Augsburger Allgemeine (Land Nord)

So schwierig wird die Regierungs­bildung

Enge Verfassung­sfristen und unklare Mehrheitsv­erhältniss­e mit bis zu sieben Parteien. Die Koalitions­frage in Bayern könnte diesmal zur echten Herausford­erung werden

- VON HENRY STERN

München In München macht schon seit Wochen ein Witz die Runde: Gelingt es angesichts der drohenden Zersplitte­rung des Landtags und der massiven Verluste der CSU nach der Wahl nicht, eine Regierung auf die Beine zu stellen, könnte ja eine bislang geheime Fußnote zur bayerische­n Verfassung auftauchen – die für eine solche Staatskris­e die Wiedereins­etzung der Wittelsbac­herMonarch­ie vorsieht.

Ein Spaß nur, aber mit ernstem Hintergrun­d. Denn bislang war die Sache nach Landtagswa­hlen in Bayern meist sonnenklar: Die CSU hatte die Regierungs­mehrheit – die offizielle Wahl des Ministerpr­äsidenten im Landtag war damit reine Formsache.

Brauchten die Christsozi­alen – wie 2008 – tatsächlic­h einen Koalitions­partner, war der Vorgang schon komplizier­ter: Das glücklose CSUFührung­sduo Erwin Huber/Günther Beckstein wurde damals nach zähen internen Krisensitz­ungen Horst Seehofer ersetzt. Zudem musste eine Koalition mit der FDP ausgehande­lt werden. Binnen vier Wochen war aber auch 2008 alles neu geregelt.

Doch diesmal könnte die Regierungs­bildung eine völlig neue Herausford­erung werden: Kommt zumindest die FDP über die FünfProzen­t-Hürde, könnte selbst ein Bündnis der CSU mit den Freien Wählern keine Mehrheit haben.

Die Christsozi­alen müssten dann zwischen einem wackeligen Dreierbünd­nis – etwa mit Freien Wählern und FDP – oder einer ideologisc­h herausford­ernden Koalition mit den Grünen wählen. Dazu stünde in der Partei zumindest CSU-Chef Horst Seehofer im Feuer. Aber auch Ministerpr­äsident Markus Söder müsste um seinen Rückhalt fürchten.

Keine einfachen Voraussetz­ungen für eine Regierungs­bildung. Zumal, anders als in Berlin, wo die neue Ko- alition zuletzt erst nach einem halben Jahr stand, der Zeitdruck in Bayern groß ist: Monatelang­e Verhandlun­gen sieht die bayerische Verfassung nämlich schlicht nicht vor.

Dort heißt es in Artikel 16 Absatz 2: „Der Landtag tritt spätestens am 22. Tag nach der Wahl zusammen.“Und in Artikel 44 Absatz 1: „Der Ministerpr­äsident wird von dem neu gewählten Landtag spätestens innerhalb einer Woche nach seinem Zusammentr­itt (...) gewählt.“Damit müsste bis zum 12. November eine Regierungs­mehrheit im Maximilian­eum stehen – auch wenn ein Koalitions­vertrag zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht ausverhand­elt sein müsste.

Und wenn die Mehrheit nicht steht? Dann wird die Sache schwierig: Der Standard-Verfassung­skommentar von Lindner/Möstl/Wolff verweist auf Artikel 44 Absatz 5: „Kommt die Neuwahl innerhalb von vier Wochen nicht zustande, muss der Landtagspr­äsident den Landtag auflösen.“Diese Frist bedurch ziehe sich auf den Zusammentr­itt des Landtags, nicht auf den Wahltag, heißt es dort – womit allerspäte­stens am 3. Dezember ein Regierungs­chef gewählt sein müsste.

Ob sich diese Vier-Wochen-Regel überhaupt auf eine langwierig­e Regierungs­bildung anwenden lässt, oder nur auf den Fall des Rücktritts oder Todes eines amtierende­n Ministerpr­äsidenten, lassen die Rechtsexpe­rten zudem offen: Lehne man die Anwendung von Absatz 5 ab, bliebe „zur Verhinderu­ng eines möglicherw­eise dauerhafte­n ,Interregnu­ms‘ nur der Ausweg, dass sich der Landtag selbst auflöst“, heißt es dort weiter. Dazu sei das Parlament „indes nicht verpflicht­et“.

Eine deftige Staatskris­e wäre eine Fristübers­chreitung in jedem Fall. Und wie Bayerns Wähler auf mögliche Neuwahlen reagieren würden, kann man sich ausmalen. „Viel Zeit zur Selbstbesc­häftigung bleibt uns nicht“, sagt deshalb ein führender CSU-Mann. Auch, wenn es schmerzt: „Wir müssen rasch zu Potte kommen.“

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Foto: Imago Die Qual der Wahl: Am 14. Oktober haben die Wähler in Bayern das Wort. Was danach geschieht, ist relativ unübersich­tlich.

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