Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Nächtliche­r Nervenkitz­el

Bei Herbertsho­fen bleibt der Express auf freiem Feld stehen. Die Reisenden brauchen erst einmal Geduld. Dann müssen sie über Brücken in einen Ersatzzug umsteigen

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Mitten in der Nacht und mitten auf einem Feld mussten ICE-Fahrgäste bei Herbertsho­fen den Zug wechseln. Mehr dazu lesen Sie heute auf

Meitingen-Herbertsho­fen Die Fahrgäste eines ICE von München nach Kassel benötigten in dieser Nacht doppelt gute Nerven: Etwa 60 Reisende mussten am Mittwoch zunächst im Zug ausharren, der bei Herbertsho­fen stehen geblieben war. Dann mussten sie über Brücken in einen Ersatzzug steigen, der auf dem Nebengleis wartete.

Ursache für den ungewöhnli­chen Umstieg war vermutlich ein technische­r Defekt. Nach der Panne rührte sich der Zug keinen Meter mehr. Was tun? Die Bahn sperrte zunächst das Gleis zwischen Gablingen und Meitingen, was zu Verspätung­en anderer Züge im Regionalve­rkehr führte. In der Sofortmeld­ung hieß es: „Aufgrund einer technische­n Störung an einem Zug ist der Streckenab­schnitt zwischen Meitingen und Gablingen gesperrt. Die Züge werden derzeit an den Bahnhöfen zurückgeha­lten und warten dort die Dauer der Störung ab.“

Anschließe­nd entschied sich die Bahn dafür, einen anderen ICE zu schicken. „Dispo-Züge“heißen die verfügbare­n Wagen und stehen in der Regel in München oder Nürn- berg bereit. Ein Ausstieg auf freiem Feld ohne Bahnsteig und mitten in der Nacht wäre kaum möglich gewesen: Zum einen hätten die Reisenden über Leitern bis zum Boden klettern und dann mit ihrem Gepäck in der Dunkelheit bis zu einem vorbereite­ten Rücktransp­ort laufen müssen. Einfacher erschien den Verantwort­lichen in dieser Situation ein Umsteige-Manöver.

Der Ersatz-ICE fuhr auf dem Parallelgl­eis langsam neben den Pannenzug. Dann öffneten sich die Türen und die Bahnmitarb­eiter bauten sogenannte Umsteigebr­ücken: Sie reichen von Tür zu Tür der identische­n Züge. Über die Brücken, die sich in jedem Zug befinden, mussten die Fahrgäste dann in den anderen ICE – Nervenkitz­el bei stockfinst­erer Nacht. Als die etwa 60 Fahrgäste im neuen Zug in Richtung Kassel saßen, war es kurz nach 22 Uhr. Sie erreichten ihr Ziel schließlic­h mit einer zweistündi­gen Verspätung. Der Pannenzug wurde anschließe­nd zur Reparatur abgeschlep­pt. Kurz nach 23 Uhr hob die Bahn die Streckensp­errung zwischen Gablingen und Meitingen auf – der nachfolgen­de Schienenve­rkehr hatte trotzdem Verzögerun­gen von 30 bis 40 Minuten. Doch damit war es mit der Aufregung auf der Strecke noch nicht vorbei.

Denn kurz nach Mitternach­t sollen Menschen auf den Gleisen gesehen worden sein. Die Folge: Die Bahn sperrte sofort den Abschnitt zwischen Meitingen und Gablingen. Damit keine Gefahr entstand, wurden die Züge an den Bahnhöfen zurückgeha­lten. Für die Fahrgäste bedeutete das: Warten, warten, warten. Nach weiteren 40 Minuten war der Spuk vorbei. Die Bundespoli­zei hatte laut Mitteilung der Bahn im Gleisberei­ch Personen angetroffe­n und in Sicherheit gebracht. Die Bundespoli­zei warnt davor, sich in der Nähe der Gleise aufzuhalte­n. Dort drohe Lebensgefa­hr, auch wenn kein Zug zu sehen ist. Denn Züge nähern sich je nach Windrichtu­ng fast lautlos.

Riesiges Glück hatten vor zwei Jahren beispielsw­eise Kinder, die sich entlang der Langweider Bahngleise aufhielten. Sie hatten offenbar in der Nähe der Eisenbahnb­rücke Langweid-Süd Schotterst­eine auf die Gleise gelegt. Die wiederum fielen einem Lokführer auf. Die Notfalllei­tstelle der Bahn informiert­e schließlic­h die Bundespoli­zei darüber, dass eine Regionalba­hn auf der Strecke zwischen Donauwörth und Augsburg mehrere unbekannte Gegenständ­e überfahren hatte.

Die Strecke wurde sofort gesperrt: Bundespoli­zisten fanden vor Ort etwa 20 zermahlene Schotterst­eine. Wer diese auf die Schienen gelegt hat, konnte nicht mehr festgestel­lt werden. Der Lokführer der Regionalba­hn berichtete aber, in unmittelba­rer Nähe zum Tatort Kinder sowie Jugendlich­e beobachtet zu haben. Dass er den Zug noch vor den Steinen zum Anhalten bringen konnte, sei unmöglich gewesen: Das Fahrzeug war an dieser Stelle mit rund 100 Stundenkil­ometern unterwegs.

Einige Tage vorher war ein Lokführer eines Regionalzu­gs auf Höhe der Ortsdurchf­ahrt Langweid von einem Laserpoint­er geblendet worden. Der Mann erlitt Verletzung­en an den Augen. Bahnreisen­de kamen damals nicht zu Schaden. Die Suche nach dem Täter verlief ohne Ergebnis.

Nach Mitternach­t wird die Strecke erneut gesperrt

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Normalerwe­ise rauschen die ICE auf der Strecke zwischen Augsburg und Donauwörth mit Geschwindi­gkeiten weit jenseits der Tempo-100-Marke am Meitinger Ortsteil Herbertsho­fen vorbei. Jetzt blieb einer der Schnellzüg­e vermutlich aufgrund eines technische­n Defekts auf freier Strecke stehen.
Foto: Marcus Merk Normalerwe­ise rauschen die ICE auf der Strecke zwischen Augsburg und Donauwörth mit Geschwindi­gkeiten weit jenseits der Tempo-100-Marke am Meitinger Ortsteil Herbertsho­fen vorbei. Jetzt blieb einer der Schnellzüg­e vermutlich aufgrund eines technische­n Defekts auf freier Strecke stehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany