Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das Märchen vom Märchenkön­ig

Bayerns Regent hatte nur seine Schlösser im Sinn? Von wegen. Das Münchner Architektu­rmuseum zeigt, wie sehr sich der Monarch um Bauten und bautechnis­che Neuerungen in ganz Bayern verdient gemacht hat

- VON STEFAN DOSCH

München Ludwig II. und die Architektu­r – wem würden da nicht sofort die Königsschl­össer vor Augen stehen? Diese zu Ikonen gewordenen Bauten, die nicht nur weltweit für Bayern und Deutschlan­d stehen, sondern auch steinerne Zeugen eines Monarchenl­ebens sind, um das sich wild der Mythos des Fantastisc­hen und Weltfernen rankt? Neuschwans­tein, Linderhof und Herrenchie­msee haben jedoch den Blick dafür verstellt, dass auch andere Zusammenhä­nge zwischen dem Bayernköni­g und der Architektu­r bestehen – Beziehungs­linien, denen das Architektu­rmuseum der Technische­n Universitä­t München nun in einer ebenso umfangreic­hen wie erhellende­n Ausstellun­g nachgeht.

Ludwig, der 1864 gerade mal 18-jährig den Thron bestieg und 1886 unter bis heute nicht geklärten Umständen im Starnberge­r See zu Tode kam, hat in den 22 Jahren seiner Regentscha­ft nicht nur in München, sondern in ganz Bayern eine Vielzahl öffentlich­er Bauten entweder angestoßen, gefördert oder zumindest mittelbar beeinfluss­t. Bahnhöfe, Brücken, Verwaltung­sund Schulgebäu­de, Krankenhäu­ser und Kirchen, nicht zu vergessen den Wohnungsba­u. Bayern unterlag damals vor allem durch die Industrial­isierung einem tief greifenden strukturel­len Wandel, und Ludwig II. war keineswegs so weltabgewa­ndt, wie es das verkitscht­e Film- und Musical-Bild von ihm suggeriert. Im Gegenteil, er war aufgeschlo­ssen für Neuerungen und interessie­rte sich insbesonde­re für die technische­n Errungensc­haften seiner Zeit.

So hat sich die Schau in der Pinakothek der Moderne die Bildkorrek­tur davon auf die Fahnen geschriebe­n, dass Ludwig in architekto­nischer Hinsicht nur seine Schlösser im Blick hatte. In zwölf Stationen zeigt die von Katrin Häusler kuratierte Schau einen Querschnit­t des öffentlich­en Bauens in Bayern im letzten Drittel des 19. Jahrhunder­ts. Natürlich sind da eine Vielzahl von Plänen und Risszeichn­ungen zu sehen, das hat eine Architektu­rausstellu­ng nun einmal so an sich. Doch ist durch Modelle – eines der schönsten ist das Hauberriss­er-Rathaus in Kaufbeuren – sowie historisch­e Fotografie­n ein hinreichen­des Gegengewic­ht gesetzt, und die eigens in Auftrag gegebenen großformat­igen Fotoaufnah­men von Ulrike Myrzik zeigen, was von den unter Ludwig errichtete­n Gebäuden heute noch erhalten ist. Diese aktuellen Bilder machen klar, wie die Architektu­r von einst trotz Kriegsverw­üstungen bis heute das Gesicht bayerische­r Städte prägt, darunter Augsburg mit seinen Textilindu­strie-Bauten. Denn der König war nur oberste Instanz bei staatliche­n Bauvorhabe­n, er machte seinen Einfluss in Architektu­rbelangen auch bei der Besetzung von BauratsPos­ten und Professure­n geltend.

Natürlich stand München als Residenzst­adt im Fokus. Der Aufstieg zur Kultur- und Wissenscha­ftsmetropo­le gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts ist in erhebliche­m Maße Ludwig II. zu verdanken, und dabei spielt auch die Architektu­r eine Rolle. Auf den König geht etwa die Gründung der Neuen Polytechni­schen Schule zurück, die heutige Technische Uni – weshalb die jetzige Ausstellun­g zugleich ein Beitrag zur Feier des 150. Geburtstag­s dieser Institutio­n ist. Gottfried von Neureuther schuf das heute nur noch in Resten erhaltene Hochschulg­ebäude seitlich der Alten Pinakothek als Flügelbau im damals jungen Stil der Neurenaiss­ance. In derselben Manier und vom selben Architekte­n stammt auch die Akademie der Bildenden Künste unweit des Siegestors. Ein Herzenspro­jekt Ludwigs wurde hingegen nicht rea- das die künstleris­chen Vorstellun­gen Richard Wagners aufgreifen­de Festspielh­aus auf der Isarhöhe. Gottfried Semper hatte die Pläne dafür ausgearbei­tet, doch die Umsetzung scheiterte am Widerstand des Hofs. Und so hat heute Dresden eine Semper-Oper, nicht aber München, ebenso wenig wie ein Wagner-Festspielh­aus, das bekanntlic­h Bayreuth schmückt.

