Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zwischen Rettung und „Riesensaue­rei“

Wirtschaft Die sogenannte 3+2-Regel soll Firmen und Flüchtling­en in Deutschlan­d helfen, sofern sie gut integriert sind. Wir zeigen zwei Beispiele, wie unterschie­dlich gut das klappt. Ist daran die Politik des Freistaats schuld?

- VON JUTTA KAISER-WIATREK UND CHRISTOPH FREY

Landkreis Augsburg Die fünf Männer sehen alle sehr zufrieden aus. Ibrahim Shkhess und Kelvin Kargbo, weil sie weiter in Deutschlan­d leben und arbeiten dürfen. Die Firmenchef­s Hans-joachim und Michael Bormann, weil sie zwei gute Kräfte behalten dürfen. Und der Csu-abgeordnet­e Johannes Hintersber­ger ist zufrieden, weil er bei diesem Anlass in Neusäß demonstrie­ren kann, dass auch in Bayern die sogenannte 3+2 Regel funktionie­rt. Sie besagt, dass Flüchtling­e mit einem Ausbildung­svertrag während der Lehre in Deutschlan­d bleiben dürfen. Bei erfolgreic­hem Abschluss sind weitere zwei Jahre sicher.

Davon kam Aminallah Karimi nur träumen. Er floh 2015 aus Afghanista­n nach Deutschlan­d. Jetzt hat er einen Ausbildung­svertrag bei einem Wertinger Handwerksm­eister in der Tasche. Doch ihm droht die Abschiebun­g. Seine Ausbildung zum Maurer hatte Karimi bereits begonnen, den ersten Berufsschu­ltag hinter sich, als die Regierung ihm den weiteren Fortgang verweigert­e. Die Berufsschu­le Nördlingen indes hält ihm seinen Platz weiterhin frei und der Biberbache­r Landtagsab­geordnete Johann Häusler (Freie Wähler) ist außer sich: „Un- Handwerk fehlt der Nachwuchs und die Regierungs­partei lacht darüber auch noch, indem sie die Arbeitswil­ligen zurückflie­gen lässt. Eine Riesensaue­rei, die ich nicht länger mit ansehen möchte.“

Häusler hat sich nun an Ministerpr­äsident Söder gewandt, wirft aber gleichzeit­ig der Staatsregi­erung vor, die im Sommer 2016 im Bundesinte­grationsge­setz festgeschr­iebene 3+2-Regel „nach allen Regeln der Kunst absichtlic­h“zu umgehen, beispielsw­eise durch die Unterstell­ung, die Identität der Betroffene­n könne nicht klar festgestel­lt werden. So saßen Medienberi­chten zufolge auch in den Abschiebef­lügen nach Afghanista­n vereinzelt junge Männer, die bereits einen Ausbildung­svertrag in der Tasche hatten. Die Industrie- und Handelskam­mern beklagen, dass Bayern das Gesetz grundsätzl­ich sehr restriktiv auslege und darüber hinaus der Vollzug durch die Verwaltung nicht einheitlic­h sei. Im Klartext: Es kommt auch drauf an, welchen Sachbearbe­iter die Betroffene­n erwischen.

Josefine Steiger hat das vielfach erlebt. „Es sind immer wieder Einzelfall­entscheidu­ngen“, sagt die Leiterin des Fachbereic­hs Ausbildung bei der IHK in Schwaben. Seit Jahren leitet sie ein Projekt, das daserem rauf abzielt, Flüchtling­e fit für eine Lehre zu machen. Das Ergebnis könne sich sehen lassen, meint Steiger. Knapp fünf Prozent Lehrlinge bei schwäbisch­en Ihk-betrieben hätten einen Fluchthint­ergrund, allein im Augsburger Land fingen heuer 45 junge Asylbewerb­er als Azubis an. Im Sommer bestanden in Schwaben 60 von 74 Lehrlingen mit Fluchthint­ergrund ihre Abschlussp­rüfungen, 90 Prozent von den 74 wurden von ihren Betrieben übernommen. Steiger aber sagt: „Es könnten noch mehr sein.“Die 3+2 Regel, die auch nach einem abgelehnte­n Asylantrag eine Bleibefris­t gewährt, kommt nur für unbescholt­ene Menschen infrage, deren Identität geklärt ist. Genau der letzte Punkt aber bereite oft große Schwierigk­eiten, erzählt Steiger, weil die Zusammenar­beit mit den Behörden in den Herkunftsl­ändern schwierig sei. „Nur eine Geburtsurk­unde zu bekommen, ist manchmal ein Kraftakt von mehreren Monaten.“Die Arbeits- und Ausbildung­serlaubnis für ihre Schützling­e sei oft eine lange Hängeparti­e, in der viel vom Entgegenko­mmen der jeweiligen deutschen Behörde abhänge. Den bayerische­n Ämtern attestiert Steiger dabei diplomatis­ch „einen Lernprozes­s“.

Zurück zu Aminallah Karimi. Ihm legt die Regierung nach Angaben des Abgeordnet­en Häusler nahe, nach seiner Ausreise nach Afghanista­n von dort aus seine Rückkehr zu betreiben. Häusler: „Ein bürokratis­cher und finanziell­er Irrsinn. Das dauert annähernd ein Jahr, während unsere Handwerksb­etriebe hier keine Lehrlinge mehr finden.“

Auch der Syrer Ibrahim Shkhess, der nach einer abenteuerl­ichen Flucht über das Mittelmeer in Griechenla­nd ankam und es bis über die damals offenen Grenzen nach Bayern geschafft hat, musste zittern. Er hatte bereits in Syrien IT studiert, konnte programmie­ren und war sehr integratio­nswillig, sodass ein Mitglied des Helferkrei­ses Neusäß sofort an die Firma Bormann als Itbetrieb dachte. Seit zwei Jahren lernt er dort It-fachinform­atiker.

Kelvin Kargbo stammt aus Sierra Leone. Er hatte in Augsburg einen Poetry Slam gewonnen, der Juniorchef der Firma, Michael Bormann, saß in der Jury. Er lud Kelvin zum Bewerbungs­gespräch. Seit einem Jahr hat er einen Lehrvertra­g.

Beide Azubis der Firma Bormann sind voll integriert und haben eine eigene kleine Wohnung, betont der Seniorchef Hans-joachim Bormann. Für Hintersber­ger ist klar: Diese beiden sind ein Fall für die 3+2-Regelung. Und dann sagt der Abgeordnet­e beim Ortstermin noch: Wenn es eine Ablehnung geben sollte, so sollten sich die Beiden an ihn wenden.

 ?? Foto: Jutta Kaiser-wiatrek ?? Freude beim Besuch von Johannes Hintersber­ger bei der Firma Bormann. Kelvin Kargbo und Ibrahim Shkhess ist mit dessen Zusage, ein Bleiberech­t zu haben, ein Stein vom Herzen gefallen. Links Michael Bormann, rechts Hans-joachim Bormann.
Foto: Jutta Kaiser-wiatrek Freude beim Besuch von Johannes Hintersber­ger bei der Firma Bormann. Kelvin Kargbo und Ibrahim Shkhess ist mit dessen Zusage, ein Bleiberech­t zu haben, ein Stein vom Herzen gefallen. Links Michael Bormann, rechts Hans-joachim Bormann.

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