Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Deutschland ist im Rausch
Twitter und Co. dauerbeschallte Bürger, der nichts verpassen will, die Ereignisse nach dem Wert der Unterhaltung und nicht nach dem Wahrheitsgehalt.
Wer will es geißeln, wenn bei abhandengekommener Urteilskraft die Kochshow im TV und der kollektive Shitstorm als ebenso bedeutend eingeschätzt werden wie Demonstrationen gegen die Abholzung uralter Waldbestände und die Hetze wider deutsche Migrationspolitik? Ist Deutschland noch zu retten von dieser Massenhysterie? Auffallend ist, dass die ekstatischen Wellen der Vergangenheit eine andere Güte hatten. Genügten früher ein LSDTrip, ein Sportfest oder ein Rockkonzert für zeitweisen Kontrollverlust, herrscht heute ein Dauerzustand des Außer-sich-Seins. Deutschland ist im Rausch. Wir haben es nur noch nicht gemerkt. Oder doch?
In Stuttgart ist man dem Phänomen schon auf der Spur: „Ekstasen sind so alt wie die Menschheit“, sagt Ulrike Groos, Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart. Und ebenso lange setzen sich schon Künstler mit dem Phänomen auseinander, das sich durch alle Kulturkreise und Zeiten zieht und dabei kontroverse Bewertungen erhält – von Verlangen bis Ablehnung. In der Ausstellung „Ekstase“im Kunstmuseum Stuttgart, die Groos gemeinsam mit Anne Vieth und dem freien Berliner Kurator Markus Müller konzipiert hat, zeigen über 230 Werke von der Antike bis heute, wie sich in der Kunst jenes Hochgefühl niederschlägt, für das Men- schen über mentale und physische Grenzen hinausgehen, um einen anderen Bereich der Wahrnehmung zu erleben. Das reicht vom antiken Kult des Dionysos, dem Gott des Weins und des Rauschs, über religiösen Taumel und Schamanismus, Gefühlswallungen beim Sport und in völliger Erschöpfung gipfelnden Tanz-Ekstasen bis zum Drogenund Liebesrausch.
So inszeniert die US-Fotografin Eleanor Antin in ihrem „Triumph of Pan“ein ekstatisches Trinkgelage mit Pan und Gefolge und erregten Blicken (Bild oben). Lautes Feiern in der Natur und zur Schau gestellte Nacktheit bei Lovis Corinth und Pablo Picasso stehen im Gegensatz zur konservativen Welt, die Ausnahmezustände als Bedrohung empfindet. Nachvollziehbar demonstriert die gelungene Schau in einem sakral anmutenden Saal auch die Vorstellung der Verschmelzung von Gott und Mensch, wie sie Gian Lorenzo Bernini mit seiner Theresa von Ávila darstellt, hier in Gipsabdruck des Gesichts und Rötelzeichnung. Verraten bei dieser Heiligen die Körperhaltung, die geschlossenen Augen und der geöffnete Mund,