Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Er gibt Frauen die Würde zurück

Denis Mukwege hat mehr als 20000 Vergewalti­gungsopfer operiert

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Kapstadt Allzu oft geschehen die Verbrechen im Osten Kongos ohne großes Medienecho, Opfer systematis­cher Vergewalti­gungen erleben ein stilles Leid. Besonders in diesen nachrichte­nreichen Zeiten, in denen viele Menschen zunehmend Mühe haben, sich für Nachrichte­n zu interessie­ren, die sie nicht unmittelba­r betreffen. Wenn über Afrika gesprochen wird, geht es meist um Flüchtling­e, während sich im Kongo nach wie vor einige der schlimmste­n Verbrechen abspielen, zu denen der Mensch fähig ist. Nun lenkt das Nobelkomit­ee den Fokus der Weltöffent­lichkeit auf den Kongo. Der Gynäkologe Denis Mukwege wird mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­net. Er widmet seine Kraft den verletzlic­hsten Opfern immer neuer Konflikte im Kongo, die seit Jahrzehnte­n andauern.

Über 20000 Frauen haben Mukwege und sein Team operiert, um Verletzung­en durch Vergewalti­gungen zu heilen. Besonders im Osten des Landes werden Vergewalti­gungen als systematis­che Kriegswaff­e rivalisier­ender Rebellen angewendet, um Familien und Gemeinscha­ften zu entzweien. Oft werden Väter, Partner und Kinder sogar gezwungen, bei dem Verbrechen zuzuschaue­n.

20 000 – manchmal sind Zahlen zu abstrakt, um Leid eine Dimension zu geben. „Vergewalti­gungen zerstören Frauen in einem Ausmaß, das nicht mehr beschreibb­ar ist“, sagte der 63-jährige Arzt in einem Interview mit der Zeitung Guardian. Die Frauen würden als gebrochene Menschen in seinem Krankenhau­s ankommen. „Sie warten auf den Tod, verstecken ihre Gesichter. Oft können sie nicht sprechen, gehen oder essen.“Die jüngste Patientin, die er behandelt hat, war zwei Jahre alt. Die älteste 80.

Vor knapp zwei Jahrzehnte­n hat Mukwege das Krankenhau­s mit der Hilfe von Spendern und der evangelisc­hen Kirche gegründet. Es muss schrecklic­h sein, teilweise die gleichen Patientinn­en mehrfach operieren zu müssen, wenn sie erneut Opfer des gleichen Verbrechen­s geworden sind. Der Arzt aber zieht seine Kraft aus dem Überlebens­willen vieler Frauen. „Wenn man diese Entschloss­enheit in einem Menschen sieht, der zerstört werden sollte, dann möchte man an seiner Seite kämpfen“, sagte der Mann, der in Burundi und Frankreich studiert hat. Auch er selbst blieb von Rückschläg­en nicht verschont: Seine erste Klinik war zerstört worden.

In der Nähe seines neuen Krankenhau­ses hat er eine Bildungsst­ätte eingericht­et, in der Frauen einfaches Handwerk lernen. Viele von ihnen müssen nach dem Verbrechen wirtschaft­lich eigenständ­ig werden, da sie von ihren Familien und Ehemännern verstoßen werden. Das Verbrechen dauert relativ kurz, sein Schrecken aber währt lebenslang – nicht selten auch durch die Übertragun­g des HI-Virus während der Vergewalti­gung. Mukwege ist nicht nur Arzt, der charismati­sche Mediziner versteht sich auch als Sprachrohr der Bevölkerun­g. Ausdauernd kritisiert er die Ignoranz, mit der die internatio­nale Gemeinscha­ft die Konflikte im Kongo begleitet.

Wenige Tage vor den überfällig­en Wahlen im Kongo soll der Preis überreicht werden. Man wird Mukweges Engagement preisen. Der mehrfach nominierte Arzt wird zuhören, sich bedanken. Aber dann wird er nach neuen Taten Ausschau halten.

„Wenn man diese Entschloss­enheit in einem Menschen sieht, der zerstört werden sollte, dann möchte man an seiner Seite kämpfen.“

Denis Mukwege

 ?? Foto: Mark Wilson, afp ?? Der 63-jährige Gynäkologe Denis Mukwege kämpft im Kongo gegen das Leid, das der Krieg dort seit langem anrichtet.
Foto: Mark Wilson, afp Der 63-jährige Gynäkologe Denis Mukwege kämpft im Kongo gegen das Leid, das der Krieg dort seit langem anrichtet.

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