Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der Schiedsrichter und die Zuschauer
Über Pöbeleien, Aggressionen und Besserwisserei auf dem Fußballplatz und in der Handball-Halle und wie die Unparteiischen damit zurechtkommen
Landkreis Gleichgültig, ob im Fußballstadion oder in der HandballHalle – in den Sportstätten fallen ganz schnell soziale Hemmungen. Und nicht nur in den großen Arenen der Republik – nein, sehr häufig auch auf dem Sportplatz beim kleinen Amateurverein im Landkreis. Bisweilen ist die Dezibelzahl so hoch, dass Platzordner einen Störenfried von der Anlage verweisen müssen. Dabei sind Zwischenrufe wie „Pfui!“oder „Brotzeitschiri“noch humane Beispiele aus dem Beleidigungsvokabular. Schreit jemand jedoch „Schwarze Sau!“oder „Du Arsch!“, liegt dies deutlich unter der Gürtellinie.
„Brotzeitschiri“– diesen Begriff hat auch Markus Rackl erst kürzlich während der Partie TSV Gersthofen gegen den TSV Hollenbach gehört. „Komisch. Die Spieler waren absolut nicht unzufrieden, nur ein paar Zuschauer“, sagt der 27-Jährige, der seit elf Jahren für den VfL Westendorf pfeift. Er selbst bezeichnet sich als abgehärtet. „Ich höre entweder weg oder schmunzle.“Wobei einem das sofort negativ ausgelegt werden kann. „Da heißt es dann gleich: Brauchst gar nicht so blöd grinsen, du arroganter Sack!“Dass Schiedsrichter oft von Zuschauern angepöbelt werden, sieht Markus Rackl auch als Grund für fehlenden Nachwuchs in der Zunft. „Es ist nicht die dankbarste Aufgabe.“Sollte er selber einmal in eine Situation kommen, wo er bedroht oder angegriffen wird, würde er sofort aufhören. „Darauf habe ich keine Lust.“Doch das sei bisher noch nicht vorgekommen. Könnte vielleicht auch daran liegen, dass Rackl selber viele Jahre lang Fußball gespielt hat. „Das ist für den direkten Kontakt mit den Spielern wirklich nicht schlecht.“
Für Ulrich Reiner, den Obmann der Schiedsrichtergruppe Donau, ist die Hemmschwelle des Respekts in den vergangenen Jahren tief gesun- Was mitunter auf den Fußballplätzen passiert, sei nichts anderes als ein Spiegelbild der Gesellschaft. Nicht nur Schiedsrichter müssten sich Pöbeleien gefallen lassen, betroffen seien sogar Einsatzkräfte wie Feuerwehr oder Polizei. Damit beim Thema Fan-Zoff kein falsches Bild entsteht, betont Reiner, dass mindestens 95 Prozent der Spiele in seinem Fußballkreis ohne große Aggressionen verlaufen. Dass von den 60 bis 80 Zuschauern, die zum Beispiel ein Kreisklassenspiel verfolgen, eine große Mehrzahl der Fans die Begegnung durch die Vereinsbrille betrachten, dafür hat er volles Verständnis. „Wenn ich nicht selbst pfeife und mir ein Spiel des TSV Bissingen anschaue, dann sympathisiere ich auch mit meinem Heimatverein“, gibt er unumwunden zu. Anfeindungen gegenüber seinen Schiedsrichterkollegen kann er aber nicht akzeptieren, wenngleich Reiner eingesteht, dass Schiedsrichter auf dem Platz natürlich auch Fehler machen. Mit dem Unterschied, dass die Referees oft beschimpft werden, Spieler, die sich Fehler leisten, von den Zuschauern aber von verbalen Unmutsäußerungen verschont bleiben.
