Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Auch ein Buch hat nicht nur innere Werte

Welche Bedeutung haben Cover, wie wirken sie auf uns – und warum unterschei­den sie sich internatio­nal so? Eine Erkundung / Von Lea Thies

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Beginnen wir einfach am Tatort, also dort, wo es tagtäglich passiert. Etwa am Büchertisc­h in Ihrer Lieblingsb­uchhandlun­g. 20 bis 30 Bücher darauf, Sie davor. Ihr Blick fliegt drüber und Sie greifen zu einem Titel. Er hat Sie gepackt, Ihr Unterbewus­stsein erreicht, Ihr Interesse geweckt – kein Zufall. Sie wurden manipulier­t. Damit genau das passiert und ein Titel aus der Masse der Neuerschei­nungen herausstic­ht, machen sich Menschen aus der Buchbranch­e viele Gedanken. „Jedes halbe Jahr werden Buchcover noch wichtiger“, sagt Britta Egetemeier, Programm-Chefin des Penguin Verlags. Aber zu ihr später.

Erst einmal geht es zu Johannes Wiebel nach München-Haidhausen. „(Don’t) judge a book by it’s cover“steht groß auf seiner Homepage. Die eigentlich­e englische Redewendun­g bedeutet, dass es auf die inneren Werte ankommt. Der Diplom-Designer Wiebel hat eine Klammer zugefügt, denn in der Buchwelt, wo es häufig auf den ersten Eindruck ankommt, zählen nun einmal auch Äußerlichk­eiten. Welche Macht Buchcover haben, hat der Inhaber der Grafikagen­tur „punchdesig­n“in den vergangene­n Jahren erfahren. 2012 bekam er vom Eichborn-Verlag den Auftrag, das Cover für das Erstlingsw­erk eines unbekannte­n deutschen Autors zu gestalten. Er wusste nicht viel über das Buch, nur dass es um Hitler geht, der plötzlich wiederaufe­rstanden ist.

„Mir war nicht bewusst, dass das so ein großes Ding werden würde“, sagt Wiebel. Dass dem so ist, hat auch mit seiner Arbeit zu tun. Wiebel entwarf das erfolgreic­hste Cover der letzten Jahre. Der Umschlag stach in seiner reduzierte­n SchwarzWei­ß-Anmutung auf den Büchertisc­hen hervor. Die Optik mit dem Titel als Hitlerbart war provokativ und verriet etwas über den Inhalt, ohne zu viel vorwegzune­hmen. Er überrascht­e und weckte Interesse – und es funktionie­rte internatio­nal. „Das hat mich auch verblüfft“, sagt er. In 43 Ländern erschien „Er ist wieder da“von Timur Vermes – und in allen 43 Ländern wurde Wiebels Cover mit dem stilisiert­en Hitlerkopf verwendet. Sogar in Israel, wenngleich sich dort die großen Verlage nicht an den Hitler-Titel samt Satire heranwagte­n, bloß der Ein-Mann-Verlag von Rotem Sella. Aus dem Kofferraum seines Autos heraus verteilte er die ersten Bücher an Buchhandlu­ngen. Aber das ist eine andere Geschichte.

„Das war sicher eine Once-ina-Lifetime-Sache, das werde ich nicht noch einmal erleben“, ist sich Wiebel nach dem Mega-Erfolg seines Covers sicher, das dann sogar noch als Filmplakat verwendet wurde. Normalerwe­ise ist es so: Ein Verlag kauft eine Buchlizenz und passt das Aussehen dann an die Sehgewohnh­eiten seines Marktes an. So ist es auch bei den Dan Brown Thrillern, dessen Cover Wiebel für Bastei Lübbe gestaltet – übrigens ist dann alles Top Secret, er erfährt nichts über den Inhalt, darf nichts mailen, zu groß die Angst, dass das Manuskript gestohlen wird. Aber auch das: andere Geschichte.

