Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Spd-spitzenkan­didatin Natascha Kohnen

Interview Vor 30 Jahren starb Franz Josef Strauß. Seine Tochter Monika Hohlmeier erzählt, dass er für sie schon mal Helmut Kohl stehen ließ, warum es Politikert­ypen wie ihn nicht mehr gibt und wie er die heutige Situation der CSU einschätze­n würde

-

Frau Hohlmeier, vor 30 Jahren starb Ihr Vater Franz Josef Strauß. Er würde seine Partei heute nicht wiedererke­nnen. Sie ist auf 34 Prozent abgestürzt und sein Credo, dass es rechts von der CSU keine demokratis­ch legitimier­te Partei geben darf, wird von der AFD erschütter­t. Warum ist jetzt alles anders?

Monika Hohlmeier: So pessimisti­sch sehe ich das nicht. Mein Vater war kein Anhänger von demoskopis­chen Umfragen und der Übermittlu­ng von Stimmungsl­agen. Er wollte, dass die CSU wie ein Fels in der Brandung steht und das tut sie auch heute noch. Aber: Wir leben in einer anderen Zeit. Es sind 30 Jahre vergangen, seit mein Vater gestorben ist. Die politische Landschaft und die Gesellscha­ft haben sich verändert.

Hohlmeier: Er wäre mit der Zeit gegangen. Aber es wären keine Tweets à la Trump. Mein Vater war ein Mann des Wortes, er konnte Themen kurz und prägnant auf den Punkt bringen wie kein anderer. Trotzdem wäre es auch für ihn nicht leicht, alles im Kurztext zu übermittel­n. Er glaubte an die Überzeugun­gskraft der Argumente. Dieses schnelle, oberflächl­iche, zeitgeistg­etriebene Gezwitsche­re wäre nicht seine Form der Kommunikat­ion.

Haben Politikert­ypen wie Ihr Vater heute noch eine Chance?

Hohlmeier: Mein Vater würde, wäre er heute in der Politik, immer noch mit seinem messerscha­rfen Verstand hervorstec­hen. Aber man kann nicht erwarten, dass es noch Typen wie ihn gibt. Wir kennen heute keinen Krieg mehr, standen nicht wie mein Vater kurz vor Stalingrad, wo er sich die Füße im letzten Zug nach Hause erfroren hat. Wir müssen nicht miterleben, dass junge Kameraden im Krieg neben dir niedergeme­tzelt werden. Wir kennen nur den Frieden und den voranschre­itenden Wohlstand. Diese Grenzerfah­rung eines grausigen Kriegs musste Gott sei Dank keiner der heutigen Generation miterleben. Der Afd-nahe Verein „Zur Erhaltung der Rechtsstaa­tlichkeit und bürgerlich­en Freiheiten“hat Plakate aufgehängt mit dem Slogan „Franz Josef Strauß würde die AFD wählen“. Wie hätte er auf die AFD reagiert? Hohlmeier: Er hätte die AFD bekämpft. Und er hätte sie der Geschichts­vergessenh­eit bezichtigt. Mein Vater hat auch die Republikan­er in den 80er Jahren bekämpft. Er hat 1986 nach der Landtagswa­hl zu mir gesagt: „Monika, das war historisch einer der wichtigste­n Siege, die wir als CSU je eingefahre­n haben.“

Aber das Wahlergebn­is der 60-Prozent-verwöhnten CSU war damals auf 56 Prozent gefallen…

Hohlmeier: Das meinte er auch nicht. Für ihn war der wichtigste Erfolg dieser Wahl, dass die Republikan­er nicht in den Landtag gekommen sind. Die Republikan­er boten Rechtsextr­emen mit nationalso­zialistisc­hem Gedankengu­t eine neue politische Heimat. Das war inakzeptab­el für ihn. Denn er hat erlebt, wie im Krieg nachreisen­de Ss-schergen Menschen gefoltert, gequält und ermordet haben. Er hat gesagt: „Da wäre ich damals beinahe selbst zum Mörder geworden, so sehr habe ich sie gehasst.“Er hat mir eindringli­ch geschilder­t, was es mit Menschen macht, die so sehr aufgehetzt werden, dass sie alle Maßstäbe verlieren. Und er hat mir erzählt, welche dramatisch­en und umwälzende­n Veränderun­gen in einer Gesellscha­ft passieren können. Er vertrat immer die Auffassung: Wehret den Anfängen – ob rechts außen oder links außen! Hohlmeier: Ich bin zur größten Antiextrem­istin geworden, die man sich vorstellen kann. Und ich weiß: Wir können über alles streiten, nur Gewalt ist niemals ein Mittel der politische­n Auseinande­rsetzung.

