etwas kommt auch in Augsburg beinahe jeden Tag vor.
Simone Lenz weiß, wie es ist, angefeindet zu werden. Sie sagt, die Aggressionen nehmen deutlich zu. Die Augsburgerin trägt seit ein paar Jahren Kopftuch. Ihr bislang schlimmstes Erlebnis hatte sie am Königsplatz. Auch ihr half damals niemand.
Simone Lenz ist eine Deutsche mit Kopftuch. Die 33-Jährige hat sich schon als Teenager für den Islam interessiert. Vor elf Jahren konvertierte die Altenpflegerin. Und plötzlich reagierte die Öffentlichkeit anders auf die junge Frau. In der Stadt wird Simone Lenz regelmäßig mit verächtlichen Blicken, Bemerkungen und Anfeindungen konfrontiert. „Eine unserer neuen Mitbürger“, „schau mal, wie die rumläuft“, „Turban-Tussi“sind noch die harmloseren Bemerkungen, die sie schildert. Beschimpft wird sie von Frauen und Männern gleichermaßen. „Es ist traurig, dass ich mich als Kopftuchträgerin über Freundlichkeit freuen muss.“Inzwischen lasse sie sich aber nicht mehr alles gefallen. „Wenn ich denjenigen frage, was er für ein Problem hat, ist meistens Ruhe. Manche aber beschimpfen mich dann als Verräterin, wenn sie merken, dass ich Deutsche bin.“
Das bislang Schlimmste, was der gebürtigen Höchstädterin passiert ist, war ein Vorfall am Königsplatz vor wenigen Jahren. Simone Lenz wartete auf die Straßenbahn. Neben ihr standen zwei Männer, zwischen 55 und 60 Jahre alt, schätzt sie. „Schau mal, schon wieder so eine Schleiereule“, begann der eine. „Ich schüttelte darüber den Kopf. Da packte mich einer am Ellenbogen und sagte: Du brauchst gar nicht so schauen, du türkische Fotze, sonst zeige ich dir, was passiert. Scheiß Moslems.“Diese Situation hat sich bei Lenz bis heute eingebrannt. Angst habe sie damals bekommen.
„Einer trat mich, der andere spuckte vor meine Füße. Ich schrie, schlug mit meiner Handtasche um mich. Ich glaube, ich habe sie letztendlich durch meine Lautstärke vertrieben.“Der Kö sei an dem Nachmittag voll gewesen. Doch niemand half ihr. Diese Tatsache schockierte Lenz am meisten.
Auch den pöbelnden Mann in der Bahnhofstraße hielt niemand auf. Dabei ist die Polizei oft auf Hinweise und Mitteilungen durch die Bevölkerung angewiesen, um Straftaten aufzuklären oder Gefahren abwehren zu können, betont Polizeisprecher Stefan Faller. Allein der Ausdruck „Scheiß Neger“könne den Straftatbestand der Beleidigung erfüllen. „Wählen Sie den Notruf 110 und melden Sie den Vorfall der Polizei. Lieber einmal zu oft die Polizei informieren als einmal zu wenig.“
Simone Lenz hat die Erfahrung gemacht, dass die Hemmschwelle, Ausländerfeindlichkeit offen zu zeigen, mittlerweile deutlich gesunken ist. Die Polizei hingegen registriert aktuell keine steigende Zahl von Delikten gegen Ausländern in Augsburg. Dennoch verfolge man die Entwicklung aufmerksam, meint Polizeikommissar Faller.
„Das subjektive Empfinden über die Anzahl solcher Taten mag bei manch einem Bürger zu einem anderen Ergebnis führen. Dieser Eindruck kann aber nicht nachweisbar belegt werden.“Straftaten mit ausländerfeindlichem Hintergrund würden erfasst und ausgewertet. Demnach wurden im vergangenen Jahr im Gebiet des Polizeipräsidiums Nordschwaben 69 rechtsextremistische Straftaten registriert. Im Jahr zuvor waren es 92, 2015 – zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise – 99 Delikte. Für das laufende Jahr liegen noch keine Zahlen vor.
