Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Zwischen Rettung und „Riesensauerei“
Wirtschaft Die sogenannte 3+2-Regel soll Firmen und Flüchtlingen in Deutschland helfen, sofern sie gut integriert sind. Wir zeigen zwei Beispiele, wie unterschiedlich gut das klappt. Ist daran die Politik des Freistaats schuld?
Landkreis Augsburg Die fünf Männer sehen alle sehr zufrieden aus. Ibrahim Shkhess und Kelvin Kargbo, weil sie weiter in Deutschland leben und arbeiten dürfen. Die Firmenchefs Hans-joachim und Michael Bormann, weil sie zwei gute Kräfte behalten dürfen. Und der Csu-abgeordnete Johannes Hintersberger ist zufrieden, weil er bei diesem Anlass in Neusäß demonstrieren kann, dass auch in Bayern die sogenannte 3+2 Regel funktioniert. Sie besagt, dass Flüchtlinge mit einem Ausbildungsvertrag während der Lehre in Deutschland bleiben dürfen. Bei erfolgreichem Abschluss sind weitere zwei Jahre sicher.
Davon kam Aminallah Karimi nur träumen. Er floh 2015 aus Afghanistan nach Deutschland. Jetzt hat er einen Ausbildungsvertrag bei einem Wertinger Handwerksmeister in der Tasche. Doch ihm droht die Abschiebung. Seine Ausbildung zum Maurer hatte Karimi bereits begonnen, den ersten Berufsschultag hinter sich, als die Regierung ihm den weiteren Fortgang verweigerte. Die Berufsschule Nördlingen indes hält ihm seinen Platz weiterhin frei und der Biberbacher Landtagsabgeordnete Johann Häusler (Freie Wähler) ist außer sich: „Un- Handwerk fehlt der Nachwuchs und die Regierungspartei lacht darüber auch noch, indem sie die Arbeitswilligen zurückfliegen lässt. Eine Riesensauerei, die ich nicht länger mit ansehen möchte.“
Häusler hat sich nun an Ministerpräsident Söder gewandt, wirft aber gleichzeitig der Staatsregierung vor, die im Sommer 2016 im Bundesintegrationsgesetz festgeschriebene 3+2-Regel „nach allen Regeln der Kunst absichtlich“zu umgehen, beispielsweise durch die Unterstellung, die Identität der Betroffenen könne nicht klar festgestellt werden. So saßen Medienberichten zufolge auch in den Abschiebeflügen nach Afghanistan vereinzelt junge Männer, die bereits einen Ausbildungsvertrag in der Tasche hatten. Die Industrie- und Handelskammern beklagen, dass Bayern das Gesetz grundsätzlich sehr restriktiv auslege und darüber hinaus der Vollzug durch die Verwaltung nicht einheitlich sei. Im Klartext: Es kommt auch drauf an, welchen Sachbearbeiter die Betroffenen erwischen.
Josefine Steiger hat das vielfach erlebt. „Es sind immer wieder Einzelfallentscheidungen“, sagt die Leiterin des Fachbereichs Ausbildung bei der IHK in Schwaben. Seit Jahren leitet sie ein Projekt, das daserem rauf abzielt, Flüchtlinge fit für eine Lehre zu machen. Das Ergebnis könne sich sehen lassen, meint Steiger. Knapp fünf Prozent Lehrlinge bei schwäbischen Ihk-betrieben hätten einen Fluchthintergrund, allein im Augsburger Land fingen heuer 45 junge Asylbewerber als Azubis an. Im Sommer bestanden in Schwaben 60 von 74 Lehrlingen mit Fluchthintergrund ihre Abschlussprüfungen, 90 Prozent von den 74 wurden von ihren Betrieben übernommen. Steiger aber sagt: „Es könnten noch mehr sein.“Die 3+2 Regel, die auch nach einem abgelehnten Asylantrag eine Bleibefrist gewährt, kommt nur für unbescholtene Menschen infrage, deren Identität geklärt ist. Genau der letzte Punkt aber bereite oft große Schwierigkeiten, erzählt Steiger, weil die Zusammenarbeit mit den Behörden in den Herkunftsländern schwierig sei. „Nur eine Geburtsurkunde zu bekommen, ist manchmal ein Kraftakt von mehreren Monaten.“Die Arbeits- und Ausbildungserlaubnis für ihre Schützlinge sei oft eine lange Hängepartie, in der viel vom Entgegenkommen der jeweiligen deutschen Behörde abhänge. Den bayerischen Ämtern attestiert Steiger dabei diplomatisch „einen Lernprozess“.
Zurück zu Aminallah Karimi. Ihm legt die Regierung nach Angaben des Abgeordneten Häusler nahe, nach seiner Ausreise nach Afghanistan von dort aus seine Rückkehr zu betreiben. Häusler: „Ein bürokratischer und finanzieller Irrsinn. Das dauert annähernd ein Jahr, während unsere Handwerksbetriebe hier keine Lehrlinge mehr finden.“
Auch der Syrer Ibrahim Shkhess, der nach einer abenteuerlichen Flucht über das Mittelmeer in Griechenland ankam und es bis über die damals offenen Grenzen nach Bayern geschafft hat, musste zittern. Er hatte bereits in Syrien IT studiert, konnte programmieren und war sehr integrationswillig, sodass ein Mitglied des Helferkreises Neusäß sofort an die Firma Bormann als Itbetrieb dachte. Seit zwei Jahren lernt er dort It-fachinformatiker.
Kelvin Kargbo stammt aus Sierra Leone. Er hatte in Augsburg einen Poetry Slam gewonnen, der Juniorchef der Firma, Michael Bormann, saß in der Jury. Er lud Kelvin zum Bewerbungsgespräch. Seit einem Jahr hat er einen Lehrvertrag.
Beide Azubis der Firma Bormann sind voll integriert und haben eine eigene kleine Wohnung, betont der Seniorchef Hans-joachim Bormann. Für Hintersberger ist klar: Diese beiden sind ein Fall für die 3+2-Regelung. Und dann sagt der Abgeordnete beim Ortstermin noch: Wenn es eine Ablehnung geben sollte, so sollten sich die Beiden an ihn wenden.