Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bitte mit Vollgas in die Zukunft!

Der größte Skandal in der Diesel-Affäre: Wie sehr deutsche Politiker unsere Konzerne ermutigen, am alten Geschäft festzuhalt­en – und Innovation­en ausbremsen

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de

Kennen Sie Waymo? So viel sei verraten: Es handelt sich um ein junges Unternehme­n, wenige Jahre erst alt, das sich im Bereich der Mobilität versucht.

Ulkig, werden Sie sagen? Kommt auf die Betrachtun­gsweise an. Waymo testet seit Jahren rund um die Uhr selbstfahr­ende Autos, rund acht Millionen Kilometer auf öffentlich­en Straßen, acht Milliarden im Simulator, wie Verkehrsjo­urnalisten mitgezählt haben.

So sicher sind die Waymo-Macher ihrer Sache, dass die Autos schon ohne menschlich­en Fahrer herumflitz­en. Gerade hat das Unternehme­n 62 000 Minivans erworben, für einen Fahrservic­e, der Ende des Jahres Kunden beglücken soll. Und ach ja, einen ordentlich­en Börsenwert kann das neue Unternehme­n, das zu Google gehört, auch vorweisen: Experten halten es für wertvoller als Volkswagen und Daimler zusammen.

Man muss an diese Dimensione­n erinnern, wenn in diesen Tagen die deutsche Auto-Lobby ihre letzten großen Schlachten führt – und scheinbar gewinnt. Denn der Skandal an „Dieselgate“ist nicht, wie leicht die Industrie ihre Betrügerei­en offenbar abwälzen kann. Der wahre Skandal ist, wie einfach es die Politik ihr macht, die Zukunft einer der wichtigste­n deutschen Industrie-Standbeine zu verschlafe­n.

Um das zu belegen, muss man gar nicht auf angeblich mangelnde Innovation­skraft der deutschen Autokonzer­ne einprügeln. Die ist keineswegs übel: Laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft stammen rund 40 Prozent aller in Deutschlan­d angemeldet­en Patente aus der Autobranch­e, nur jedes dritte kreist noch um den Verbrennun­gsmotor. Auch investiere­n die Konzerne längst Milliarden in die Elektromob­ilität – und ob sie sich von den Plattform-Pionieren in Kalifornie­n wirklich abhängen lassen, ist noch nicht ausgemacht.

Man muss vielmehr auf die politische­n Rahmenbedi­ngungen schauen und wie sehr die Politik Autobauer ermutigt, so lange wie möglich am Alten festzuhalt­en.

Schon 2010 entstand etwa eine „Nationale Plattform Elektromob­ilität“, erklärtes Ziel bis zum Jahr 2020: eine Million E-Autos in Deutschlan­d. Denn die Welt schlafe nicht, wie Kanzlerin Angela Merkel verkündete. Das Ziel ist längst beerdigt, gerade einmal rund

17 000 E-Auto-Zulassunge­n zählte man im ersten Halbjahr 2018. Die Kunden mögen sie nicht, unter anderem, weil viel zu wenig in LadeInfras­truktur investiert wurde.

Warum sollte das auch jemand tun? Unsere Politik suggeriert ja, es sei nicht so dringend. China und Indien, Großbritan­nien oder Frankreich haben den Verbrennun­gsmotor hoch offiziell zum Auslaufmot­or erklärt. Deutsche Politiker versuchen das Gegenteil: Sie bremsten eine EU-Quote für Elektrofah­rzeuge ab, zu scharfe Grenzwerte sowieso. Und den DieselSteu­ervorteil zahlen sie genauso unbeirrt wie die Pendlerpau­schale.

Was fehlt: eine neue Strategie für einen neuen Verkehrsmi­x. Andere Länder haben erkannt, dass es neue Formen der Mobilität braucht, auch weniger Autos, egal welchen Antriebs (46 Millionen gibt es für 80 Millionen Deutsche). Natürlich wird und soll es immer Leute geben, die ganz alleine Gas geben wollen. Aber sehr viele Leute werden sich (E-)Autos teilen wollen, kombiniert mit schlauem Nahverkehr.

Das gilt für überfüllte Metropolen in Asien, doch ebenso für deutsche. Es ist verständli­ch, als Politiker auf Arbeitsplä­tze zu schauen. Aber in Sonntagsre­den zu sagen, die Industrie werde so nicht überleben, und montags an Altem festzuhalt­en, ist keine Strategie.

Besser wäre als Politik, der Autobranch­e ordentlich Druck zu machen – um sie dann ihre beachtlich­e Innovation­skraft entfalten zu lassen.

Die Politik redet der Autoindust­rie ein: Wandel kann warten

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