Simone Lenz hatte damals keine Anzeige gegen die Männer erstattet. Sie sei zu aufgewühlt gewesen. „Ich bereue das. Heute würde ich zur Polizei gehen.“Als die Augsburgerin nach dem Vorfall am Königsplatz in ihre Straßenbahn stieg, kam eine Frau in der Tram auf sie zu.
„Sie meinte, ich hätte das soeben gut gemacht. Ich antwortete nur: Und Sie haben mir nicht geholfen.“Lenz kann nicht verstehen, dass Menschen nur zusehen. „Ich bin der Typ, der dazwischengeht.“Wie neulich in der Tram, als eine Frau mit Kopftuch von einer anderen Frau beleidigt wurde. „Ich stellte mich daneben und sprach sie darauf an.“Solche Vorkommnisse sind offenbar keine Einzelfälle. Auch eine Leserin schilderte unserer Redaktion unlängst eine Situation, in der eine Frau in einer Tram über zwei Frauen mit offensichtlichem Migrationshintergrund schimpfte. Stephanie Lermen, Sprecherin der Stadtwerke, bestätigt, dass der Ton in Bussen und Straßenbahnen aggressiver geworden ist. „Das hat aber nicht speziell etwas mit der Herkunft der Fahrgäste oder Ausländerfeindlichkeit zu tun.“
Die Fahrer würden darauf geschult, bei einem Konflikt deeskalierend zu wirken. Aber gerade in den langen Trambahnen bekäme ein Fahrer eine Auseinandersetzung oft nicht mit. „Es ist hilfreich, wenn sich Fahrgäste, die etwas bemerken, beim Fahrer melden“, so Lermen. In schwerwiegenden Fällen könne der Fahrer die Leitstelle informieren, die die Polizei verständigt. Benehme sich jemand daneben, dürfe der Fahrer den Störenfried des Fahrzeugs verweisen.
Seit sie Kopftuch trägt, ist Simone Lenz in der Öffentlichkeit wachsamer geworden. Und sie hat einiges dazugelernt. „Wenn mir noch einmal so etwas wie am Kö passiert, werde ich gezielt Leute um Hilfe bitten.“»Kommentar
Es kann mehrere Gründe haben, warum Menschen nicht zu Hilfe eilen, wenn jemand beschimpft oder gar angegriffen wird. Dahinter kann Desinteresse stecken oder Unsicherheit. Oft freilich auch die Angst, dass sich beim Einmischen die Aggression gegen einen selbst richten könnte.
Die Polizei wirbt schon seit Jahren mit der Aktion „Tu was“für mehr Zivilcourage. Sie sagt übergreifend, dass jeder von uns Verantwortung dafür trage, dass das Zusammenleben in der Gesellschaft friedlich und zivilisiert verlaufe. Jeder sei gefordert, als Zeuge und Helfer selbst aktiv zu werden. Und wenn es eben nur der Anruf bei der Notrufnummer 110 ist.
Der Appell der Polizei ist aktueller denn je. Denn der Umgangston in der Öffentlichkeit ist aggressiver geworden. Feindseligkeit und Hass werden offener verbreitet als früher – und das längst nicht mehr nur über Facebook. Die Ursachenforschung dafür und Schuldzuweisungen sollen an dieser Stelle gar nicht erfolgen. Darum geht es an dieser Stelle nicht. Es geht im Allgemeinen aber um den respektvollen Umgang miteinander und darum, zu helfen, wenn andere Menschen in Bedrängnis oder Not geraten. Man sollte zeigen, dass ein solches Verhalten von der Öffentlichkeit nicht akzeptiert wird. Nationalitäten und Religionszugehörigkeiten dürfen dabei keine Rolle spielen.