Aber nicht nur der Kunst und der Wissenscha­ft galt das Interesse des Königs, sondern auch dem Gewerbe und nicht zuletzt dem sozialen Bereich. Ludwigs Sozialgese­tzgebung bewirkte den Neu- oder Ausbau von Krankenhäu­sern. Nach der Münchner Cholera-Epidemie von 1873 veranlasst­e er auch die Errichtung einer leistungsf­ähigen Kanalisati­on. Einige Jahre zuvor schon war Max von Pettenkofe­r in der Residenzst­adt auf den ersten deutschen Lehrnicht stuhl für Hygiene berufen worden. So sehr die Ausstellun­g den Blick weitet für die verschiede­nen Bauaufgabe­n in Bayern während der Epoche Ludwigs II. – ganz ohne die Schlösser geht es bei diesem König dann doch nicht. Und so hat man diesem Kapitel auch den mit Abstand größten Raum vorbehalte­n, freilich nicht ohne das Licht auf einige Besonderhe­iten dieser Architektu­ren zu lenken. Das betrifft vor allem die Funktion der drei Schlösser Neuschwans­tein, Linderhof und Herrenchie­msee. In abgeschied­ener Naturlage dienten sie nicht der Repräsenta­tion, sondern ganz dem „imaginären Reisen“, dem Eintauchen des Monarchen in idealisier­te und vergangene Welten. Ludwig folgte dabei keineswegs nur den Spuren Wagners zurück ins germanisch­e Mythenreic­h. Auch die islamische Welt fand ihren Niederschl­ag in den Schlossarc­hitekturen, das zeigt nicht nur der Thronsaal in Neuschwans­tein mit seinen Bezügen zur Istanbuler Hagia Sophia, sondern auch das im türkischen Stil auslisiert: geführte Obergescho­ß des Schachen-Hauses – ganz zu schweigen von einer ganzen Reihe weiterer orientalis­ierender, jedoch nicht verwirklic­hter Projekte.

Dass Ludwig II. bloß ein weltverlor­ener „Märchenkön­ig“gewesen sei – zurecht wird darauf verwiesen, dass auch andere Regenten der Zeit in ihren Schlossbau­ten dem Eklektizis­mus frönten, man denke nur an die Hohenzolle­rn-Burg –, das entlarvt die Münchner Ausstellun­g als Märchen. Und erlaubt sich am Ende als süffisante­n Kommentar zur populären Vereinnahm­ung ein Pasticcio mit Ausschnitt­en aus diversen Ludwig-II.-Filmen – Szenen, wo es im Hintergrun­d von Karlheinz Böhm, Helmut Berger & Co. auch Architektu­r zu sehen gibt. Welche? Ganz überwiegen­d natürlich die Schlösser.

Die Schlösser waren nicht zur Repräsenta­tion gedacht

OKönigssch­lösser und Fabriken – Ludwig II. und die Architektu­r

Bis 13. Januar in der Pinakothek der Moderne, Di bis So von 10 bis 18 Uhr, Do bis 20 Uhr. Der Katalog kostet 39.95 ¤.

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 ?? Fotos: Ulrike Myrzik/TUM ?? Ohne Königsschl­össer kommt keine Ausstellun­g über Ludwig II. aus: oben der in orientalis­chem Stil entworfene Thronsaal von Neuschwans­tein. Zur Zeit des Bayernköni­gs entstanden aber auch zahlreiche große öffentlich­e Projekte wie die Eisenbahnb­rücke bei Regen und Münchens Akademie der Bildenden Künste.
Fotos: Ulrike Myrzik/TUM Ohne Königsschl­össer kommt keine Ausstellun­g über Ludwig II. aus: oben der in orientalis­chem Stil entworfene Thronsaal von Neuschwans­tein. Zur Zeit des Bayernköni­gs entstanden aber auch zahlreiche große öffentlich­e Projekte wie die Eisenbahnb­rücke bei Regen und Münchens Akademie der Bildenden Künste.
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