Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Das Märchen vom Märchenkönig
Bayerns Regent hatte nur seine Schlösser im Sinn? Von wegen. Das Münchner Architekturmuseum zeigt, wie sehr sich der Monarch um Bauten und bautechnische Neuerungen in ganz Bayern verdient gemacht hat
München Ludwig II. und die Architektur – wem würden da nicht sofort die Königsschlösser vor Augen stehen? Diese zu Ikonen gewordenen Bauten, die nicht nur weltweit für Bayern und Deutschland stehen, sondern auch steinerne Zeugen eines Monarchenlebens sind, um das sich wild der Mythos des Fantastischen und Weltfernen rankt? Neuschwanstein, Linderhof und Herrenchiemsee haben jedoch den Blick dafür verstellt, dass auch andere Zusammenhänge zwischen dem Bayernkönig und der Architektur bestehen – Beziehungslinien, denen das Architekturmuseum der Technischen Universität München nun in einer ebenso umfangreichen wie erhellenden Ausstellung nachgeht.
Ludwig, der 1864 gerade mal 18-jährig den Thron bestieg und 1886 unter bis heute nicht geklärten Umständen im Starnberger See zu Tode kam, hat in den 22 Jahren seiner Regentschaft nicht nur in München, sondern in ganz Bayern eine Vielzahl öffentlicher Bauten entweder angestoßen, gefördert oder zumindest mittelbar beeinflusst. Bahnhöfe, Brücken, Verwaltungsund Schulgebäude, Krankenhäuser und Kirchen, nicht zu vergessen den Wohnungsbau. Bayern unterlag damals vor allem durch die Industrialisierung einem tief greifenden strukturellen Wandel, und Ludwig II. war keineswegs so weltabgewandt, wie es das verkitschte Film- und Musical-Bild von ihm suggeriert. Im Gegenteil, er war aufgeschlossen für Neuerungen und interessierte sich insbesondere für die technischen Errungenschaften seiner Zeit.
So hat sich die Schau in der Pinakothek der Moderne die Bildkorrektur davon auf die Fahnen geschrieben, dass Ludwig in architektonischer Hinsicht nur seine Schlösser im Blick hatte. In zwölf Stationen zeigt die von Katrin Häusler kuratierte Schau einen Querschnitt des öffentlichen Bauens in Bayern im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Natürlich sind da eine Vielzahl von Plänen und Risszeichnungen zu sehen, das hat eine Architekturausstellung nun einmal so an sich. Doch ist durch Modelle – eines der schönsten ist das Hauberrisser-Rathaus in Kaufbeuren – sowie historische Fotografien ein hinreichendes Gegengewicht gesetzt, und die eigens in Auftrag gegebenen großformatigen Fotoaufnahmen von Ulrike Myrzik zeigen, was von den unter Ludwig errichteten Gebäuden heute noch erhalten ist. Diese aktuellen Bilder machen klar, wie die Architektur von einst trotz Kriegsverwüstungen bis heute das Gesicht bayerischer Städte prägt, darunter Augsburg mit seinen Textilindustrie-Bauten. Denn der König war nur oberste Instanz bei staatlichen Bauvorhaben, er machte seinen Einfluss in Architekturbelangen auch bei der Besetzung von BauratsPosten und Professuren geltend.
Natürlich stand München als Residenzstadt im Fokus. Der Aufstieg zur Kultur- und Wissenschaftsmetropole gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist in erheblichem Maße Ludwig II. zu verdanken, und dabei spielt auch die Architektur eine Rolle. Auf den König geht etwa die Gründung der Neuen Polytechnischen Schule zurück, die heutige Technische Uni – weshalb die jetzige Ausstellung zugleich ein Beitrag zur Feier des 150. Geburtstags dieser Institution ist. Gottfried von Neureuther schuf das heute nur noch in Resten erhaltene Hochschulgebäude seitlich der Alten Pinakothek als Flügelbau im damals jungen Stil der Neurenaissance. In derselben Manier und vom selben Architekten stammt auch die Akademie der Bildenden Künste unweit des Siegestors. Ein Herzensprojekt Ludwigs wurde hingegen nicht rea- das die künstlerischen Vorstellungen Richard Wagners aufgreifende Festspielhaus auf der Isarhöhe. Gottfried Semper hatte die Pläne dafür ausgearbeitet, doch die Umsetzung scheiterte am Widerstand des Hofs. Und so hat heute Dresden eine Semper-Oper, nicht aber München, ebenso wenig wie ein Wagner-Festspielhaus, das bekanntlich Bayreuth schmückt.
Aber nicht nur der Kunst und der Wissenschaft galt das Interesse des Königs, sondern auch dem Gewerbe und nicht zuletzt dem sozialen Bereich. Ludwigs Sozialgesetzgebung bewirkte den Neu- oder Ausbau von Krankenhäusern. Nach der Münchner Cholera-Epidemie von 1873 veranlasste er auch die Errichtung einer leistungsfähigen Kanalisation. Einige Jahre zuvor schon war Max von Pettenkofer in der Residenzstadt auf den ersten deutschen Lehrnicht stuhl für Hygiene berufen worden. So sehr die Ausstellung den Blick weitet für die verschiedenen Bauaufgaben in Bayern während der Epoche Ludwigs II. – ganz ohne die Schlösser geht es bei diesem König dann doch nicht. Und so hat man diesem Kapitel auch den mit Abstand größten Raum vorbehalten, freilich nicht ohne das Licht auf einige Besonderheiten dieser Architekturen zu lenken. Das betrifft vor allem die Funktion der drei Schlösser Neuschwanstein, Linderhof und Herrenchiemsee. In abgeschiedener Naturlage dienten sie nicht der Repräsentation, sondern ganz dem „imaginären Reisen“, dem Eintauchen des Monarchen in idealisierte und vergangene Welten. Ludwig folgte dabei keineswegs nur den Spuren Wagners zurück ins germanische Mythenreich. Auch die islamische Welt fand ihren Niederschlag in den Schlossarchitekturen, das zeigt nicht nur der Thronsaal in Neuschwanstein mit seinen Bezügen zur Istanbuler Hagia Sophia, sondern auch das im türkischen Stil auslisiert: geführte Obergeschoß des Schachen-Hauses – ganz zu schweigen von einer ganzen Reihe weiterer orientalisierender, jedoch nicht verwirklichter Projekte.
Dass Ludwig II. bloß ein weltverlorener „Märchenkönig“gewesen sei – zurecht wird darauf verwiesen, dass auch andere Regenten der Zeit in ihren Schlossbauten dem Eklektizismus frönten, man denke nur an die Hohenzollern-Burg –, das entlarvt die Münchner Ausstellung als Märchen. Und erlaubt sich am Ende als süffisanten Kommentar zur populären Vereinnahmung ein Pasticcio mit Ausschnitten aus diversen Ludwig-II.-Filmen – Szenen, wo es im Hintergrund von Karlheinz Böhm, Helmut Berger & Co. auch Architektur zu sehen gibt. Welche? Ganz überwiegend natürlich die Schlösser.
Die Schlösser waren nicht zur Repräsentation gedacht
OKönigsschlösser und Fabriken – Ludwig II. und die Architektur
Bis 13. Januar in der Pinakothek der Moderne, Di bis So von 10 bis 18 Uhr, Do bis 20 Uhr. Der Katalog kostet 39.95 ¤.