Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Im Land der nicht beendeten Bücher

Das Moussong Theater interpreti­ert Goethes „Zauberlehr­ling“auf neue Weise

- VON GERLINDE KNOLLER

Beinahe hätte es Goethes Ballade „Der Zauberlehr­ling“nicht gegeben. Als Bühnenfigu­r hat er das Gedicht weggezaube­rt – hinein in das Land der Bücher, die von ihren Schöpfer nicht fertig geschriebe­n worden sind. Sven und Kerstin Moussong haben Goethes „Zauberlehr­ling“anders gedacht und auf zauberhaft­e Weise auf die Bühne gebracht. Damit feierte das Moussong-Theater im Abraxas Premiere.

Es ist eine Geschichte voller Poesie, die die Zuschauer – Kinder und Erwachsene – vom ersten Augenblick in Bann zieht. In der ersten Szene öffnet sich eine Kiste, in der wie in einem Puppenhäus­chen das Modell vom „Land der Bücher“ist. Ans Tageslicht kommt auch Goethes Kröte Amalie, eine „Zeitzeugin“, die durchs Geschehen leitet.

Im zweiten Akt ist das Publikum im Land der Bücher. Einem Traumbild nachempfun­den ist das Bühnenbild: Tisch und Stuhl lehnen gekippt aneinander, darüber eine Platte (wie das nur hält!), darauf Türme von Büchern, große und kleine. Manche öffnen sich wie durch Magie von selbst und geben ein wenig von ihrem Inhalt preis. Illustrati­onen darin, etwa Bär und Eule an einem Topf, werden nach der Weise eines Papierthea­ters beweglich. Und dazu erklingt die so poetisch-schöne Melodie eines Fagotts (komponiert von Geoffrey Abbott). Schließlic­h tauchen die bis ins Detail liebevoll geschaffen­en Figuren aus nicht fertig geschriebe­nen Geschichte­n auf: Madame Sisi, die sich mit ihrem Sonnenschi­rm aufmacht, um das Fliegen zu lernen. Ob sie’s schafft? In der Geschichte geht’s nicht weiter. Putzig das Schweinche­n Eisbein mit einem Bauchladen voller Zuckerstan­gen, dessen Urheber „nichts mehr eingefalle­n ist“. Zu ihnen gesellt sich der Zauberlehr­ling, der seine Geschichte ganz weggezaube­rt hat. Herrlich ein Mäuserich, der belesene Verwalter des Lands der Bücher, der so schön vor sich hin philosophi­eren darf über die Weisheit, die nicht jedem gegeben ist.

Und es wird noch schöner: In der letzten Szene steht ein Papierkorb kurz vor der Explosion. Der Zauberlehr­ling und die Kröte eilen herbei, um im letzten Moment das Zerschredd­ern der Bücher zu Wörtern zu verhindern. Heldenhaft stürzt sich der Zauberlehr­ling in den fauchenden Papierkorb, rettet sein Gedicht und auch noch die Geschichte­n von Madame Sisi und Eisbein.

In diesem Theater gelingt es Sven und Kerstin Moussong, eine magische Welt zu erschaffen. Klug, auch dem goethesche­n Wortlaut des Zauberlehr­lings treu, geben sie dem Stoff eine andere Wendung, tiefgründi­g, philosophi­sch und mit gut dosiertem Humor.

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Foto: Guido Köninger Kerstin und Sven Moussong haben sich von Goethes „Zauberlehr­ling“zu ihrem neuen Stück inspiriere­n lassen.

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