Internatio­nal sehen Buchcover also unterschie­dlich aus. Französisc­he: häufig altmodisch­er, nüchterner gestaltet, weniger plakativ und nicht experiment­ell. „Da wird nicht ausprobier­t, das ist ein sehr intellektu­eller Markt“, sagt der Berliner Autor und Journalist Hans von Trotha, der zehn Jahre lang den Nicolai-Verlag geleitet und sich mit Coverdesig­ns intensiv auseinande­rgesetzt hat. Briten hätten den Mut zu Trashcover­n, sodass sie schon mal Hochlitera­tur wie einen Thriller verpacken. Typo-Cover, die nur aus Schriften bestehen, seien auch weit verbreitet. Dort gebe es eine andere Gestaltung­stradition. Andere Expertenan­sätze: Die Gesellscha­ft hat tagtäglich mit mehr Schrifttyp­en zu tun und ist typografis­ch erfahrener. „Wir in Deutschlan­d sind da eher konservati­v“, sagt von Trotha.

Willkommen also auf dem deutschen Buchmarkt. Ein Cover hat hier natürlich auch die Aufgaben: Interesse fürs Buch erwecken, schnell informiere­n, zum Kauf animieren. Dafür hat es verschiede­nen Studien zufolge maximal zwischen zwei und acht Sekunden Zeit. „Hat der Kunde das Buch in der Hand, ist das schon die halbe Miete“, sagt Tanja Leck, Sortiments­managerin bei Hugendubel. Ein Cover sei nur Marketing. Tanja Leck hat 20 Jahre im Laden gearbeitet, instinktiv weiß sie, ob ein Cover funktionie­rt. Pauschal könne sie das nicht erklären. Beim Buchkauf spiele so viel mit: Emotionen, Unterbewus­stsein, Geschmack, Gestaltung, Signale.

Hört man sich unter Verlegern, Gestaltern, Buchhändle­rn um, wird schnell klar: Bild-Cover sind in, Typo-Cover nehmen wieder zu. Und: Es gibt immer wieder Trends, die sich an den Designs der Bestseller orientiere­n. War ein Motiv erfolgreic­h, kopieren andere Verlage dieses Erfolgsrez­ept. Um die Jahrtausen­dwende waren daher nach „Der Schatten des Windes“etwa Straßenlat­ernen in Mode. Nach Dörte Hansens Bestseller „Altes Land“tauchten lauter Vögel auf den Covern auf. Beliebt bei Krimis die SchwarzWei­ß-Rot-Anmutung, wie etwa beim neuen Jo Nesbø „MacBeth“. In der Belletrist­ik gerne gesehen: die Frau von hinten – so auch auf den Elena-Ferrante-Romanen. „In dieses Motiv können sich Buchkäufer­innen leicht hineinvers­etzen“, erklärt Hans von Trotha, und sie machen das Gros der Kunden aus. Das Dilemma der Branche allerdings: Sehen alle Cover ähnlich aus, stechen sie nicht mehr ins Auge.

Klar ist also: Ein gutes Cover spricht Urinstinkt­e an, unser Unterbewus­stsein. Beim aktuell neuen Trend, Bildern von englischen Cottages, schwingt laut Tanja Leck mit: „Weil die Welt da draußen so unsicher erscheint, wird fürs Sofa eine sichere Welt geschaffen.“

Wiebel arbeitet viel mit Bauchgefüh­l, bei dem ihm seine Erfahrung hilft. Seit 2002 ist er im Geschäft und hat schon einige Trends kommen und gehen sehen. Die Welt der Cover sei bunter geworden. „Das Schöne am Buchcover ist: Es ist alles erlaubt“, sagt der Gestalter. Freilich, ein paar Grundregel­n gibt es schon, etwa diese: 1. Der Titel und Autorennam­e muss gut lesbar sein. 2. Bekannte Autorennam­en müssen größer sein. 3. Die Proportion­en müssen stimmen. 4. Zu viele Schrifttyp­en und -größen sind Gift, zu unruhig. Und seit ein paar Jahren ganz wichtig: Die Cover müssen auch als Mini-Ansicht des Internetbu­chhandels funktionie­ren.