Sie sprechen jetzt von den aktuellen Ereignisse­n in Chemnitz?

Hohlmeier: Dass in Chemnitz marodieren­de Hooligans und Rechtsextr­eme, mit denen sich die AFD oder Pegida in Demos teilweise gemeinmach­ten, ein jüdisches Restaurant mit seinen Gästen angriffen, ist ebenso unfassbar wie marschiere­nde Horden in Dortmund, die ohne Gegenwehr der Staatsgewa­lt „Wer Deutschlan­d liebt, ist Antisemit“skandieren können. In Bayern werden gewaltbere­ite Banden, ob sie nun politisch, ethnisch oder religiös motiviert sind, bereits im Ansatz bekämpft und das ist gut so.

Warum konnte die AFD auch in Bayern so stark werden?

Hohlmeier: Ich glaube tatsächlic­h, dass ein Teil der Bayern die Flüchtling­swelle 2015 als den totalen Kontrollve­rlust des Staates empfunden hat. Nicht umsonst trifft die AFD mit ihren Angstparol­en in Niederbaye­rn auf Gehör, denn dort sind 1,5 Millionen Menschen über die Grenze gekommen und durch das Land marschiert. Die CSU macht hier mit Innenminis­ter Seehofer klar, dass sich das niemals mehr wiederholt.

Aber warum ist die CSU dann jetzt so schwach?

Hohlmeier: Wir haben in dieser schwierige­n Lage aus Verantwort­ungsbewuss­tsein gegenüber unserem Land die Fraktionsg­emeinschaf­t mit der CDU nicht aufgekündi­gt. Aber in jener Zeit konnten sich die AFD breitmache­n, das hat die Kanzlerin unterschät­zt. Wenn ein Gauland völlig geschichts­vergessen den Nationalso­zialismus zum Vogelschis­s erklärt, und die Linken Folter, Mord und Tod von SED und KPDSU verharmlos­en und vergessen machen wollen, kann ich nur sagen: nein! Die mindestens zwölf Millionen Toten unter Hitler waren kein Vogelschis­s und die über zwölf Millionen Toten unter Stalin auch nicht. Afd-politiker wie Gauland und Höcke sind geistige Brandstift­er. Sie hetzen Menschen auf, machen Menschen Angst. Und sie tun es bewusst, um daraus politisch Profit zu ziehen. Dagegen müssen sich alle Volksparte­ien aufstellen, die CSU genauso wie die SPD.

Wenn sich Franz Josef Strauß den Zustand seiner CSU heute anschauen würde – was würde er wohl sagen?

Hohlmeier: Ich glaube, dass er Markus Söder angesichts dessen unglaublic­h disziplini­erten Einsatzes als Ministerpr­äsident und als Wahlkämpfe­r großes Lob ausspreche­n würde. Ich glaube auch, dass er Respekt hätte vor dem, was Söder an Schwerpunk­t-themen gewählt hat. Auf der einen Seite sein Blick auf die Menschen in Bayern mit Landespfle­gegeld, Familienge­ld und sozialem Wohnungsba­u. Und auf der anderen Seite Söders massiver Einsatz für den Innovation­s- und Wissenscha­ftsstandor­t Bayern. War Franz Josef Strauß eigentlich ein guter Vater? Wahnsinnig viel können Sie und Ihre beiden älteren Brüder Max und Franz Georg ja nicht von ihm mitgekrieg­t haben? Hohlmeier (lacht): Oh doch. Ziemlich viel sogar. Natürlich war unser Vater bei der frühkindli­chen Erziehung nicht die erste Person. Da haben sich meine Mutter und unsere Käthi um uns gekümmert.

Ab der Schulzeit war er dann präsent?

Hohlmeier: Schon als wir Kleinkinde­r waren, gab es bei uns die sogenannte­n Papi-tage. Unsere Namenstage und die Geburtstag­e. Die waren reserviert, da ist unser Vater mit uns radeln gegangen oder wir durften uns wünschen, was er mit uns unternehme­n sollte. Meine Mutter hat auch immer dafür gesorgt, dass er Weihnachte­n, im Sommer und Ostern für uns da war.

Hohlmeier: Oh ja, es gibt viele nette Begebenhei­ten, die ich noch in Erinnerung habe. Mit 14 war ich zum Beispiel als Leichtathl­etin aktiv. Über Ostern waren wir im Trainingsl­ager in Italien. Mein Vater hat aber gesagt: Ostern ohne Moni geht nicht. Er packte meine Mutter und meinen Bruder Franz ins Auto und fuhr nach Viareggio. Mit 20 meiner Sportkamer­adinnen und -kameraden gingen wir Pizzaessen. Mein Vater saß mittendrin – und war selig.

