Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wenn wir auf etwas zielen…
Vier Wochen verbrachte die Kunststipendiatin Ya-Wen Fu aus Leipzig in Wertingen. Hier entwickelte sie unter anderem eine Performance für die Vernissage der Kunstausstellung. Sie ruft dazu auf, sich in Beziehungen und Gewalt einzufühlen
Wertingen „Schön angenehm ist es hier, nur die Vögel klingen, da ist schön viel Platz und niemand außer uns.“Mit strahlenden Augen sitzt Ya-Wen Fu auf einem von zwei Stühlen mitten im Wertinger Schlossgarten. Kurzerhand hatte die 38-jährige Frau die Stühle vom Schlosskeller in den hinteren Teil des Gartens getragen. Dorthin, wo vor Kurzem noch Hunderte weißer Plastikstühle gestanden haben, übrig geblieben von vier Wochen Freilichtkino.
Gleich am ersten Tag, als YaWen Fu Anfang September in die Wertinger Künstlerwohnung im Obergeschoss des alten Amtsgerichtsgebäudes einzog, hat sie die Stühle entdeckt. „Unglaublich“, freut sie sich noch Wochen später, „da standen sie alle in Reihen mit genau gleichem Abstand, wie die deutsche Kultur – ordentlich und weiß.“Die in Taiwan geborene Künstlerin, die heute in Leipzig lebt und arbeitet, nimmt sich in solchen Momenten Zeit und schaut am Anfang nur. Dann fängt sie an zu überlegen, was sie daraus machen kann. Und merkte bei den Stühlen sehr schnell: „Das ist Arbeit für mich.“
Zunächst nahm sie selbst erst einmal Platz auf einem der weißen Stühle und richtete ihren Blick auf die Kinoleinwand, als zum letzten Mal für diesen Sommer „Mamma Mia“darüber flimmert. „Für mich ist es ganz wichtig, erst einmal meine Umgebung kennenzulernen.“Ya-Wen Fu lebt seit 2004 in Deutschland, erst lange in Berlin seit einigen Jahren in Leipzig. Für zeitgenössische und Medienkunst sei Deutschland die beste Wahl, sagt sie. In Taiwan hatte sie zunächst Malerei studiert, in Deutschland darauf aufgebaut.
Seit einem Jahr arbeitet sie an einem großen Projekt, mit dem sie auf die – vielfach unterschwellige – Gewalt in der Gesellschaft aufmerksam machen will. Für die 38-Jährige ist ihr Körper wie ein Instrument. Sie benutzt ihn, um Emotionen und Gefühle bei den Zuschauern wachzurufen. „Welche Sportart passt zu meinem Projekt?“Mit dieser Frage im Hinterkopf hatte sie angefangen zu recherchieren, verschiedene Sportarten intensiv ausprobiert und sich entschieden: „Schießen ist perfekt, für das, was ich sagen will.“Dabei geht es ihr keineswegs um den Schuss, sondern vielmehr um die Zeit, bevor jemand getroffen „Was passiert in solch einem Moment zwischen zwei Personen?“Diese Frage interessiert Ya-Wen Fu. Sie richtet die Aufmerksamkeit auf das, was zu sehen ist, aber auch auf die Konzentration und die Gedanken. Alles sei in dem Moment auf das Ziel ausgerichtet. Selbst wenn wir verlangsamen, die Bewegungen bleiben gleich. Es geht in die gleiche Richtung. „Du siehst diese Gewalt nicht, nach außen ist sie unsichtbar“, weiß die Künstlerin. „Doch durch die Fokussierung ist sie da, eine Gefahr, die letztendlich töten kann.“
Während ihres vierwöchigen Aufenthalts in Wertingen entwickelt Ya-Wen Fu eine Sequenz ihres Projekts. Mithilfe von Verena Beese aus dem Vorzimmer des Wertinger Bürgermeisters gelang es ihr, die Stühle über die Kinotage hinaus im Schlossgarten zu behalten. Dann konnte sie loslegen. Stundenlang rückt sie die ersten beiden Tage die Stühle im Wertinger Schlossgarten hin und her, bildet schließlich damit ein Dreieck ab. Das Arrangement erinnert an eine Armbrust. An der Stelle, von der der Schuss abgefeuert würde, sitzt sie selbst. Die 38-jähriwird. ge Künstlerin trägt jetzt eine Maske. Bevor sie – einzig mit ihrem Körper – die imaginäre Schnur zum Anschlag zieht, drückt sie auf den Selbstauslöser ihrer Kamera, spurtet in zehn Sekunden zurück auf ihren Platz und lässt ihren Körper sprechen. „Vorstellungen und Realität kommen in solchen Momenten zusammen, fast wie im Kino“, reflektiert die Performance-Künstlerin. Die Kinostühle passen somit optimal zu ihrer Inszenierung.
Ya-Wen Fu will mit ihrem Projekt über Beziehungen sprechen. Über die Beziehung zwischen zwei Menschen und darüber, wie verschiedene Situationen miteinander in Beziehung stehen. So sieht sie beispielsweise auch alle Menschen, die jeweils auf diesen Kinostühlen gesessen haben, mit in ihr Projekt involviert. „Gewissermaßen spielen wir jeden Tag einen Film, jeder von uns und unsere Gesellschaft.“Indem wir fernsehen und lesen, was in der Welt passiert, würden wir unseren Fokus auf etwas richten. Mit ihren Werken ruft die Künstlerin ihr Publikum auf, sich in ihre jeweiligen Rollen hineinzuversetzen und zu fühlen.
So wird sie zur Eröffnung der diesjährigen Ausstellung „Kunst im Schloss“am kommenden Sonntag, 7. Oktober, 11.15 Uhr, eine Performance zeigen. Während ihres Aufenthalts im September in Wertingen hat sie gewissermaßen die Vorbereitungen dafür getroffen und erkannt, dass sie hier etwas anders vorgehen muss als anderswo. „Das Schloss ist ein geschützter Raum“, hat sie erkannt. Wo sie sonst problemlos Hacken und Schnüre an den Wänden befestigen kann, stößt sie in dem historischen Gebäude auf Vorschriften. „Ich muss mich anpassen an den Ort und die Ordnung“, sagt sie, sucht kreative Alternativen und verspricht allemal: „Ich werde mein Bestes geben.“