Zufälligerweise war Ulrich Reiner Augenzeuge einer A-Klassen-Begegnung im Landkreis, die
vom ehema- ligen Bayernliga-Schiedsrichter Peter Karmann aus Wertingen geleitet wurde. Für den 28-Jährigen war diese Partie ein wahres Spießrutenlaufen. „Ich bin von der ersten Minute immer wieder beleidigt worden“, seufzt Karmann. Ein Fan der Gastgeber sei total ausgeflippt. Was ihm da alles widerfahren sei, würde ein 18-Jähriger wohl nicht aushalten. Dass Zuschauer beim Fußball ihren Emotionen freien Lauf lassen, dagegen habe er nichts einzuwenden. „Emotionen gehören einfach dazu“, weiß er aus seiner langjährigen Tätigkeit als Hobby-Schiedsrichter. Bei Beleidigungen hört aber der Spaß auf.
Das sieht auch der langjährige Bezirksliga-Schiedsrichter Otmar Ohnheiser so. Auch er habe sich während seiner aktiven Zeit bei manchem Spiel einiges anhören müssen. „Es gibt Zuschauer, die ganz gezielt gegen den Schiedsrichter sind, wenn es für die eigene Mannschaft nicht läuft“, weiß der 67-Jährige aus Villenbach aus vielen Beobachtungen. Dass ein Unparteiischer auch Kritik aushalten muss, ist für Ohnheiser keine Frage. „Es muss aber alles im Rahmen bleiben“, appelliert er an die Fairness der Zuschauer. „Viel sehen – wenig hören“, dieses Motto gilt nicht nur bei so manchem Fußball-Referee, auch Hermann Schwenger beherzigt diesen Leitsatz, wenn er als 78-Jähriger gelegentlich noch Handballspiele der Landesliga-Jugend leitet. Schwenger wohnt in Diedorf im Landkreis Augsburg. Er ist seit 21 Jahren Schiedsrichter-Obmann in Schwaben und weiß, welche Nerken. ven seine Kollegen benötigen, wenn sie Spiele vor vollen Rängen pfeifen. Je größer der Lärmpegel sei, desto weniger bekomme man Unmutsäußerungen seitens der Zuschauer gegenüber den Schiedsrichtern mit.
Jugendspiele seien in der Regel nicht so gut besucht wie Spiele bei den Erwachsenen in der Landesoder Bezirksoberliga. Doch gerade beim Nachwuchs flippen manche, die auf der Tribüne sitzen, besonders aus. In der Saison 2016/2017 kam es bei einem Spiel der weiblichen C-Jugend im Kreis Donau zu einem Eklat. Eine Spielerin, die nach einem groben Foul vom Schiedsrichter die Rote Karte zu sehen bekam, wusste nicht, was ihr geschah. Plötzlich lief die Mutter der Gefoulten auf den Platz und schlug auf sie ein.
Es muss nicht immer gleich ein Vorfall wie dieser sein, wenn junge Schiedsrichter nach wenigen Monaten mit dem Pfeifen wieder aufhören. „Manche kommen mit Kritik und Beleidigungen einfach nicht klar und lassen es wieder sein“, bedauert Hermann Schwenger. Doch inzwischen hat man vorgesorgt und den Nachwuchs-Schiedsrichtern (ab 14 Jahre) einen sogenannten „Technischen Delegierten“zur Seite gestellt. Mit Erfolg: Die Ausstiegsrate der Jungschiedsrichter beim Handball habe sich laut Schwenger in den letzten drei Jahren von ungefähr 80 Prozent auf 20 Prozent reduziert.
Die Kernfrage aber bleibt: Warum geraten manche Menschen außer Rand und Band, wenn es um Fußball oder Handball geht? Auch Otmar Ohnheiser hat darauf keine Antwort. Er wundert sich, dass manchmal selbst Leute, die im öffentlichen Leben stehen oder in der freien Wirtschaft einen Führungsposten innehaben, ihren Emotionen bisweilen mehr freien Lauf lassen, als es angebracht wäre.