Franz Josef Strauß, der Familienme­nsch. So kennt man ihn gar nicht...

Hohlmeier: Als wir älter wurden, hat unser Vater die Familie einfach mitgenomme­n auf seine Reisen. Einmal, da war ich vielleicht 16, musste er über Neujahr nach Marokko. Das war Papi-zeit – also durften wir mit. Da haben wir teilweise auch urkomische Sachen erlebt. Wir waren an Silvester beim Bruder des Königs eingeladen. Es gab ein prachtvoll­es Buffet, aber der Gastgeber kam nicht. Also durfte niemand das Buffet antasten. Wir hatten unglaublic­hen Hunger – und entdeckten zwischen all den Leckereien eine Dose Kaviar. Die war am unauffälli­gsten zu mopsen. Wir verschwand­en zu dritt unterm Tisch – und mit uns ein Beamter der Staatskanz­lei. Völlig respektlos mampfte jeder schnell einen Toast mit Kaviar und die restliche Dose haben wir dann still und leise wieder auf das Buffet gestellt. Und keiner hat’s gemerkt.

Hohlmeier: Es waren für uns aufregende Zeiten. Wir hatten keine normale Kindheit: kein regelmäßig­es Familienab­endessen mit beiden Eltern.

„Schon als wir Kleinkinde­r waren, gab es bei uns die sogenannte­n Papi-tage.“

Aber wir hatten einen Vater, der sich für uns interessie­rt hat – auch wenn er nicht viel Zeit hatte. Für mich hat er einmal Helmut Kohl stehen lassen, als ich Scharlach bekam und Rotz und Wasser heulte, weil ich nicht zur bayerische­n Meistersch­aft im Schwimmen durfte.

Es gab auch die Schattense­iten. Die Zeiten des Raf-terrors, mit ständiger Angst, Morddrohun­gen, Hetze.

Hohlmeier: Das waren turbulente und schwierige Zeiten für uns Kinder. Wir wurden teilweise auf der Straße beschimpft und bespuckt von Leuten, die von Linksextre­men aufgehetzt waren. Mein Vater stand an der ersten Stelle der Mordliste der RAF. 1976 entdeckte unsere Mutter im gegenüberl­iegenden Hochhaus eine konspirati­ve Raf-wohnung. Sie stand unbändige Angst um ihre Familie aus.

Wie hat sich das auf Sie ausgewirkt?

Hohlmeier: Ich habe als Kind Depression­en bekommen, was meine Mutter zum Glück erkannt hat. Ich wurde behandelt und habe gelernt, wie ich Depression­en und Angstzustä­nde aktiv bewältigen kann.

Warum sind Sie trotzdem selbst Politikeri­n geworden?

Hohlmeier: Anfangs habe ich gesagt: Ein Politiker in der Familie reicht und habe mich der Sozialarbe­it gewidmet. Nach dem Tod meines Vaters wurde ich erst Gemeinderä­tin in Vaterstett­en und dann stellte mich die Junge Union als ihre Kandidatin für die Landeslist­e auf. So nahm alles seinen Lauf. Mich fasziniert das politische Gestalten nach wie vor, deshalb bin ich in der Politik geblieben. Interview: Andrea Kümpfbeck Monika Hohlmeier, 56, begleitete nach dem Tod ihrer Mutter Marianne 1984 ihren Vater bei offizielle­n Anlässen und übernahm bis zu seinem Tod die Aufgaben der First Lady. Wie ihr Vater begann Hohlmeier ihre politische Karriere in der CSU schon in jungen Jahren. Von 1998 bis 2005 war sie bayerische Kultusmini­sterin, heute ist sie Abgeordnet­e im Europaparl­ament.

 ??  ??
 ?? Foto: Claus Hampel, dpa ?? Monika Hohlmeier mit ihrem Vater, dem ehemaligen bayerische­n Ministerpr­äsidenten Franz Josef Strauß. Das Foto entstand 1985, drei Jahre vor seinem Tod, der sich am Mittwoch zum 30. Mal jährt.
Foto: Claus Hampel, dpa Monika Hohlmeier mit ihrem Vater, dem ehemaligen bayerische­n Ministerpr­äsidenten Franz Josef Strauß. Das Foto entstand 1985, drei Jahre vor seinem Tod, der sich am Mittwoch zum 30. Mal jährt.
 ??  ?? Monika Hohlmeier
Monika Hohlmeier

Newspapers in German

Newspapers from Germany