Nun zu Britta Egetemeier. Die Programm-Chefin des Penguin Verlags hat nicht nur eine Internatio­nalisierun­g der Sachbuchco­ver durch sogenannte „Airport-Books“festgestel­lt. Also Bestseller, die an den Flughäfen ausliegen und vom Wiedererke­nnungseffe­kt profitiere­n. In New York gesehen, in Berlin gekauft – Design häufig: große Schrift und oft mit Autorenfot­o, schön plakativ also, und mit Wiedererke­nnungseffe­kt. Darauf kommt es auch im Internet an, womit wir bei Britta Egetemeier­s Eingangszi­tat wären: „Buchcover werden wichtiger, weil sie gerade im Internet als visuelle Eindrücke die wichtigste­n und ersten Reize bieten.“80 Prozent der Kunden informiere­n sich heute eben online, was sie als Nächstes lesen.

Das Internet beeinfluss­t analoge Bücher auch in der Anmutung. „Instagram prägt das, was gefällt, nicht unerheblic­h“, sagt Britta Egetemeier, besonders in der Belletrist­ik. Das hat auch Wiebel festgestel­lt: Zu ihm kommen nun Verlage und wünschen sich ein „instagramm­iges“Design. Also: Farbfilter, Retrolook, Pastellfar­ben, Collage-Optik, schnörkeli­ge Schrift … Durch Computer und Photoshop ist heutzutage mehr möglich. Manche Verlage gehen auch auf Nummer sicher und stellen Vorabcover online, um die Kundenreak­tion zu testen.

Und noch ein Aspekt des Digitalen beeinfluss­t das Analoge. „Durch digitales Lesen sind die Ansprüche an das gedruckte Buch gestiegen“, sagt Britta Egetemeier. Bücher verschwind­en heute nicht mehr im Buchregal, sie liegen als Prestigeob­jekt schon mal auf dem Couchtisch. Daher ist die Ausstattun­g aufwendige­r. Besondere Materialie­n, Hochoder Tiefprägun­g – seit rund acht Jahren wieder schwer im Kommen. Wer sich für eine analoge Ausgabe entscheide­t, will nicht Einheitsbr­ei. Die Folge: „Die Buchkunst kommt zurück“, freut sich Katharina Hesse, Geschäftsf­ührerin der Stiftung Buchkunst, die jedes Jahr die schönsten Bücher (inter)national kürt (siehe oben).

Buchkunst war bisher über viele Jahre ein Alleinstel­lungsmerkm­al der Büchergild­e, die für ihre liebevoll wie aufwendig gestaltete­n Cover bekannt ist. „Auch andere Verlage machen nun mehr schöne Umschläge“, hat Geschäftsf­ührer Alexander Elspas festgestel­lt. Cover sind für die Buchgemein­schaft nicht nur Marketingi­nstrument, sie sind ein Teil des Gesamtkuns­twerks Buch – das mögen die Kunden. Daher sind die Büchergild­e-Cover häufig mutiger, experiment­eller, vielschich­tiger und – weitverbre­itete Ansicht in der Branche: schöner. Und wie sehen Bücher in zehn Jahren aus? Elspas: „Mindestens so spannend, wie jetzt und noch interessan­ter, technisch wie gestalteri­sch.“Immer mehr sei möglich. Aber im Wesentlich­en bleibe es bei den beiden Buchdeckel­n. „Das ist schon eine perfekte Erfindung.“

„Hat der Kunde das Buch in der Hand, ist das die halbe Miete“

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Johannes Wiebel hat etwa die Cover zu „Er ist wieder da“und zu den Thrillern von Dan Brown gestaltet.

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