Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mehr Fachkräfte aus dem Ausland
Wie die Regierung qualifiziertes Personal hierher holen will
Berlin Fachkräfte aus Nicht-EUStaaten sollen künftig zur Arbeitsplatzsuche für sechs Monate nach Deutschland kommen dürfen. Das hat die Große Koalition beschlossen. Der Streit um einen „Spurwechsel“ist damit zumindest vorerst entschärft. Die von der SPD geforderte Möglichkeit für abgelehnte Asylbewerber, aus dem Asyl- ins neue Zuwanderungsrecht zu wechseln, ist in den vereinbarten Eckpunkten für ein Einwanderungsgesetz zwar nicht enthalten. Allerdings sollen gut integrierte Geduldete, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, einen besser gesicherten Status erhalten. Damit sollen nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Arbeitgeber mehr Planungssicherheit bekommen. Wirtschaftsvertreter lobten den Kompromiss. Als Bedingungen für die Fachkräftezuwanderung gelten eine qualifizierte Ausbildung und Deutschkenntnisse. Außerdem müssen die Betroffenen nachweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt während der Jobsuche selbst finanzieren können. So will die Regierung eine „Zuwanderung in die Sozialsysteme“verhindern. Der CDU-Wirtschaftsrat fürchtet dennoch, dass die Entscheidung eine „erneute Sogwirkung auslösen“könnte. Die AfD fürchtet, dass „Asyl und Einwanderung bis zur Unkenntlichkeit vermischt“werden. Was der Beschluss der Regierung konkret bedeutet, erklären wir auf der
Berlin Seit einem Vierteljahrhundert streiten die Parteien darüber, ob Deutschland ein Einwanderungsgesetz braucht. Jetzt hat die Große Koalition Eckpunkte für einen Gesetzentwurf vorgelegt. Heizungsbauer, Bäcker und andere Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten sollen künftig zur Arbeitsplatzsuche für sechs Monate nach Deutschland kommen dürfen. Das Bundeskabinett beschloss am Dienstag ein entsprechendes Eckpunktepapier. Im Streit um einen „Spurwechsel“für abgelehnte Asylbewerber in Deutschland aus dem Asyl- ins neue Zuwanderungsrecht hat sich die Koalition auf Grundsätze geeinigt.
Was ist im Kern geplant?
Fachkräfte mit Berufsabschluss und Deutschkenntnissen aus Nicht-EUStaaten sollen zur Arbeitsplatzsuche für sechs Monate nach Deutschland kommen dürfen – aber nur, wenn sie ihren Lebensunterhalt während der Jobsuche zum Beispiel aus Erspartem selbst bestreiten können. Die neue Möglichkeit soll auf fünf Jahre befristet werden. Eine vergleichbare Regelung gibt es bisher schon für Hochschulabsolventen.
Welche Lösungen sieht man für Asylbewerber vor?
Für abgelehnte Asylbewerber, die mit Duldungsstatus im Land sind, soll es nach bundesweit geltenden Regeln eine Arbeitserlaubnis und einen sichereren Aufenthaltsstatus geben. Wie der aussehen kann, ist aber noch völlig unklar. Bekommen können soll einen solchen Aufenthaltsstatus laut dem Beschluss, wer durch Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt sichert und gut integriert ist. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte, die Regierung peile für diese Menschen einen sicheren, verlässlichen Status an, „damit wir nicht die Falschen abschieben“. Innenminister Horst Seehofer (CSU) sagte, Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“würden ausgenommen. Vom „Spurwechsel“, also dem Wechsel aus dem Asyl- ins Aufenthaltsrecht, wollten die Minister nicht reden – obwohl es am Ende darauf hinauslaufen könnte. Günter Burkhardt, Geschäftsführer Pro Asyl, mahnt: „Ein Geduldeter hat keinen sicheren Status. Da braucht es eine Aufenthaltserlaubnis.“
Wen betrifft die Neuregelung konkret?
Nach Darstellung des Innenministeriums würden vor allem Menschen profitieren, die auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise gekommen sind. „Es gibt aus den Jahren 2015 und 2016 eine Gruppe von Personen, die in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft gut integriert sind und aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden können“, hieß es. „Gleichzeitig wollen wir für die Zukunft unter anderem mit Ankerzentren dafür sorgen, dass Asylverfahren beschleunigt und abgelehnte Asylbewerber schneller abgeschoben werden.“
Was ist, wenn ein arbeitender Geduldeter später seinen Job verliert?
Das ist noch nicht klar. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) versprach Kriterien für Betroffene, die keinen Wust von Durchführungsbestimmungen erfordern. „Es macht doch einen Unterschied, ob jemand, der bislang geduldet ist und eine relativ kurze Zeit gearbeitet hat, nach zwei Monaten wieder arbeitslos wird, oder ob es jemanden gibt, der seit 14 Jahren hier ist und die ganze Zeit gearbeitet hat, hinterher vielleicht außerhalb des Duldungsstatus noch mal zehn Jahre arbeitet und aus irgendeinem Grund seinen Arbeitsplatz verliert.“
Wie viele Fachkräfte fehlen in Deutschland?
Laut Deutschem Industrie- und Handelskammertag (DIHK) fehlen den Unternehmen 1,6 Millionen Arbeitskräfte. Fast jedes zweite Unternehmen gab im DIHK-Arbeitsmarktreport 2018 an, offene Stellen längerfristig nicht besetzen zu können. Stellen für Fachkräfte bleiben heute länger unbesetzt als noch vor zwei Jahren, laut Bundesagentur für Arbeit sind es aktuell im Schnitt 107 Tage. Im vergangenen Jahr waren es 103 Tage, im vorvergangenen 97 Tage. Verschärft habe sich die Lage etwa in Bauberufen. Große Engpässe gebe es aber auch in technischen Berufen von Sanitär bis IT oder bei Gesundheit und Pflege.
Was sollen Fachkräfte mitbringen für einen Job in Deutschland?
Sprachkenntnisse und eine qualifizierte Ausbildung. Diese muss aber nicht unbedingt deutschen Standards entsprechen, 18-monatige Nachschulungen hierzulande sind auch heute schon möglich und sollen stärker genutzt werden. IT-Fachkräfte und Kräfte aus anderen Branchen mit besonderem Bedarf sollen auch ohne formale Qualifikation kommen dürfen, falls sie genug Erfahrung haben. Sprachkurse des Goethe-Instituts will die Bundesregierung stärker fördern. Besonders um Gesundheits- und Pflegekräfte soll geworben werden.
Martina Herzog, Basil Wegener und Anne-Béatrice Clasmann, dpa